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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Warum gerade so? -- und nach allen Richtungen berstet das Gebäude aus¬
einander, von tiefgehenden Widersprüchen zersprengt.

Ganz dürfen wir es nicht unterlassen, auf diese UnHaltbarkeiten und Un-
soliditäten hinzudeuten. Wir wollen hierbei nicht bei Fragen verweilen, die uns
in schwebende metaphysische und erkenntnißtheoretische Probleme verwickeln
würden, z. B., ob es sich mit dem sonst festgehaltenen Kausalgesetze vertrage,
daß der göttliche unlogische Wille kausalitütslos wirkt, in der Weise eines "ab¬
soluten Zufalls". Wir wollen uns auch dabei nicht aufhalten, daß ein zwie¬
spältiges Urwesen, in sich verfeindet, an der Spitze des Universums steht, ohne
daß wir von einem übergreifenden einheitlichen Grundwesen desselben hörten,
das die Gegensätze zu beherrschen, auf einander zu beziehen und dadurch die
Einheit zu erhalten diente. Dieser Punkt wird uns sogleich noch in seinen
weiteren Folgen beschäftigen. Mit Staunen aber erfüllt uns vor allem, daß
die Philosophie des "Unbewußten" einen fühlenden, schmerzerfüllter Gott kennt,
der, wenn er auch erst nachträglich in diesen Zustand geräth, doch damit für
die ganze Zeit des Weltprozesses zu einem bewußten, ja persönlichen Gotte
wird, wie ihn der "Theismus", der von Hartmann so stark perhorreszirte, so
unbarmherzig gescholtene Theismus, immer nur wünschen kann. Steht Hart¬
mann selbst dem Theismus so nahe, wie sollen wir verstehen, daß er ihn als
Stütze der Unsittlichkeit verklagt und in Schopenhauer den "idealen Abschluß
eines großen kulturgeschichtlichen Zeitabschnittes und die Inauguration einer
neuen Kulturperiode" preist, lediglich darum, weil er aus sittlichen Gründen
den Theismus verworfen und damit dessen Uhr für immer für abgelaufen er¬
klärt habe? (S. 782.) Doch, wir hören es ja, das Unsittliche am Theismus
ist es, was unsern Autor in Aufruhr bringt; sein Theismus wird also wohl
ein sittlich gereinigter sein. "Den theistischer Pfaffen bleibt es überlasten, über
die sittliche Verruchtheit ihrer irregeleiteten Opfer Zeter zu schreien, während
sie selbst es sind, welche die Gottheit lästern, indem sie in ihrer theistischer
Metaphysik ein Bild derselben entwerfen, das nach allen Begriffen eines un¬
verfälschten sittlichen Bewußtseins nur verabscheuungswürdig genannt werden
kann... Unter den Gesichtspunkten des Theismus bleibt nichts als die Annahme
übrig, daß Gott trotz des vorhergesehenen Elends die Schöpfung nur darum
nicht unterlassen habe, weil er das Bedürfniß fühlte, ein Publikum zu haben,
das ihn lobpreisen und ehren konnte, mochte immerhin dieses Lobpreisen ein
Resultat verblendeter Dummheit oder eine aus sklavischer Furcht entspringende
Heuchelei sein." (781 mit Anmerkung.) Aber, wie ist uns? Sollte denn nicht
alles dieses noch viel mehr gelten, wenn Gott "trotz des vorhergesehenen Elends"
die Schöpfung nur darum nicht unterlassen hat, um sich "durch einen juckenden
Ausschlag" für immer von den Schmerzen zu befreien, die ihm sein eigener


Warum gerade so? — und nach allen Richtungen berstet das Gebäude aus¬
einander, von tiefgehenden Widersprüchen zersprengt.

