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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Mißlang sein Borhaben. Als das Mädchen endlich zur Heirathsfähigkeit erwachsen
war, führte er sie an das Gestade des Meeres, um sie zu ertränken, aber er
empfand Mitleid mit ihr, und so warf er nur einen Ring in die See und
gebot ihr, nicht eher wieder ihm vor die Augen zu kommen, als bis sie ihm
den Ring überbringen könne. Widrigenfalls solle sie auf der Stelle den
Tod erleiden. Sie wurde darauf Köchin im Hause eines Nachbarn -des
Ritters, und hier fand sie den Ring in einem Stockfisch, den sie schlachtete.
Natürlich heirathete sie jetzt ihren Verfolger. Die Ballade verlegt den Schau¬
platz dieser Geschichte nach Uorkshire, und nach der Volksmeinung war die
Heldin derselben Lady Berry, die in der Kirche zu Stepney unter einem
Denkmale begraben liegt, auf welchem sich ein Fisch und ein Ring befinden.
Es ist aber selbstverständlich nur die alte Mythe, die durch die ganze arische
Welt fluthet, sich bald hier, bald dort festsetzt, bald den, bald jenen Namen
in sich aufnimmt und bald diesem, bald jenem Satze des Sittengesetzes als
Beispiel dienen muß. Selbst in der nachstehenden Erzählung, die sich in
dem großen Werke des Kirchenvaters Augustinus ,,1)6 Oivitg,te voi" findet,
läßt sie sich erkennen.

Zu Hippo (der nordafrikanischen Stadt, wo Augustinus Bischof war)
lebte ein alter Mann, ein Mitbürger von uns, Namens Florentius, seines
Gewerbes ein Schneider, fromm aber arm. Der hatte seinen Mantel ver¬
loren und wußte nicht, wie er sich einen andern kaufen sollte. Gewisse leicht¬
fertige Jünglinge, die zugegen waren und ihn klagen hörten, folgten ihm
nach, als er hinabging nach dem Meere, und spotteten sein, indem sie ihm
vorwarfen, er hätte die Märtyrer um die Summe von fünfzig Folles (12^
Denare) gebeten, um sich damit neu kleiden zu können. Aber Florentius
ging weiter, ohne ihrer höhnischen Reden zu achten und zu antworten, be¬
merkte einen großen Fisch, den die See ausgeworfen hatte, und der am
Strande zappelte, bemächtigte sich seiner unter dem gutherzigen Beistande
dieser selben jungen Leute und verkaufte ihn einem gewissen Koch, Namens
Carthosus, einem guten Christen, um 300 Folles (75 Denare) zum Einsalzen,
indem er ihm zugleich erzählte, was sich begeben. Er fügte hinzu, daß er
für das Geld Wolle zu kaufen gedenke, damit seine Frau daraus, so gut sie
könne, etwas für ihn mache, womit er sich kleiden möge. Aber der Koch
fand, als er den Fisch ausschnitt, in seinem Innern einen goldenen Ring,
und da er Mitleid fühlte und zugleich sein Gewissen ihm sagte, daß der Ring
ihm nicht gehöre, so stellte er ihn dem Florentius zurück, indem er sagte:
"Siehe, wie die zwanzig Märtyrer dich kleiden."

Endlich sind ohne Zweifel eine Anzahl von Ringgeschichten aus neuester
Zeit directe und indirecte Abkömmlinge der alten Mythe, obwohl einige
von ihnen wahr sein werden, da bekannt ist, daß Fische, namentlich Makrelen,


Mißlang sein Borhaben. Als das Mädchen endlich zur Heirathsfähigkeit erwachsen
war, führte er sie an das Gestade des Meeres, um sie zu ertränken, aber er
empfand Mitleid mit ihr, und so warf er nur einen Ring in die See und
gebot ihr, nicht eher wieder ihm vor die Augen zu kommen, als bis sie ihm
den Ring überbringen könne. Widrigenfalls solle sie auf der Stelle den
Tod erleiden. Sie wurde darauf Köchin im Hause eines Nachbarn -des
Ritters, und hier fand sie den Ring in einem Stockfisch, den sie schlachtete.
Natürlich heirathete sie jetzt ihren Verfolger. Die Ballade verlegt den Schau¬
platz dieser Geschichte nach Uorkshire, und nach der Volksmeinung war die
Heldin derselben Lady Berry, die in der Kirche zu Stepney unter einem
Denkmale begraben liegt, auf welchem sich ein Fisch und ein Ring befinden.
Es ist aber selbstverständlich nur die alte Mythe, die durch die ganze arische
Welt fluthet, sich bald hier, bald dort festsetzt, bald den, bald jenen Namen
in sich aufnimmt und bald diesem, bald jenem Satze des Sittengesetzes als
Beispiel dienen muß. Selbst in der nachstehenden Erzählung, die sich in
dem großen Werke des Kirchenvaters Augustinus ,,1)6 Oivitg,te voi» findet,
läßt sie sich erkennen.

