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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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So begründet nun also die Retorsionsmaßregel in diesem Fall ist, und
so sehr die bezügliche Gesetzvorlage vom 7. Dezember lediglich auf diesen
einzelnen Fall eingerichtet ist, so kann doch der Riß in das freihändlerische
Dogma nicht geleugnet werden. Nach diesem Dogma liegt bekanntlich die
höchste Weisheit und Blüthe der Freihandelspolitik darin : daß man fremden
Waaren niemals den Eingang wehrt, auch wenn das Ausland sich noch so
hermetisch verschließt.*) Nach diesem Dogma trägt den Schaden allemal der,
der sich abschließt, den Vortheil hat allemal der, der die Waare zuläßt; das
ganze Geheimniß der Volkswirthschaft besteht nämlich darin, billig zu kaufen;
das Ausland thut uns also den größten Gefallen, wenn es aufbietet, was
es kann, uns die Waare billig ins Haus zu bringen; die deutschen Con-
sumenten müßten der französischen Regierung eine Dankadresse poliren, daß
sie zu ihrer, der Consumenten, Gunsten eine Ausfuhrprämie vertheilt. Diese
Art von Weisheit ist zwar consequent, aber der falsche Ansatz, der in der
Voraussetzung steckt, wird nachgerade vielseitig erkannt. Sofern ist die jetzt
vorgeschlagene Retorsionsbill eine Maßregel von großer Bedeutung, als
grundsätzliche Freihändler wie die betreffenden preußischen Fachminister Zeugniß
ablegen, daß die Freihandelspolitik ihre Grenze haben müsse. Was in dem
einen Falle nothwendig geworden, kann es auch in dem anderen werden.
So wie die Lage der Handelspolitik bei den europäischen Nationen sich zu
gestalten den Weg nimmt**), können wir gezwungen werden, in ein ausge¬
breitetes System von Retorsionsmaßregeln einzutreten, wenn wir einmal
den Grundsatz aufgegeben haben, daß die vortheilhafteste Lage ist, unter
Schutzzöllnern allein dem Freihandel zu huldigen.

Diese Sachlage erhielt durch die Worte des Reichskanzlers bei der Be.
rathung am 12. Dezember eine scharfe Beleuchtung. Der Reichskanzler sagte
ausdrücklich, daß die zur Berathung stehende Vorlage nur in sehr mäßigem
Grade für die deutsche Reichsregierung ein Mittel biete, den Schaden fremder
Zollpolitik abzuwehren, und daß er die Annahme der Vorlage lediglich als
eine Abschlagszahlung betrachte. Der Kanzler fügte hinzu -- nachdem er
vorher mit starkem Vertrauen einem Gegner zugerufen, der dem Kanzler
langes Leben gewünscht, um seine eigene Niederlage zu erleben, daß der
Gegner vielmehr gezwungen sein werde, die Berechtigung der Politik des
Kanzlers anzuerkennen -- daß er, der Kanzler, gleichwohl nicht verantwortlich
sei für den Gesammtumfang der deutschen Politik. Er sei nur verantwortlich,
sagte er mit einer scherzhaften Wendung, für die politische Politik; für die
wirthschaftliche Politik, wo man ihn zum Dilettanten erklärt habe, sei der




") Es dürfte unserm Correspondenten schwer werden, für diesen Satz frcihändlerische
D. Red. Autoritäten zu benennen. Ebenso sind die folgenden Sätze verzerrt.
D. Red. -) Auch das ist vorläufig noch nicht richtig.

So begründet nun also die Retorsionsmaßregel in diesem Fall ist, und
so sehr die bezügliche Gesetzvorlage vom 7. Dezember lediglich auf diesen
einzelnen Fall eingerichtet ist, so kann doch der Riß in das freihändlerische
Dogma nicht geleugnet werden. Nach diesem Dogma liegt bekanntlich die
höchste Weisheit und Blüthe der Freihandelspolitik darin : daß man fremden
Waaren niemals den Eingang wehrt, auch wenn das Ausland sich noch so
hermetisch verschließt.*) Nach diesem Dogma trägt den Schaden allemal der,
der sich abschließt, den Vortheil hat allemal der, der die Waare zuläßt; das
ganze Geheimniß der Volkswirthschaft besteht nämlich darin, billig zu kaufen;
das Ausland thut uns also den größten Gefallen, wenn es aufbietet, was
es kann, uns die Waare billig ins Haus zu bringen; die deutschen Con-
sumenten müßten der französischen Regierung eine Dankadresse poliren, daß
sie zu ihrer, der Consumenten, Gunsten eine Ausfuhrprämie vertheilt. Diese
Art von Weisheit ist zwar consequent, aber der falsche Ansatz, der in der
Voraussetzung steckt, wird nachgerade vielseitig erkannt. Sofern ist die jetzt
vorgeschlagene Retorsionsbill eine Maßregel von großer Bedeutung, als
grundsätzliche Freihändler wie die betreffenden preußischen Fachminister Zeugniß
ablegen, daß die Freihandelspolitik ihre Grenze haben müsse. Was in dem
einen Falle nothwendig geworden, kann es auch in dem anderen werden.
So wie die Lage der Handelspolitik bei den europäischen Nationen sich zu
gestalten den Weg nimmt**), können wir gezwungen werden, in ein ausge¬
breitetes System von Retorsionsmaßregeln einzutreten, wenn wir einmal
den Grundsatz aufgegeben haben, daß die vortheilhafteste Lage ist, unter
Schutzzöllnern allein dem Freihandel zu huldigen.

