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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Der Kern dieser Sage -- ein verloren gegangener und in einem Fische
wiedergefundener Ring -- hat seine Heimath in Nordwest-Jndien, im Lande
der fünf Ströme, von wo sowohl die Arier, die das Gangesgebiet eroberten,
als die. welche nach Europa zogen und dort als Hellenen und Italer oder
als Germanen sich niederließen, ausgezogen sind. Unter den Letzteren nahm
die Mythe zunächst die Form an, die wir in der Edda antreffen: Der Zwerg
Andvari hält sich in Fischgestalt an Wasserfällen auf, um da den Gold¬
ring zu hüten, welcher später zum Untergange der Nibelungen führt. Unter
den Griechen wurde jener Kern allmählig und durch jedenfalls viel einfachere
Metamorphosen hindurch zu dem, was Herodot von Polykrates berichtet.
Unter den östlichen Ariern, den Hindu, begegnen wir ihm in dem anmuthigen
Drama Kalidasas, welches die Liebe des Büßermädchens Sakuntala und des
Königs Duschanta behandelt,

Sakuntala hat von ihrem Geliebten, der sie auf einem Jagdzuge kennen
gelernt und sich hier mit ihr vermählt hat. zum Zeichen dessen einen Ring
bekommen. Während der König wieder heimgekehrt ist, beleidigt seine Braut
unwissentlich einen Heiligen, und dieser wünscht ihr an, der König solle ihrer
so lange vergessen, bis er durch ein Erkennungszeichen an sie erinnert werde.
Nach einiger' Zeit erfüllt sich dieser Fluch. Sakuntala wird nach etlichen
Monaten von ihren Verwandten in das Schloß Duschantas gebracht, und
dieser erkennt sie wirklich nicht wieder. Den Ring aber, der ihn erinnern
könnte, hat sie im Bade verloren. Bekümmert begiebt sie sich in ihren
Büßerhain zurück, wo sie einen Knaben, das Kind des Königs, gebiert. Nicht
lange darauf bringen Gerichtsdiener einen Fischer vor Duschanta, der den Ring
mit dessen Namenszug in einem Karpfen gefunden hat, und dieser Ring führt
die Verlobten wieder zusammen.

Auch semitische Völker, Araber und Juden, kennen diese Mythe, die
ihnen entweder aus Indien, oder und zwar wahrscheinlicher von den Griechen
überliefert worden sein wird. Nach rabbinischer Legende hatte Salomo einen
Siegelring. auf dem das mystische Schein Hamphorasch (der unaussprechliche
Name Gottes) stand, und der ihm den wunderbaren Schamir verschaffte,
sicher ihn in den Stand setzte, den Tempel zu erbauen, auch ihn zu aller¬
lei Zauberwerk befähigte, ihn jeden Tag in den Himmel versetzte, wo er die
Geheimnisse des Alls erfuhr, u. d. in, Hochmüthig geworden, übergab er
^eher Zauberring eines Tages dem Aschmedaj. seinem dienenden Geiste, der
ihn alsbald ins Meer warf und auf diese Weise frei wurde. Salomo verlor
dadurch alle seine Weisheit und Macht, und sein früherer Knecht wurde
König über Israel, als welcher er drei Jahre regierte, während jener in der
Verbannung herumirrte, bis er den Ring endlich im Bauche eines Fisches
wiederfand. Aehnlich lautet die arabische Tradition, nach welcher Salomon,


Der Kern dieser Sage — ein verloren gegangener und in einem Fische
wiedergefundener Ring — hat seine Heimath in Nordwest-Jndien, im Lande
der fünf Ströme, von wo sowohl die Arier, die das Gangesgebiet eroberten,
als die. welche nach Europa zogen und dort als Hellenen und Italer oder
als Germanen sich niederließen, ausgezogen sind. Unter den Letzteren nahm
die Mythe zunächst die Form an, die wir in der Edda antreffen: Der Zwerg
Andvari hält sich in Fischgestalt an Wasserfällen auf, um da den Gold¬
ring zu hüten, welcher später zum Untergange der Nibelungen führt. Unter
den Griechen wurde jener Kern allmählig und durch jedenfalls viel einfachere
Metamorphosen hindurch zu dem, was Herodot von Polykrates berichtet.
Unter den östlichen Ariern, den Hindu, begegnen wir ihm in dem anmuthigen
Drama Kalidasas, welches die Liebe des Büßermädchens Sakuntala und des
Königs Duschanta behandelt,

Sakuntala hat von ihrem Geliebten, der sie auf einem Jagdzuge kennen
gelernt und sich hier mit ihr vermählt hat. zum Zeichen dessen einen Ring
bekommen. Während der König wieder heimgekehrt ist, beleidigt seine Braut
unwissentlich einen Heiligen, und dieser wünscht ihr an, der König solle ihrer
so lange vergessen, bis er durch ein Erkennungszeichen an sie erinnert werde.
Nach einiger' Zeit erfüllt sich dieser Fluch. Sakuntala wird nach etlichen
Monaten von ihren Verwandten in das Schloß Duschantas gebracht, und
dieser erkennt sie wirklich nicht wieder. Den Ring aber, der ihn erinnern
könnte, hat sie im Bade verloren. Bekümmert begiebt sie sich in ihren
Büßerhain zurück, wo sie einen Knaben, das Kind des Königs, gebiert. Nicht
lange darauf bringen Gerichtsdiener einen Fischer vor Duschanta, der den Ring
mit dessen Namenszug in einem Karpfen gefunden hat, und dieser Ring führt
die Verlobten wieder zusammen.