Zu Hippo (der nordafrikanischen Stadt, wo Augustinus Bischof war)
lebte ein alter Mann, ein Mitbürger von uns, Namens Florentius, seines
Gewerbes ein Schneider, fromm aber arm. Der hatte seinen Mantel ver¬
loren und wußte nicht, wie er sich einen andern kaufen sollte. Gewisse leicht¬
fertige Jünglinge, die zugegen waren und ihn klagen hörten, folgten ihm
nach, als er hinabging nach dem Meere, und spotteten sein, indem sie ihm
vorwarfen, er hätte die Märtyrer um die Summe von fünfzig Folles (12^
Denare) gebeten, um sich damit neu kleiden zu können. Aber Florentius
ging weiter, ohne ihrer höhnischen Reden zu achten und zu antworten, be¬
merkte einen großen Fisch, den die See ausgeworfen hatte, und der am
Strande zappelte, bemächtigte sich seiner unter dem gutherzigen Beistande
dieser selben jungen Leute und verkaufte ihn einem gewissen Koch, Namens
Carthosus, einem guten Christen, um 300 Folles (75 Denare) zum Einsalzen,
indem er ihm zugleich erzählte, was sich begeben. Er fügte hinzu, daß er
für das Geld Wolle zu kaufen gedenke, damit seine Frau daraus, so gut sie
könne, etwas für ihn mache, womit er sich kleiden möge. Aber der Koch
fand, als er den Fisch ausschnitt, in seinem Innern einen goldenen Ring,
und da er Mitleid fühlte und zugleich sein Gewissen ihm sagte, daß der Ring
ihm nicht gehöre, so stellte er ihn dem Florentius zurück, indem er sagte:
»Siehe, wie die zwanzig Märtyrer dich kleiden."

Endlich sind ohne Zweifel eine Anzahl von Ringgeschichten aus neuester
Zeit directe und indirecte Abkömmlinge der alten Mythe, obwohl einige
von ihnen wahr sein werden, da bekannt ist, daß Fische, namentlich Makrelen,


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[0491] Mißlang sein Borhaben. Als das Mädchen endlich zur Heirathsfähigkeit erwachsen war, führte er sie an das Gestade des Meeres, um sie zu ertränken, aber er empfand Mitleid mit ihr, und so warf er nur einen Ring in die See und gebot ihr, nicht eher wieder ihm vor die Augen zu kommen, als bis sie ihm den Ring überbringen könne. Widrigenfalls solle sie auf der Stelle den Tod erleiden. Sie wurde darauf Köchin im Hause eines Nachbarn -des Ritters, und hier fand sie den Ring in einem Stockfisch, den sie schlachtete. Natürlich heirathete sie jetzt ihren Verfolger. Die Ballade verlegt den Schau¬ platz dieser Geschichte nach Uorkshire, und nach der Volksmeinung war die Heldin derselben Lady Berry, die in der Kirche zu Stepney unter einem Denkmale begraben liegt, auf welchem sich ein Fisch und ein Ring befinden. Es ist aber selbstverständlich nur die alte Mythe, die durch die ganze arische Welt fluthet, sich bald hier, bald dort festsetzt, bald den, bald jenen Namen in sich aufnimmt und bald diesem, bald jenem Satze des Sittengesetzes als Beispiel dienen muß. Selbst in der nachstehenden Erzählung, die sich in dem großen Werke des Kirchenvaters Augustinus ,,1)6 Oivitg,te voi» findet, läßt sie sich erkennen. Zu Hippo (der nordafrikanischen Stadt, wo Augustinus Bischof war) lebte ein alter Mann, ein Mitbürger von uns, Namens Florentius, seines Gewerbes ein Schneider, fromm aber arm. Der hatte seinen Mantel ver¬ loren und wußte nicht, wie er sich einen andern kaufen sollte. Gewisse leicht¬ fertige Jünglinge, die zugegen waren und ihn klagen hörten, folgten ihm nach, als er hinabging nach dem Meere, und spotteten sein, indem sie ihm vorwarfen, er hätte die Märtyrer um die Summe von fünfzig Folles (12^ Denare) gebeten, um sich damit neu kleiden zu können. Aber Florentius ging weiter, ohne ihrer höhnischen Reden zu achten und zu antworten, be¬ merkte einen großen Fisch, den die See ausgeworfen hatte, und der am Strande zappelte, bemächtigte sich seiner unter dem gutherzigen Beistande dieser selben jungen Leute und verkaufte ihn einem gewissen Koch, Namens Carthosus, einem guten Christen, um 300 Folles (75 Denare) zum Einsalzen, indem er ihm zugleich erzählte, was sich begeben. Er fügte hinzu, daß er für das Geld Wolle zu kaufen gedenke, damit seine Frau daraus, so gut sie könne, etwas für ihn mache, womit er sich kleiden möge. Aber der Koch fand, als er den Fisch ausschnitt, in seinem Innern einen goldenen Ring, und da er Mitleid fühlte und zugleich sein Gewissen ihm sagte, daß der Ring ihm nicht gehöre, so stellte er ihn dem Florentius zurück, indem er sagte: »Siehe, wie die zwanzig Märtyrer dich kleiden." Endlich sind ohne Zweifel eine Anzahl von Ringgeschichten aus neuester Zeit directe und indirecte Abkömmlinge der alten Mythe, obwohl einige von ihnen wahr sein werden, da bekannt ist, daß Fische, namentlich Makrelen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/491>, abgerufen am 27.09.2024.