Ganz dürfen wir es nicht unterlassen, auf diese UnHaltbarkeiten und Un-
soliditäten hinzudeuten. Wir wollen hierbei nicht bei Fragen verweilen, die uns
in schwebende metaphysische und erkenntnißtheoretische Probleme verwickeln
würden, z. B., ob es sich mit dem sonst festgehaltenen Kausalgesetze vertrage,
daß der göttliche unlogische Wille kausalitütslos wirkt, in der Weise eines „ab¬
soluten Zufalls". Wir wollen uns auch dabei nicht aufhalten, daß ein zwie¬
spältiges Urwesen, in sich verfeindet, an der Spitze des Universums steht, ohne
daß wir von einem übergreifenden einheitlichen Grundwesen desselben hörten,
das die Gegensätze zu beherrschen, auf einander zu beziehen und dadurch die
Einheit zu erhalten diente. Dieser Punkt wird uns sogleich noch in seinen
weiteren Folgen beschäftigen. Mit Staunen aber erfüllt uns vor allem, daß
die Philosophie des „Unbewußten" einen fühlenden, schmerzerfüllter Gott kennt,
der, wenn er auch erst nachträglich in diesen Zustand geräth, doch damit für
die ganze Zeit des Weltprozesses zu einem bewußten, ja persönlichen Gotte
wird, wie ihn der „Theismus", der von Hartmann so stark perhorreszirte, so
unbarmherzig gescholtene Theismus, immer nur wünschen kann. Steht Hart¬
mann selbst dem Theismus so nahe, wie sollen wir verstehen, daß er ihn als
Stütze der Unsittlichkeit verklagt und in Schopenhauer den „idealen Abschluß
eines großen kulturgeschichtlichen Zeitabschnittes und die Inauguration einer
neuen Kulturperiode" preist, lediglich darum, weil er aus sittlichen Gründen
den Theismus verworfen und damit dessen Uhr für immer für abgelaufen er¬
klärt habe? (S. 782.) Doch, wir hören es ja, das Unsittliche am Theismus
ist es, was unsern Autor in Aufruhr bringt; sein Theismus wird also wohl
ein sittlich gereinigter sein. „Den theistischer Pfaffen bleibt es überlasten, über
die sittliche Verruchtheit ihrer irregeleiteten Opfer Zeter zu schreien, während
sie selbst es sind, welche die Gottheit lästern, indem sie in ihrer theistischer
Metaphysik ein Bild derselben entwerfen, das nach allen Begriffen eines un¬
verfälschten sittlichen Bewußtseins nur verabscheuungswürdig genannt werden
kann... Unter den Gesichtspunkten des Theismus bleibt nichts als die Annahme
übrig, daß Gott trotz des vorhergesehenen Elends die Schöpfung nur darum
nicht unterlassen habe, weil er das Bedürfniß fühlte, ein Publikum zu haben,
das ihn lobpreisen und ehren konnte, mochte immerhin dieses Lobpreisen ein
Resultat verblendeter Dummheit oder eine aus sklavischer Furcht entspringende
Heuchelei sein." (781 mit Anmerkung.) Aber, wie ist uns? Sollte denn nicht
alles dieses noch viel mehr gelten, wenn Gott „trotz des vorhergesehenen Elends"
die Schöpfung nur darum nicht unterlassen hat, um sich „durch einen juckenden
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[0107] Warum gerade so? — und nach allen Richtungen berstet das Gebäude aus¬ einander, von tiefgehenden Widersprüchen zersprengt. Ganz dürfen wir es nicht unterlassen, auf diese UnHaltbarkeiten und Un- soliditäten hinzudeuten. Wir wollen hierbei nicht bei Fragen verweilen, die uns in schwebende metaphysische und erkenntnißtheoretische Probleme verwickeln würden, z. B., ob es sich mit dem sonst festgehaltenen Kausalgesetze vertrage, daß der göttliche unlogische Wille kausalitütslos wirkt, in der Weise eines „ab¬ soluten Zufalls". Wir wollen uns auch dabei nicht aufhalten, daß ein zwie¬ spältiges Urwesen, in sich verfeindet, an der Spitze des Universums steht, ohne daß wir von einem übergreifenden einheitlichen Grundwesen desselben hörten, das die Gegensätze zu beherrschen, auf einander zu beziehen und dadurch die Einheit zu erhalten diente. Dieser Punkt wird uns sogleich noch in seinen weiteren Folgen beschäftigen. Mit Staunen aber erfüllt uns vor allem, daß die Philosophie des „Unbewußten" einen fühlenden, schmerzerfüllter Gott kennt, der, wenn er auch erst nachträglich in diesen Zustand geräth, doch damit für die ganze Zeit des Weltprozesses zu einem bewußten, ja persönlichen Gotte wird, wie ihn der „Theismus", der von Hartmann so stark perhorreszirte, so unbarmherzig gescholtene Theismus, immer nur wünschen kann. Steht Hart¬ mann selbst dem Theismus so nahe, wie sollen wir verstehen, daß er ihn als Stütze der Unsittlichkeit verklagt und in Schopenhauer den „idealen Abschluß eines großen kulturgeschichtlichen Zeitabschnittes und die Inauguration einer neuen Kulturperiode" preist, lediglich darum, weil er aus sittlichen Gründen den Theismus verworfen und damit dessen Uhr für immer für abgelaufen er¬ klärt habe? (S. 782.) Doch, wir hören es ja, das Unsittliche am Theismus ist es, was unsern Autor in Aufruhr bringt; sein Theismus wird also wohl ein sittlich gereinigter sein. „Den theistischer Pfaffen bleibt es überlasten, über die sittliche Verruchtheit ihrer irregeleiteten Opfer Zeter zu schreien, während sie selbst es sind, welche die Gottheit lästern, indem sie in ihrer theistischer Metaphysik ein Bild derselben entwerfen, das nach allen Begriffen eines un¬ verfälschten sittlichen Bewußtseins nur verabscheuungswürdig genannt werden kann... Unter den Gesichtspunkten des Theismus bleibt nichts als die Annahme übrig, daß Gott trotz des vorhergesehenen Elends die Schöpfung nur darum nicht unterlassen habe, weil er das Bedürfniß fühlte, ein Publikum zu haben, das ihn lobpreisen und ehren konnte, mochte immerhin dieses Lobpreisen ein Resultat verblendeter Dummheit oder eine aus sklavischer Furcht entspringende Heuchelei sein." (781 mit Anmerkung.) Aber, wie ist uns? Sollte denn nicht alles dieses noch viel mehr gelten, wenn Gott „trotz des vorhergesehenen Elends" die Schöpfung nur darum nicht unterlassen hat, um sich „durch einen juckenden Ausschlag" für immer von den Schmerzen zu befreien, die ihm sein eigener

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/107>, abgerufen am 27.09.2024.