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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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ebenso einmüthig als widerwillig die wichtige Stellung Deutschlands und
die Größe des deutschen Staatsmannes empfinden, ein Mensch auftritt, der
eine Jnterpellation damit beginnt, daß er den Kanzler einen Dilettanten
nennt und ihm in's Gesicht sagt, daß er von seinen dilettantischen Einfällen
im Reichstag nichts durchbringen werde: Einfälle, die er, der Interpellant,
nicht ernsthaft zu nehmen vermöge? Wenn man diesen Eingang gehört hatte,
konnte man in der That gespannt sein. wie der Kanzler sich solcher selbst"
gefälligen Insolenz gegenüber verhalten würde. Und was that der Kanzler?
Er begnügte sich einfach, die langen Phrasen des Interpellanten mit einer kurzen
Phrase wiederzugeben, indem er den letzteren fragte, wie der Interpellant zu der
Hoffnung komme, durch einen Minister etwas ausgerichtet zu sehen, den der
Interpellant im Inland als Dilettanten, im Ausland als ohnmächtig gegen¬
über dem Parlament darstellt. Die Wirkung dieser Frage war in der That
eine der durchschlagendsten, die in den Berichten parlamentarischer Kämpfe
verzeichnet stehen. Man sah beinahe mit leiblichen Augen die aufgeblasene
Nichtigkeit an einen Koloß anprallen, der unbewegt nur den schwachen Hohl¬
klang des gewichtlosen Körpers wiedertönen ließ. Um das Opfer dieser
Niederlage kümmerten selbst so gute Freunde wie die Ultramontanen sich
nicht im mindesten, deren Führer, Herr Windthorst, sogar die Gelegenheit
wahrnahm, recht deutlich durchscheinen zu lassen, daß seine Partei, wenn die
Politik des Kanzlers nur ein wenig sich den Bahnen der Partei accommodiren
wollte, zum Einlenken in die vollkommene Parallele noch immer auf's schnellste
bereit ist. Indem der Reichskanzler, nachdem die polemische Arbeit spielend gethan
war, sich zum positiven Theil seiner Erklärung wandte, sprach er zunächst eine
Wahrheit von bleibendem Gehalt aus: die Wahrheit nämlich, daß die Macht-
Politik niemals in den Dienst der Handelspolitik gestellt werden darf. Wollte
eine Regierung die politische Macht, das Bedürfniß anderer Nationen, mit
ihr Alliancen einzugehen, und ähnliche Verhältnisse zur Erlangung handels¬
politischer Vortheile benutzen, so würden alle natürlichen oder vermeintlichen
Interessen fremder Völker gegen eine solche Regierung arbeiten. Die von
der englischen Politik so lange gehandhabte Methode, durch die politische
Macht die Handelsinteressen zu fördern, hat unter anderem zum Verlust der
nordamerikanischen Colonien geführt und wird schließlich nur noch von
barbarischen und halbbarbarischen Nationen widerwillig ertragen. Dieses
System hat am meisten dazu beigetragen, daß die Stellung Englands unter
den civilisirten Nationen mehr und mehr eine isolirte geworden ist, die Stellung
einer asiatischen Macht, mit welcher Bezeichnung einmal ein englischer Staats¬
mann die zunehmende Schwächung des englischen Einflusses in Europa zu
verdecken meinte.


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ebenso einmüthig als widerwillig die wichtige Stellung Deutschlands und
die Größe des deutschen Staatsmannes empfinden, ein Mensch auftritt, der
eine Jnterpellation damit beginnt, daß er den Kanzler einen Dilettanten
nennt und ihm in's Gesicht sagt, daß er von seinen dilettantischen Einfällen
im Reichstag nichts durchbringen werde: Einfälle, die er, der Interpellant,
nicht ernsthaft zu nehmen vermöge? Wenn man diesen Eingang gehört hatte,
konnte man in der That gespannt sein. wie der Kanzler sich solcher selbst"
gefälligen Insolenz gegenüber verhalten würde. Und was that der Kanzler?
Er begnügte sich einfach, die langen Phrasen des Interpellanten mit einer kurzen
Phrase wiederzugeben, indem er den letzteren fragte, wie der Interpellant zu der
Hoffnung komme, durch einen Minister etwas ausgerichtet zu sehen, den der
Interpellant im Inland als Dilettanten, im Ausland als ohnmächtig gegen¬
über dem Parlament darstellt. Die Wirkung dieser Frage war in der That
eine der durchschlagendsten, die in den Berichten parlamentarischer Kämpfe
verzeichnet stehen. Man sah beinahe mit leiblichen Augen die aufgeblasene
Nichtigkeit an einen Koloß anprallen, der unbewegt nur den schwachen Hohl¬
klang des gewichtlosen Körpers wiedertönen ließ. Um das Opfer dieser
Niederlage kümmerten selbst so gute Freunde wie die Ultramontanen sich
nicht im mindesten, deren Führer, Herr Windthorst, sogar die Gelegenheit
wahrnahm, recht deutlich durchscheinen zu lassen, daß seine Partei, wenn die
Politik des Kanzlers nur ein wenig sich den Bahnen der Partei accommodiren
wollte, zum Einlenken in die vollkommene Parallele noch immer auf's schnellste
bereit ist. Indem der Reichskanzler, nachdem die polemische Arbeit spielend gethan
war, sich zum positiven Theil seiner Erklärung wandte, sprach er zunächst eine
Wahrheit von bleibendem Gehalt aus: die Wahrheit nämlich, daß die Macht-
Politik niemals in den Dienst der Handelspolitik gestellt werden darf. Wollte
eine Regierung die politische Macht, das Bedürfniß anderer Nationen, mit
ihr Alliancen einzugehen, und ähnliche Verhältnisse zur Erlangung handels¬
politischer Vortheile benutzen, so würden alle natürlichen oder vermeintlichen
Interessen fremder Völker gegen eine solche Regierung arbeiten. Die von
der englischen Politik so lange gehandhabte Methode, durch die politische
Macht die Handelsinteressen zu fördern, hat unter anderem zum Verlust der
nordamerikanischen Colonien geführt und wird schließlich nur noch von
barbarischen und halbbarbarischen Nationen widerwillig ertragen. Dieses
System hat am meisten dazu beigetragen, daß die Stellung Englands unter
den civilisirten Nationen mehr und mehr eine isolirte geworden ist, die Stellung
einer asiatischen Macht, mit welcher Bezeichnung einmal ein englischer Staats¬
mann die zunehmende Schwächung des englischen Einflusses in Europa zu
verdecken meinte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/477>, abgerufen am 27.09.2024.