Diese Sachlage erhielt durch die Worte des Reichskanzlers bei der Be.
rathung am 12. Dezember eine scharfe Beleuchtung. Der Reichskanzler sagte
ausdrücklich, daß die zur Berathung stehende Vorlage nur in sehr mäßigem
Grade für die deutsche Reichsregierung ein Mittel biete, den Schaden fremder
Zollpolitik abzuwehren, und daß er die Annahme der Vorlage lediglich als
eine Abschlagszahlung betrachte. Der Kanzler fügte hinzu — nachdem er
vorher mit starkem Vertrauen einem Gegner zugerufen, der dem Kanzler
langes Leben gewünscht, um seine eigene Niederlage zu erleben, daß der
Gegner vielmehr gezwungen sein werde, die Berechtigung der Politik des
Kanzlers anzuerkennen — daß er, der Kanzler, gleichwohl nicht verantwortlich
sei für den Gesammtumfang der deutschen Politik. Er sei nur verantwortlich,
sagte er mit einer scherzhaften Wendung, für die politische Politik; für die
wirthschaftliche Politik, wo man ihn zum Dilettanten erklärt habe, sei der




") Es dürfte unserm Correspondenten schwer werden, für diesen Satz frcihändlerische
D. Red. Autoritäten zu benennen. Ebenso sind die folgenden Sätze verzerrt.
D. Red. -) Auch das ist vorläufig noch nicht richtig.
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[0518] So begründet nun also die Retorsionsmaßregel in diesem Fall ist, und so sehr die bezügliche Gesetzvorlage vom 7. Dezember lediglich auf diesen einzelnen Fall eingerichtet ist, so kann doch der Riß in das freihändlerische Dogma nicht geleugnet werden. Nach diesem Dogma liegt bekanntlich die höchste Weisheit und Blüthe der Freihandelspolitik darin : daß man fremden Waaren niemals den Eingang wehrt, auch wenn das Ausland sich noch so hermetisch verschließt.*) Nach diesem Dogma trägt den Schaden allemal der, der sich abschließt, den Vortheil hat allemal der, der die Waare zuläßt; das ganze Geheimniß der Volkswirthschaft besteht nämlich darin, billig zu kaufen; das Ausland thut uns also den größten Gefallen, wenn es aufbietet, was es kann, uns die Waare billig ins Haus zu bringen; die deutschen Con- sumenten müßten der französischen Regierung eine Dankadresse poliren, daß sie zu ihrer, der Consumenten, Gunsten eine Ausfuhrprämie vertheilt. Diese Art von Weisheit ist zwar consequent, aber der falsche Ansatz, der in der Voraussetzung steckt, wird nachgerade vielseitig erkannt. Sofern ist die jetzt vorgeschlagene Retorsionsbill eine Maßregel von großer Bedeutung, als grundsätzliche Freihändler wie die betreffenden preußischen Fachminister Zeugniß ablegen, daß die Freihandelspolitik ihre Grenze haben müsse. Was in dem einen Falle nothwendig geworden, kann es auch in dem anderen werden. So wie die Lage der Handelspolitik bei den europäischen Nationen sich zu gestalten den Weg nimmt**), können wir gezwungen werden, in ein ausge¬ breitetes System von Retorsionsmaßregeln einzutreten, wenn wir einmal den Grundsatz aufgegeben haben, daß die vortheilhafteste Lage ist, unter Schutzzöllnern allein dem Freihandel zu huldigen. Diese Sachlage erhielt durch die Worte des Reichskanzlers bei der Be. rathung am 12. Dezember eine scharfe Beleuchtung. Der Reichskanzler sagte ausdrücklich, daß die zur Berathung stehende Vorlage nur in sehr mäßigem Grade für die deutsche Reichsregierung ein Mittel biete, den Schaden fremder Zollpolitik abzuwehren, und daß er die Annahme der Vorlage lediglich als eine Abschlagszahlung betrachte. Der Kanzler fügte hinzu — nachdem er vorher mit starkem Vertrauen einem Gegner zugerufen, der dem Kanzler langes Leben gewünscht, um seine eigene Niederlage zu erleben, daß der Gegner vielmehr gezwungen sein werde, die Berechtigung der Politik des Kanzlers anzuerkennen — daß er, der Kanzler, gleichwohl nicht verantwortlich sei für den Gesammtumfang der deutschen Politik. Er sei nur verantwortlich, sagte er mit einer scherzhaften Wendung, für die politische Politik; für die wirthschaftliche Politik, wo man ihn zum Dilettanten erklärt habe, sei der ") Es dürfte unserm Correspondenten schwer werden, für diesen Satz frcihändlerische D. Red. Autoritäten zu benennen. Ebenso sind die folgenden Sätze verzerrt. D. Red. -) Auch das ist vorläufig noch nicht richtig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/518>, abgerufen am 27.09.2024.