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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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der kommandirende General einem edlen und begabten Manne noch einmal
einen Versuch zu machen, dnrch "die Macht der Rede" auf den ihm gegenüber¬
stehenden Abschaum der Menschheit einzuwirken. Der Generalarzt der Armee
M. Pasquier war es, der in einer wirklich räthselhaften Verblendung diesen
Versuch unternahm. Mit dem rothen Kreuz auf der Armbinde und auf dem
Käppi näherte sich der edle Menschenfreund der ersten Barrikade vor dem
Halbmond der Brücke. Ehe er nur die Lippen offnen konnte, hatten ihn die
elenden Buben mit einigen Gewehrschüssen niedergestreckt. Daß nach diesen
Vorfällen die Soldaten am 3. April und den folgenden Tagen ausgiebig von
Bajonett und Säbel Gebrauch machten, wird Jeder lobenswerth finden, außer
den Gesinnungsgenossen der Kommunards.

Wie einfältig dieser verbrecherische Pöbel war, der jetzt die "Metropole
der Intelligenz" "das Auge des Weltalls" beherrschte, erhellt am besten aus
den Erzählungen, vermittelst deren man ihn in Aufregung und Stimmung ver¬
setzte. Die Armee von Versailles bestand nach diesen Berichten nur aus den
ehemaligen Polizeibeamten von Paris und den anderen Großstädten Frank¬
reichs, verstärkt wurden dieselben durch königlich gesinnte bretagnische Bauern
und Edelleute, welche in Verbindung mit den bewaffneten Zöglingen der
Priesterseminare die Absicht hatten, das Frankreich vor 1789 mit Zehnten,
^us xrimas noetis, dem äroit 6ö MnbaM und ähnlichen lieblichen Einrichtungen
wiederherzustellen. Dagegen seien die aufgeklärten Landbewohner der Isis <!e
l^tÄueL (weitere Umgegend von Paris) in vollem Aufstande gegen diese frei¬
heitsmörderische Armee vou Versailles, und stächen die einzelnen Soldaten, wo
sie nur könnten, mit Mistgabeln todt. Auch hätten neulich die Marinesoldaten
zwei Linienregimenter mit Enterbeilen erschlagen. Diese Fabel vom Enterbeil
spielt überhaupt in der Phantasie der lebhaften und im Grund ihrer Seele
fehr zum "Gruseln" geneigten Franzosen eine große Rolle. Während der Be¬
lagerung von Paris war ein Holzschnitt sehr beliebt und wurde viel verkauft:
Marinesoldaten und Matrosen mit dem Dolch zwischen den Zähnen und dem
Enterbeil in der Faust "enterten" eine Redoute, während die vor Entsetzen er¬
starrten Preußen wie Bäume "umgehackt" wurden. Während man so auf der
einen Seite mit brutalen Lügen der Dummheit den bethörten Massen Futter
hinwarf, exaltirte man ans der anderen Seite die Eitelkeit der Volksmassen in
der lächerlichsten Weise. So nannte Felix Pyat in seinem Journal "le Von-
Zsur" das Paris der Kommune: "Das Ephesus des Fortschritts, das Mekka
der Freiheit, das Rom der Menschenliebe"; ohne daß der unwissende Bursche
eine Ahnung davon gehabt zu haben scheint, daß er mit der letzten Bezeichnung
eine bedenkliche Kritik über sein und feiner Gesinnungsgenossen Verfahren aus¬
gesprochen.


der kommandirende General einem edlen und begabten Manne noch einmal
einen Versuch zu machen, dnrch „die Macht der Rede" auf den ihm gegenüber¬
stehenden Abschaum der Menschheit einzuwirken. Der Generalarzt der Armee
M. Pasquier war es, der in einer wirklich räthselhaften Verblendung diesen
Versuch unternahm. Mit dem rothen Kreuz auf der Armbinde und auf dem
Käppi näherte sich der edle Menschenfreund der ersten Barrikade vor dem
Halbmond der Brücke. Ehe er nur die Lippen offnen konnte, hatten ihn die
elenden Buben mit einigen Gewehrschüssen niedergestreckt. Daß nach diesen
Vorfällen die Soldaten am 3. April und den folgenden Tagen ausgiebig von
Bajonett und Säbel Gebrauch machten, wird Jeder lobenswerth finden, außer
den Gesinnungsgenossen der Kommunards.

Wie einfältig dieser verbrecherische Pöbel war, der jetzt die „Metropole
der Intelligenz" „das Auge des Weltalls" beherrschte, erhellt am besten aus
den Erzählungen, vermittelst deren man ihn in Aufregung und Stimmung ver¬
setzte. Die Armee von Versailles bestand nach diesen Berichten nur aus den
ehemaligen Polizeibeamten von Paris und den anderen Großstädten Frank¬
reichs, verstärkt wurden dieselben durch königlich gesinnte bretagnische Bauern
und Edelleute, welche in Verbindung mit den bewaffneten Zöglingen der
Priesterseminare die Absicht hatten, das Frankreich vor 1789 mit Zehnten,
^us xrimas noetis, dem äroit 6ö MnbaM und ähnlichen lieblichen Einrichtungen
wiederherzustellen. Dagegen seien die aufgeklärten Landbewohner der Isis <!e
l^tÄueL (weitere Umgegend von Paris) in vollem Aufstande gegen diese frei¬
heitsmörderische Armee vou Versailles, und stächen die einzelnen Soldaten, wo
sie nur könnten, mit Mistgabeln todt. Auch hätten neulich die Marinesoldaten
zwei Linienregimenter mit Enterbeilen erschlagen. Diese Fabel vom Enterbeil
spielt überhaupt in der Phantasie der lebhaften und im Grund ihrer Seele
fehr zum „Gruseln" geneigten Franzosen eine große Rolle. Während der Be¬
lagerung von Paris war ein Holzschnitt sehr beliebt und wurde viel verkauft:
Marinesoldaten und Matrosen mit dem Dolch zwischen den Zähnen und dem
Enterbeil in der Faust „enterten" eine Redoute, während die vor Entsetzen er¬
starrten Preußen wie Bäume „umgehackt" wurden. Während man so auf der
einen Seite mit brutalen Lügen der Dummheit den bethörten Massen Futter
hinwarf, exaltirte man ans der anderen Seite die Eitelkeit der Volksmassen in
der lächerlichsten Weise. So nannte Felix Pyat in seinem Journal „le Von-
Zsur" das Paris der Kommune: „Das Ephesus des Fortschritts, das Mekka
der Freiheit, das Rom der Menschenliebe"; ohne daß der unwissende Bursche
eine Ahnung davon gehabt zu haben scheint, daß er mit der letzten Bezeichnung
eine bedenkliche Kritik über sein und feiner Gesinnungsgenossen Verfahren aus¬
gesprochen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/100>, abgerufen am 27.09.2024.