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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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welche in den vorhergehenden Betrachtungen nicht schon einige Berücksichtigung
gefunden haben. '

Wir werden die Vorzüge des Privat- und des Staatsbahnsystems daher
nur noch mit einander abwägen in Beziehung auf das Eigenthum, auf den
Betrieb und den Tarif.

Das wichtigste Verhältniß im Eisenbahnwesen, bei welchem sich die Vor¬
züge der beiden Systeme gegenüber den öffentlichen Interessen am klarsten
Prüfen lassen, ist die Frage des Eigenthums. Denn die Untersuchung der"
selben läßt sich am reinsten von allen das eigentliche Sachverhältniß trübenden
Nebeninteressen trennen. Wir wollen sofort noch klarer auseinandersetzen,
was wir unter dieser Trübung der Sache verstehen. Wir haben nämlich
gefunden, daß in dem Streit um den Plan der Neichseisenbahnen viel zu
häufig willkürlich oder unwillkürlich der Fehler gemacht wird, daß bei Ver-
gleichungen der Erfolge der Privat- und der Staatsbahnen nicht von den
gleichen Voraussetzungen ausgegangen wird. Bei dem Vergleich verschieden
gearteter Faktoren kann aber kein richtiges Resultat sich ergeben.

Wir müssen vorausschicken, daß wir von der Voraussetzung ausgehen,
daß die Verwaltung der beiden Systeme, welche wir betrachten, ihre normal¬
mäßige Pflicht erfüllen, denn abnorme Fehler oder Irrthümer würden nicht
dem System zur Last gelegt werden können. Wir könnten z. B. Ver¬
luste, welche einer Privatbahn zustoßen würden, weil ihre Verwaltung zu¬
fällig in die Hände von Schwindlern, Ignoranten oder Betrügern fiel, nicht
dem System zuschreiben, und wenn ein im Verfall begriffenes Staatswesen,
wie z. B. die Türkei, Staatsbahnen besäße, welche sie schlecht verwaltete, so
könnte auch dies nicht dem System der Staatsbahnen zur Last gelegt werden.

Um gleich vom Anfang an zu beginnen, steht auf Seiten des Staats¬
bahnsystems bei der Errichtung der Bahnen der Vortheil, daß es von dem
Spiel der Agiotage und der Jagd nach Dividenden mit dem ganzen An¬
hängsel von Ausbeutung des öffentlichen Interesses durch den Privateigennutz
befreit bleibt. Wir wollen zwar gerecht sein und nicht verkennen, daß auch
der Privateisenbahnbau ursprünglich sich nach dem öffentlichen Bedürfniß
gerichtet hat, allein ebenso häufig ist es die Hoffnung auf Erlangung von
Gründergewinn und anderen Vortheilen, welche die Errichtung von Eisenbahn¬
linien veranlaßt hat. In Zeiten des industriellen Aufschwunges, welche
Handelskrisen vorherzugehen pflegen und wo die Leichtgläubigkeit des Pub¬
likums stets einen hohen Grad erreicht, nehmen es die Gründer gar nicht
genau mit dem Bedürfniß und mit der Rentabilität einer neuen Eisenbahn.
Der eracte Nachweis wird dann durch pomphafte Anpreisungen ersetzt, und
da die Concessionsertheilung von Seiten der Regierung im Publikum den
Glauben erweckt, als ob die Solidität und Rentabilität des neuen Unter-


welche in den vorhergehenden Betrachtungen nicht schon einige Berücksichtigung
gefunden haben. '

Wir werden die Vorzüge des Privat- und des Staatsbahnsystems daher
nur noch mit einander abwägen in Beziehung auf das Eigenthum, auf den
Betrieb und den Tarif.

Das wichtigste Verhältniß im Eisenbahnwesen, bei welchem sich die Vor¬
züge der beiden Systeme gegenüber den öffentlichen Interessen am klarsten
Prüfen lassen, ist die Frage des Eigenthums. Denn die Untersuchung der«
selben läßt sich am reinsten von allen das eigentliche Sachverhältniß trübenden
Nebeninteressen trennen. Wir wollen sofort noch klarer auseinandersetzen,
was wir unter dieser Trübung der Sache verstehen. Wir haben nämlich
gefunden, daß in dem Streit um den Plan der Neichseisenbahnen viel zu
häufig willkürlich oder unwillkürlich der Fehler gemacht wird, daß bei Ver-
gleichungen der Erfolge der Privat- und der Staatsbahnen nicht von den
gleichen Voraussetzungen ausgegangen wird. Bei dem Vergleich verschieden
gearteter Faktoren kann aber kein richtiges Resultat sich ergeben.

