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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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muß doch aber ziemlich überzeugt sein, daß Niemand in seinem Leserkreise
im Besitz einer guten Karte von Deutschland ist, sonst könnte er doch kaum
wagen, derartigen Unsinn in die Welt zu setzen.

"Trotz alledem und alledem war aber Fürst Bismarck doch noch derartig
in Angst gesetzt", sicherlich eben durch das schneidige Auftreten der französi¬
schen Flotte 1870, "daß er noch im Jahre 1874 schleunigst eine Kette von
gepanzerten Forts errichten ließ, welche die ganze Küste mit einem Rosenkranz
von Geschützen größten Kalibers umgeben." "Eine neue Art von Tollheit
hat die Berliner Regierung erfaßt, die Tollheit der Befestigungen!" heißt es
wörtlich. Ganz recht, mein lieber Herr, alle diese Festungen liegen: entre;
Jo Ilolstöw se 1v LlösviA, in der Nähe der von Ihnen entdeckten Seefeste
Rendsburg, die bei einem Angriff auf den Kieler Hafen als linke Seiten¬
deckung feuert. Vermuthlich hat der Mensch von dem Grüson'schen Panzer¬
thurm gehört, und weiß nicht, wo die Glocken hängen, deren Dröhnen ihm
"patriotische Beklemmungen" verursacht. Hierfür gibt er uns auch gleich den
Beweis am Schluß seines ersten Kapitels. "Wir haben gesagt, daß der
Reichstag Alles bewilligt hatte, Schiffe, Mannschaft, Artillerie und gepanzerte
Schanzen. War er wirklich erschreckt, und hatte die Erscheinung unserer Flotte
an deutschen Küsten wirklich einen so tiefen Eindruck hervorgebracht, daß die
Nation noch jetzt zitterte im Gefühl ihrer damaligen Ohnmacht?" (Diese Phrase
ist so volltönend, daß sie auch die längsten französischen Ohren füllen muß.)
"Es wäre kindisch, wollten wir uns verhehlen/, daß der Zustand und das
Auftreten unserer Flotte keinesw'egs"so gewesen ist, um bei unseren Erbfeinden
einen so erschütternden Eindruck hervorzubringen. Unsere Flotte, aus Cher-
bourg ohne genügende Vorbereitung abgesendet, ohne' Landungsbatterien und
Landungstruppen, hat keine unserer Hoffnungen erfüllen können. Nach einem
Kreuzzug von mehreren Monaten ist sie, ohne einen Schuß Pulver zu thun,
vom Meere und von den Winden des Nordens heimgejagt worden. Ge¬
zwungen, in ihre heimathlichen Häfen einzulaufen, hat unsere Flotte den
Schmerz gehabt, eine'preußische Korvette, die Augusta, kühn ihren Kanonen
'n die Zähne durch den Kanal fahren zu sehen;" (die fürchtete sich also jeden¬
falls weniger vor der See und den Nordwinden!) "wo sie die Mündung der
Gironde blokirte und unsere Schiffe wegfing, uns verhöhnend, da wir sie ver¬
geblich zu fangen suchten. Hier lag also Nichts, was die "kostspielige" Be-
sorgniß des Reichstages wachrufen könnte. Im Gegentheile, man muß an¬
nehmen, daß die traurige Beschaffenheit unsrer Flotte bet unsern Gegnern
^e Absicht hervorrief, sie zu erreichen, wo nicht zu übertreffen. Weniger aus
Turcht, als in froher Zuversicht haben sie das Geld ausgegeben!" Und da¬
rüber wundert sich dieses Wurm noch?


Grenzboten IV. 1876. Z7

muß doch aber ziemlich überzeugt sein, daß Niemand in seinem Leserkreise
im Besitz einer guten Karte von Deutschland ist, sonst könnte er doch kaum
wagen, derartigen Unsinn in die Welt zu setzen.