Auch semitische Völker, Araber und Juden, kennen diese Mythe, die
ihnen entweder aus Indien, oder und zwar wahrscheinlicher von den Griechen
überliefert worden sein wird. Nach rabbinischer Legende hatte Salomo einen
Siegelring. auf dem das mystische Schein Hamphorasch (der unaussprechliche
Name Gottes) stand, und der ihm den wunderbaren Schamir verschaffte,
sicher ihn in den Stand setzte, den Tempel zu erbauen, auch ihn zu aller¬
lei Zauberwerk befähigte, ihn jeden Tag in den Himmel versetzte, wo er die
Geheimnisse des Alls erfuhr, u. d. in, Hochmüthig geworden, übergab er
^eher Zauberring eines Tages dem Aschmedaj. seinem dienenden Geiste, der
ihn alsbald ins Meer warf und auf diese Weise frei wurde. Salomo verlor
dadurch alle seine Weisheit und Macht, und sein früherer Knecht wurde
König über Israel, als welcher er drei Jahre regierte, während jener in der
Verbannung herumirrte, bis er den Ring endlich im Bauche eines Fisches
wiederfand. Aehnlich lautet die arabische Tradition, nach welcher Salomon,


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[0487] Der Kern dieser Sage — ein verloren gegangener und in einem Fische wiedergefundener Ring — hat seine Heimath in Nordwest-Jndien, im Lande der fünf Ströme, von wo sowohl die Arier, die das Gangesgebiet eroberten, als die. welche nach Europa zogen und dort als Hellenen und Italer oder als Germanen sich niederließen, ausgezogen sind. Unter den Letzteren nahm die Mythe zunächst die Form an, die wir in der Edda antreffen: Der Zwerg Andvari hält sich in Fischgestalt an Wasserfällen auf, um da den Gold¬ ring zu hüten, welcher später zum Untergange der Nibelungen führt. Unter den Griechen wurde jener Kern allmählig und durch jedenfalls viel einfachere Metamorphosen hindurch zu dem, was Herodot von Polykrates berichtet. Unter den östlichen Ariern, den Hindu, begegnen wir ihm in dem anmuthigen Drama Kalidasas, welches die Liebe des Büßermädchens Sakuntala und des Königs Duschanta behandelt, Sakuntala hat von ihrem Geliebten, der sie auf einem Jagdzuge kennen gelernt und sich hier mit ihr vermählt hat. zum Zeichen dessen einen Ring bekommen. Während der König wieder heimgekehrt ist, beleidigt seine Braut unwissentlich einen Heiligen, und dieser wünscht ihr an, der König solle ihrer so lange vergessen, bis er durch ein Erkennungszeichen an sie erinnert werde. Nach einiger' Zeit erfüllt sich dieser Fluch. Sakuntala wird nach etlichen Monaten von ihren Verwandten in das Schloß Duschantas gebracht, und dieser erkennt sie wirklich nicht wieder. Den Ring aber, der ihn erinnern könnte, hat sie im Bade verloren. Bekümmert begiebt sie sich in ihren Büßerhain zurück, wo sie einen Knaben, das Kind des Königs, gebiert. Nicht lange darauf bringen Gerichtsdiener einen Fischer vor Duschanta, der den Ring mit dessen Namenszug in einem Karpfen gefunden hat, und dieser Ring führt die Verlobten wieder zusammen. Auch semitische Völker, Araber und Juden, kennen diese Mythe, die ihnen entweder aus Indien, oder und zwar wahrscheinlicher von den Griechen überliefert worden sein wird. Nach rabbinischer Legende hatte Salomo einen Siegelring. auf dem das mystische Schein Hamphorasch (der unaussprechliche Name Gottes) stand, und der ihm den wunderbaren Schamir verschaffte, sicher ihn in den Stand setzte, den Tempel zu erbauen, auch ihn zu aller¬ lei Zauberwerk befähigte, ihn jeden Tag in den Himmel versetzte, wo er die Geheimnisse des Alls erfuhr, u. d. in, Hochmüthig geworden, übergab er ^eher Zauberring eines Tages dem Aschmedaj. seinem dienenden Geiste, der ihn alsbald ins Meer warf und auf diese Weise frei wurde. Salomo verlor dadurch alle seine Weisheit und Macht, und sein früherer Knecht wurde König über Israel, als welcher er drei Jahre regierte, während jener in der Verbannung herumirrte, bis er den Ring endlich im Bauche eines Fisches wiederfand. Aehnlich lautet die arabische Tradition, nach welcher Salomon,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/487>, abgerufen am 27.09.2024.