Wir müssen vorausschicken, daß wir von der Voraussetzung ausgehen,
daß die Verwaltung der beiden Systeme, welche wir betrachten, ihre normal¬
mäßige Pflicht erfüllen, denn abnorme Fehler oder Irrthümer würden nicht
dem System zur Last gelegt werden können. Wir könnten z. B. Ver¬
luste, welche einer Privatbahn zustoßen würden, weil ihre Verwaltung zu¬
fällig in die Hände von Schwindlern, Ignoranten oder Betrügern fiel, nicht
dem System zuschreiben, und wenn ein im Verfall begriffenes Staatswesen,
wie z. B. die Türkei, Staatsbahnen besäße, welche sie schlecht verwaltete, so
könnte auch dies nicht dem System der Staatsbahnen zur Last gelegt werden.

Um gleich vom Anfang an zu beginnen, steht auf Seiten des Staats¬
bahnsystems bei der Errichtung der Bahnen der Vortheil, daß es von dem
Spiel der Agiotage und der Jagd nach Dividenden mit dem ganzen An¬
hängsel von Ausbeutung des öffentlichen Interesses durch den Privateigennutz
befreit bleibt. Wir wollen zwar gerecht sein und nicht verkennen, daß auch
der Privateisenbahnbau ursprünglich sich nach dem öffentlichen Bedürfniß
gerichtet hat, allein ebenso häufig ist es die Hoffnung auf Erlangung von
Gründergewinn und anderen Vortheilen, welche die Errichtung von Eisenbahn¬
linien veranlaßt hat. In Zeiten des industriellen Aufschwunges, welche
Handelskrisen vorherzugehen pflegen und wo die Leichtgläubigkeit des Pub¬
likums stets einen hohen Grad erreicht, nehmen es die Gründer gar nicht
genau mit dem Bedürfniß und mit der Rentabilität einer neuen Eisenbahn.
Der eracte Nachweis wird dann durch pomphafte Anpreisungen ersetzt, und
da die Concessionsertheilung von Seiten der Regierung im Publikum den
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[0505] welche in den vorhergehenden Betrachtungen nicht schon einige Berücksichtigung gefunden haben. ' Wir werden die Vorzüge des Privat- und des Staatsbahnsystems daher nur noch mit einander abwägen in Beziehung auf das Eigenthum, auf den Betrieb und den Tarif. Das wichtigste Verhältniß im Eisenbahnwesen, bei welchem sich die Vor¬ züge der beiden Systeme gegenüber den öffentlichen Interessen am klarsten Prüfen lassen, ist die Frage des Eigenthums. Denn die Untersuchung der« selben läßt sich am reinsten von allen das eigentliche Sachverhältniß trübenden Nebeninteressen trennen. Wir wollen sofort noch klarer auseinandersetzen, was wir unter dieser Trübung der Sache verstehen. Wir haben nämlich gefunden, daß in dem Streit um den Plan der Neichseisenbahnen viel zu häufig willkürlich oder unwillkürlich der Fehler gemacht wird, daß bei Ver- gleichungen der Erfolge der Privat- und der Staatsbahnen nicht von den gleichen Voraussetzungen ausgegangen wird. Bei dem Vergleich verschieden gearteter Faktoren kann aber kein richtiges Resultat sich ergeben. Wir müssen vorausschicken, daß wir von der Voraussetzung ausgehen, daß die Verwaltung der beiden Systeme, welche wir betrachten, ihre normal¬ mäßige Pflicht erfüllen, denn abnorme Fehler oder Irrthümer würden nicht dem System zur Last gelegt werden können. Wir könnten z. B. Ver¬ luste, welche einer Privatbahn zustoßen würden, weil ihre Verwaltung zu¬ fällig in die Hände von Schwindlern, Ignoranten oder Betrügern fiel, nicht dem System zuschreiben, und wenn ein im Verfall begriffenes Staatswesen, wie z. B. die Türkei, Staatsbahnen besäße, welche sie schlecht verwaltete, so könnte auch dies nicht dem System der Staatsbahnen zur Last gelegt werden. Um gleich vom Anfang an zu beginnen, steht auf Seiten des Staats¬ bahnsystems bei der Errichtung der Bahnen der Vortheil, daß es von dem Spiel der Agiotage und der Jagd nach Dividenden mit dem ganzen An¬ hängsel von Ausbeutung des öffentlichen Interesses durch den Privateigennutz befreit bleibt. Wir wollen zwar gerecht sein und nicht verkennen, daß auch der Privateisenbahnbau ursprünglich sich nach dem öffentlichen Bedürfniß gerichtet hat, allein ebenso häufig ist es die Hoffnung auf Erlangung von Gründergewinn und anderen Vortheilen, welche die Errichtung von Eisenbahn¬ linien veranlaßt hat. In Zeiten des industriellen Aufschwunges, welche Handelskrisen vorherzugehen pflegen und wo die Leichtgläubigkeit des Pub¬ likums stets einen hohen Grad erreicht, nehmen es die Gründer gar nicht genau mit dem Bedürfniß und mit der Rentabilität einer neuen Eisenbahn. Der eracte Nachweis wird dann durch pomphafte Anpreisungen ersetzt, und da die Concessionsertheilung von Seiten der Regierung im Publikum den Glauben erweckt, als ob die Solidität und Rentabilität des neuen Unter-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/505>, abgerufen am 27.09.2024.