Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Haupt, namentlich auch die polnischen, nicht so fest, sondern sie sind eher ge¬
neigt, ihr Glück auf einem neuen Grundstück zu versuchen. Bei solchem
Umherziehen kommen sie dann selbst eher in die Lage deutsch zu lernen, und
zugleich hört die Schwierigkeit für deutsche Bauern auf, die Abgeschlossenheit
polnischer Gemeinden zu durchbrechen. Dieser Zustand herrscht wahrscheinlich
in den genannten beiden Kreisen, ihm dürfte also die rascher fortschreitende
Germanisation in ihnen zuzuschreiben sein.

In dem südlichen breiten, aber schwachbevölkerten Grenzstreifen Ost¬
preußens, in welchem das Polnische die allgemeine Volkssprache ist, in Ma-
suren, wird durch die Königliche Verordnung gar kein Bedürfniß desselben als
Amtssprache anerkannt. Das ist bei bei dem Mangel an polnischem Natio¬
nalbewußtsein und bei der Anhänglichkeit des Volkes an den Staat sehr erklär¬
lich. Dagegen müssen wir aus eigner, ganz neuer Wahrnehmung bezweifeln,
daß in ganz Oberschlesien bei einer polnischsprechenden Bevölkerung von rund
800,000 Einw. nirgends, selbst nicht in den abgelegensten Gemeinden der
Kreise Rosenberg, Lublinitz, Tarnowitz. Groß-Strehlitz u. s. w. das Be¬
dürfniß des einstweiligen Fortgebrauchs der polnischen Sprache in den Ge¬
meindeversammlungen u. s. w. vorhanden sein soll. Die polnische Bevölke¬
rung des platten Landes ist nirgends in Preußen in so ausgedehnten Flächen
unvermischt anzutreffen, wie in einem großen Theile Oberschlesiens. Auch
hat die Kenntniß der deutschen Sprache unter ihr durch die Bemühungen der
katholischen Geistlichkeit unter der Aegide des Ministers von Muster seit 26
Jahren Rückschritte gemacht. Allerdings würde diese gesetzliche Nichtanerken¬
nung des polnischen Sprachbedürfnisses in ganz Oberschlesien die bündigste
Abweisung der meuterischen Wühlereien der polnisch-ultramontanen Presse
und einiger nationalfanatischer Sendlinge sein. Doch darf man eine solche
Demonstration nicht als entscheidenden Grund der Staatsregierung für die
besagte Entscheidung über die Bedürfnißfrage annehmen, er wäre ihrer nicht
würdig, vielmehr darf man voraussetzen, daß die Frage im Regierungsbezirke
Oppeln ebenso reinsachlich geprüft und entschieden worden ist, wie in allen
andern Landestheilen.

Einen Beweis von der Objeetwität der Prüfung giebt die Gewährung
der fünfjährigen Frist für die mündlichen Verhandlungen sogar einer Kreis¬
vertretung; es ist diejenige von Hadersleben in Schleswig, sie darf vorläufig
noch ferner dänisch verhandeln. Sonst haben die Dänen dieses Recht noch in den
ländlichen, besonders den kleinen Communal-Versammlungen und Vertretun¬
gen in den Kreisen Hadersleben, Apenrade, Sonderburg, in zwei östlichen
Hardesvogteien pes Kreises Flensburg und in einem Kirchspiel des Kreises
Flensburg, Daraus erhellt, daß die deutsche Sprache in Schleswig seit der
preußischen Besitznahme des Landes keine erheblichen Fortschritte gemacht hat.


Haupt, namentlich auch die polnischen, nicht so fest, sondern sie sind eher ge¬
neigt, ihr Glück auf einem neuen Grundstück zu versuchen. Bei solchem
Umherziehen kommen sie dann selbst eher in die Lage deutsch zu lernen, und
zugleich hört die Schwierigkeit für deutsche Bauern auf, die Abgeschlossenheit
polnischer Gemeinden zu durchbrechen. Dieser Zustand herrscht wahrscheinlich
in den genannten beiden Kreisen, ihm dürfte also die rascher fortschreitende
Germanisation in ihnen zuzuschreiben sein.

