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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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in ihre Mitte eine kleine Birke oder Pappel, an die man jene mit bunten
Bändern befestigt, und betet dann vor ihr knieend wie vorher. An einigen
Orten bleibt diese kleine Garbe, die der "Mockel" heißt, auf dem Stoppel¬
acker stehen, anderwärts wird sie zuletzt abgehauen, üm das letzte Fuder zu
schmücken. Von einer uns vorliegenden großen Anzahl westphälischer Ernte¬
sitten theilen wir nur einige besonders charakteristische mit. Wenn in den
Dörfern Deckbergen und Kleinbremen das Korn abgemäht ist, werfen die
Schnitter unter dem Rufe: "Wani, Wani, Wankt" ihre Mützen in die Höhe.
In der Umgebung von Borgloh, Bissendorf und Gesmold bindet man, wenn
der Roggen abgemäht ist, zwei Garben mit einem Strohseil zusammen, so-
daß sie eine Puppe bilden, die man darauf am Ende einer Mandel aufstellt,
wonach alle Schnitter und Binderinnen herzukommen und jubelnd "De Ante,
de Ante!" rufen. Bisweilen wird auch da, wo das beste Korn steht, ein
Baum aufgepflanzt, woraus man die um ihn herumliegenden Halme zu einer
größeren Garbe um ihn zusammenbindet, welche "de Otte" heißt. Diese
Garbe fällt zuletzt der Großmagd zu. während bei Iserlohn die jedenfalls
ältere Sitte herrscht, jene Garbe, die hier ebenfalls "de Otte" genannt wird,
an dem Baume hängen zu lassen, sodaß sie die Erinnerung an das alte Ernte¬
opfer bezeichnet. Ist bei "de Otte" an Wuotan als den "Alten" zu denken,
von dem das Schnittergebet der schaumburgischen Bauern sprach, so haben
wir in dem Namen "de Greaute Meaur", wie die letzte Garbe in den Dörfern
bei Unna, und in der Bezeichnung "Herkelmaie", wie sie in der Nachbar¬
schaft von Werk heißt, einen Nachhall an die Erntemutter und Erdgöttin
Herke zu vermuthen, die, wie bemerkt, in andern deutschen Landstrichen Frick,
Frau Holle oder Perchta genannt wurde und unter diesem Namen noch hie
und da spukt.

Eine wichtige Rolle scheint ehedem bei den Erntefesten als Opfer oder
Hauptgericht beim Schmause der Hahn gespielt zu haben. In Schwaben ist
davon nur ein Hahnenschlagen und der Ausdruck "Schnitthahn", mit dem
man zu Leutkirch den sonst in schwäbischen Landen "Sichelhenke" genannten
Ernteschmaus bezeichnet, und dem das schweizerische "Kcähhahn" entspricht,
übrig geblieben. In westphälischen Gegenden begegnen wir neben Aehnlichem
auch deutlicheren Ueberbleibseln der alten Feier. Bei Recklinghausen heißt
der Ernteschmaus "Bauthahn". in Osterwiek, Koesfeld und Horstmar "Stoppel-
Hahn". Zu Kohlstädt am lippeschen Walde setzt man bei der Einfuhr des
Getreides auf das letzte Fuder einen vergoldeten Hahn, der allerlei Frucht im
Schnabel trägt und nachher meist am Hause aufgehangen wird, und ähnlich
verfährt man in der Gegend von Warburg, wo der mit Flittergold über¬
zogene Hahn w einer Blumenkrone, und zu Varßen bei Pyrmont, wo er in


in ihre Mitte eine kleine Birke oder Pappel, an die man jene mit bunten
Bändern befestigt, und betet dann vor ihr knieend wie vorher. An einigen
Orten bleibt diese kleine Garbe, die der „Mockel" heißt, auf dem Stoppel¬
acker stehen, anderwärts wird sie zuletzt abgehauen, üm das letzte Fuder zu
schmücken. Von einer uns vorliegenden großen Anzahl westphälischer Ernte¬
sitten theilen wir nur einige besonders charakteristische mit. Wenn in den
Dörfern Deckbergen und Kleinbremen das Korn abgemäht ist, werfen die
Schnitter unter dem Rufe: „Wani, Wani, Wankt" ihre Mützen in die Höhe.
In der Umgebung von Borgloh, Bissendorf und Gesmold bindet man, wenn
der Roggen abgemäht ist, zwei Garben mit einem Strohseil zusammen, so-
daß sie eine Puppe bilden, die man darauf am Ende einer Mandel aufstellt,
wonach alle Schnitter und Binderinnen herzukommen und jubelnd „De Ante,
de Ante!" rufen. Bisweilen wird auch da, wo das beste Korn steht, ein
Baum aufgepflanzt, woraus man die um ihn herumliegenden Halme zu einer
größeren Garbe um ihn zusammenbindet, welche „de Otte" heißt. Diese
Garbe fällt zuletzt der Großmagd zu. während bei Iserlohn die jedenfalls
ältere Sitte herrscht, jene Garbe, die hier ebenfalls „de Otte" genannt wird,
an dem Baume hängen zu lassen, sodaß sie die Erinnerung an das alte Ernte¬
opfer bezeichnet. Ist bei „de Otte" an Wuotan als den „Alten" zu denken,
von dem das Schnittergebet der schaumburgischen Bauern sprach, so haben
wir in dem Namen „de Greaute Meaur", wie die letzte Garbe in den Dörfern
bei Unna, und in der Bezeichnung „Herkelmaie", wie sie in der Nachbar¬
schaft von Werk heißt, einen Nachhall an die Erntemutter und Erdgöttin
Herke zu vermuthen, die, wie bemerkt, in andern deutschen Landstrichen Frick,
Frau Holle oder Perchta genannt wurde und unter diesem Namen noch hie
und da spukt.

Eine wichtige Rolle scheint ehedem bei den Erntefesten als Opfer oder
Hauptgericht beim Schmause der Hahn gespielt zu haben. In Schwaben ist
davon nur ein Hahnenschlagen und der Ausdruck „Schnitthahn", mit dem
man zu Leutkirch den sonst in schwäbischen Landen „Sichelhenke" genannten
Ernteschmaus bezeichnet, und dem das schweizerische „Kcähhahn" entspricht,
übrig geblieben. In westphälischen Gegenden begegnen wir neben Aehnlichem
auch deutlicheren Ueberbleibseln der alten Feier. Bei Recklinghausen heißt
der Ernteschmaus „Bauthahn". in Osterwiek, Koesfeld und Horstmar „Stoppel-
Hahn". Zu Kohlstädt am lippeschen Walde setzt man bei der Einfuhr des
Getreides auf das letzte Fuder einen vergoldeten Hahn, der allerlei Frucht im
Schnabel trägt und nachher meist am Hause aufgehangen wird, und ähnlich
verfährt man in der Gegend von Warburg, wo der mit Flittergold über¬
zogene Hahn w einer Blumenkrone, und zu Varßen bei Pyrmont, wo er in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/67>, abgerufen am 27.09.2024.