In dem südlichen breiten, aber schwachbevölkerten Grenzstreifen Ost¬
preußens, in welchem das Polnische die allgemeine Volkssprache ist, in Ma-
suren, wird durch die Königliche Verordnung gar kein Bedürfniß desselben als
Amtssprache anerkannt. Das ist bei bei dem Mangel an polnischem Natio¬
nalbewußtsein und bei der Anhänglichkeit des Volkes an den Staat sehr erklär¬
lich. Dagegen müssen wir aus eigner, ganz neuer Wahrnehmung bezweifeln,
daß in ganz Oberschlesien bei einer polnischsprechenden Bevölkerung von rund
800,000 Einw. nirgends, selbst nicht in den abgelegensten Gemeinden der
Kreise Rosenberg, Lublinitz, Tarnowitz. Groß-Strehlitz u. s. w. das Be¬
dürfniß des einstweiligen Fortgebrauchs der polnischen Sprache in den Ge¬
meindeversammlungen u. s. w. vorhanden sein soll. Die polnische Bevölke¬
rung des platten Landes ist nirgends in Preußen in so ausgedehnten Flächen
unvermischt anzutreffen, wie in einem großen Theile Oberschlesiens. Auch
hat die Kenntniß der deutschen Sprache unter ihr durch die Bemühungen der
katholischen Geistlichkeit unter der Aegide des Ministers von Muster seit 26
Jahren Rückschritte gemacht. Allerdings würde diese gesetzliche Nichtanerken¬
nung des polnischen Sprachbedürfnisses in ganz Oberschlesien die bündigste
Abweisung der meuterischen Wühlereien der polnisch-ultramontanen Presse
und einiger nationalfanatischer Sendlinge sein. Doch darf man eine solche
Demonstration nicht als entscheidenden Grund der Staatsregierung für die
besagte Entscheidung über die Bedürfnißfrage annehmen, er wäre ihrer nicht
würdig, vielmehr darf man voraussetzen, daß die Frage im Regierungsbezirke
Oppeln ebenso reinsachlich geprüft und entschieden worden ist, wie in allen
andern Landestheilen.

Einen Beweis von der Objeetwität der Prüfung giebt die Gewährung
der fünfjährigen Frist für die mündlichen Verhandlungen sogar einer Kreis¬
vertretung; es ist diejenige von Hadersleben in Schleswig, sie darf vorläufig
noch ferner dänisch verhandeln. Sonst haben die Dänen dieses Recht noch in den
ländlichen, besonders den kleinen Communal-Versammlungen und Vertretun¬
gen in den Kreisen Hadersleben, Apenrade, Sonderburg, in zwei östlichen
Hardesvogteien pes Kreises Flensburg und in einem Kirchspiel des Kreises
Flensburg, Daraus erhellt, daß die deutsche Sprache in Schleswig seit der
preußischen Besitznahme des Landes keine erheblichen Fortschritte gemacht hat.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0074" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136713"/>
          <p xml:id="ID_192" prev="#ID_191"> Haupt, namentlich auch die polnischen, nicht so fest, sondern sie sind eher ge¬<lb/>
neigt, ihr Glück auf einem neuen Grundstück zu versuchen. Bei solchem<lb/>
Umherziehen kommen sie dann selbst eher in die Lage deutsch zu lernen, und<lb/>
zugleich hört die Schwierigkeit für deutsche Bauern auf, die Abgeschlossenheit<lb/>
polnischer Gemeinden zu durchbrechen. Dieser Zustand herrscht wahrscheinlich<lb/>
in den genannten beiden Kreisen, ihm dürfte also die rascher fortschreitende<lb/>
Germanisation in ihnen zuzuschreiben sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_193"> In dem südlichen breiten, aber schwachbevölkerten Grenzstreifen Ost¬<lb/>
preußens, in welchem das Polnische die allgemeine Volkssprache ist, in Ma-<lb/>
suren, wird durch die Königliche Verordnung gar kein Bedürfniß desselben als<lb/>
Amtssprache anerkannt. Das ist bei bei dem Mangel an polnischem Natio¬<lb/>
nalbewußtsein und bei der Anhänglichkeit des Volkes an den Staat sehr erklär¬<lb/>
lich. Dagegen müssen wir aus eigner, ganz neuer Wahrnehmung bezweifeln,<lb/>
daß in ganz Oberschlesien bei einer polnischsprechenden Bevölkerung von rund<lb/>
800,000 Einw. nirgends, selbst nicht in den abgelegensten Gemeinden der<lb/>
Kreise Rosenberg, Lublinitz, Tarnowitz. Groß-Strehlitz u. s. w. das Be¬<lb/>
dürfniß des einstweiligen Fortgebrauchs der polnischen Sprache in den Ge¬<lb/>
meindeversammlungen u. s. w. vorhanden sein soll. Die polnische Bevölke¬<lb/>
rung des platten Landes ist nirgends in Preußen in so ausgedehnten Flächen<lb/>
unvermischt anzutreffen, wie in einem großen Theile Oberschlesiens. Auch<lb/>
hat die Kenntniß der deutschen Sprache unter ihr durch die Bemühungen der<lb/>
katholischen Geistlichkeit unter der Aegide des Ministers von Muster seit 26<lb/>
Jahren Rückschritte gemacht. Allerdings würde diese gesetzliche Nichtanerken¬<lb/>
nung des polnischen Sprachbedürfnisses in ganz Oberschlesien die bündigste<lb/>
Abweisung der meuterischen Wühlereien der polnisch-ultramontanen Presse<lb/>
und einiger nationalfanatischer Sendlinge sein. Doch darf man eine solche<lb/>
Demonstration nicht als entscheidenden Grund der Staatsregierung für die<lb/>
besagte Entscheidung über die Bedürfnißfrage annehmen, er wäre ihrer nicht<lb/>
würdig, vielmehr darf man voraussetzen, daß die Frage im Regierungsbezirke<lb/>
Oppeln ebenso reinsachlich geprüft und entschieden worden ist, wie in allen<lb/>
andern Landestheilen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_194" next="#ID_195"> Einen Beweis von der Objeetwität der Prüfung giebt die Gewährung<lb/>
der fünfjährigen Frist für die mündlichen Verhandlungen sogar einer Kreis¬<lb/>
vertretung; es ist diejenige von Hadersleben in Schleswig, sie darf vorläufig<lb/>
noch ferner dänisch verhandeln. Sonst haben die Dänen dieses Recht noch in den<lb/>
ländlichen, besonders den kleinen Communal-Versammlungen und Vertretun¬<lb/>
gen in den Kreisen Hadersleben, Apenrade, Sonderburg, in zwei östlichen<lb/>
Hardesvogteien pes Kreises Flensburg und in einem Kirchspiel des Kreises<lb/>
Flensburg, Daraus erhellt, daß die deutsche Sprache in Schleswig seit der<lb/>
preußischen Besitznahme des Landes keine erheblichen Fortschritte gemacht hat.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0074] Haupt, namentlich auch die polnischen, nicht so fest, sondern sie sind eher ge¬ neigt, ihr Glück auf einem neuen Grundstück zu versuchen. Bei solchem Umherziehen kommen sie dann selbst eher in die Lage deutsch zu lernen, und zugleich hört die Schwierigkeit für deutsche Bauern auf, die Abgeschlossenheit polnischer Gemeinden zu durchbrechen. Dieser Zustand herrscht wahrscheinlich in den genannten beiden Kreisen, ihm dürfte also die rascher fortschreitende Germanisation in ihnen zuzuschreiben sein. In dem südlichen breiten, aber schwachbevölkerten Grenzstreifen Ost¬ preußens, in welchem das Polnische die allgemeine Volkssprache ist, in Ma- suren, wird durch die Königliche Verordnung gar kein Bedürfniß desselben als Amtssprache anerkannt. Das ist bei bei dem Mangel an polnischem Natio¬ nalbewußtsein und bei der Anhänglichkeit des Volkes an den Staat sehr erklär¬ lich. Dagegen müssen wir aus eigner, ganz neuer Wahrnehmung bezweifeln, daß in ganz Oberschlesien bei einer polnischsprechenden Bevölkerung von rund 800,000 Einw. nirgends, selbst nicht in den abgelegensten Gemeinden der Kreise Rosenberg, Lublinitz, Tarnowitz. Groß-Strehlitz u. s. w. das Be¬ dürfniß des einstweiligen Fortgebrauchs der polnischen Sprache in den Ge¬ meindeversammlungen u. s. w. vorhanden sein soll. Die polnische Bevölke¬ rung des platten Landes ist nirgends in Preußen in so ausgedehnten Flächen unvermischt anzutreffen, wie in einem großen Theile Oberschlesiens. Auch hat die Kenntniß der deutschen Sprache unter ihr durch die Bemühungen der katholischen Geistlichkeit unter der Aegide des Ministers von Muster seit 26 Jahren Rückschritte gemacht. Allerdings würde diese gesetzliche Nichtanerken¬ nung des polnischen Sprachbedürfnisses in ganz Oberschlesien die bündigste Abweisung der meuterischen Wühlereien der polnisch-ultramontanen Presse und einiger nationalfanatischer Sendlinge sein. Doch darf man eine solche Demonstration nicht als entscheidenden Grund der Staatsregierung für die besagte Entscheidung über die Bedürfnißfrage annehmen, er wäre ihrer nicht würdig, vielmehr darf man voraussetzen, daß die Frage im Regierungsbezirke Oppeln ebenso reinsachlich geprüft und entschieden worden ist, wie in allen andern Landestheilen. Einen Beweis von der Objeetwität der Prüfung giebt die Gewährung der fünfjährigen Frist für die mündlichen Verhandlungen sogar einer Kreis¬ vertretung; es ist diejenige von Hadersleben in Schleswig, sie darf vorläufig noch ferner dänisch verhandeln. Sonst haben die Dänen dieses Recht noch in den ländlichen, besonders den kleinen Communal-Versammlungen und Vertretun¬ gen in den Kreisen Hadersleben, Apenrade, Sonderburg, in zwei östlichen Hardesvogteien pes Kreises Flensburg und in einem Kirchspiel des Kreises Flensburg, Daraus erhellt, daß die deutsche Sprache in Schleswig seit der preußischen Besitznahme des Landes keine erheblichen Fortschritte gemacht hat.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/74
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/74>, abgerufen am 27.09.2024.