„Trotz alledem und alledem war aber Fürst Bismarck doch noch derartig
in Angst gesetzt", sicherlich eben durch das schneidige Auftreten der französi¬
schen Flotte 1870, „daß er noch im Jahre 1874 schleunigst eine Kette von
gepanzerten Forts errichten ließ, welche die ganze Küste mit einem Rosenkranz
von Geschützen größten Kalibers umgeben." „Eine neue Art von Tollheit
hat die Berliner Regierung erfaßt, die Tollheit der Befestigungen!" heißt es
wörtlich. Ganz recht, mein lieber Herr, alle diese Festungen liegen: entre;
Jo Ilolstöw se 1v LlösviA, in der Nähe der von Ihnen entdeckten Seefeste
Rendsburg, die bei einem Angriff auf den Kieler Hafen als linke Seiten¬
deckung feuert. Vermuthlich hat der Mensch von dem Grüson'schen Panzer¬
thurm gehört, und weiß nicht, wo die Glocken hängen, deren Dröhnen ihm
„patriotische Beklemmungen" verursacht. Hierfür gibt er uns auch gleich den
Beweis am Schluß seines ersten Kapitels. „Wir haben gesagt, daß der
Reichstag Alles bewilligt hatte, Schiffe, Mannschaft, Artillerie und gepanzerte
Schanzen. War er wirklich erschreckt, und hatte die Erscheinung unserer Flotte
an deutschen Küsten wirklich einen so tiefen Eindruck hervorgebracht, daß die
Nation noch jetzt zitterte im Gefühl ihrer damaligen Ohnmacht?" (Diese Phrase
ist so volltönend, daß sie auch die längsten französischen Ohren füllen muß.)
„Es wäre kindisch, wollten wir uns verhehlen/, daß der Zustand und das
Auftreten unserer Flotte keinesw'egs"so gewesen ist, um bei unseren Erbfeinden
einen so erschütternden Eindruck hervorzubringen. Unsere Flotte, aus Cher-
bourg ohne genügende Vorbereitung abgesendet, ohne' Landungsbatterien und
Landungstruppen, hat keine unserer Hoffnungen erfüllen können. Nach einem
Kreuzzug von mehreren Monaten ist sie, ohne einen Schuß Pulver zu thun,
vom Meere und von den Winden des Nordens heimgejagt worden. Ge¬
zwungen, in ihre heimathlichen Häfen einzulaufen, hat unsere Flotte den
Schmerz gehabt, eine'preußische Korvette, die Augusta, kühn ihren Kanonen
'n die Zähne durch den Kanal fahren zu sehen;" (die fürchtete sich also jeden¬
falls weniger vor der See und den Nordwinden!) „wo sie die Mündung der
Gironde blokirte und unsere Schiffe wegfing, uns verhöhnend, da wir sie ver¬
geblich zu fangen suchten. Hier lag also Nichts, was die „kostspielige" Be-
sorgniß des Reichstages wachrufen könnte. Im Gegentheile, man muß an¬
nehmen, daß die traurige Beschaffenheit unsrer Flotte bet unsern Gegnern
^e Absicht hervorrief, sie zu erreichen, wo nicht zu übertreffen. Weniger aus
Turcht, als in froher Zuversicht haben sie das Geld ausgegeben!" Und da¬
rüber wundert sich dieses Wurm noch?


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[0453] muß doch aber ziemlich überzeugt sein, daß Niemand in seinem Leserkreise im Besitz einer guten Karte von Deutschland ist, sonst könnte er doch kaum wagen, derartigen Unsinn in die Welt zu setzen. „Trotz alledem und alledem war aber Fürst Bismarck doch noch derartig in Angst gesetzt", sicherlich eben durch das schneidige Auftreten der französi¬ schen Flotte 1870, „daß er noch im Jahre 1874 schleunigst eine Kette von gepanzerten Forts errichten ließ, welche die ganze Küste mit einem Rosenkranz von Geschützen größten Kalibers umgeben." „Eine neue Art von Tollheit hat die Berliner Regierung erfaßt, die Tollheit der Befestigungen!" heißt es wörtlich. Ganz recht, mein lieber Herr, alle diese Festungen liegen: entre; Jo Ilolstöw se 1v LlösviA, in der Nähe der von Ihnen entdeckten Seefeste Rendsburg, die bei einem Angriff auf den Kieler Hafen als linke Seiten¬ deckung feuert. Vermuthlich hat der Mensch von dem Grüson'schen Panzer¬ thurm gehört, und weiß nicht, wo die Glocken hängen, deren Dröhnen ihm „patriotische Beklemmungen" verursacht. Hierfür gibt er uns auch gleich den Beweis am Schluß seines ersten Kapitels. „Wir haben gesagt, daß der Reichstag Alles bewilligt hatte, Schiffe, Mannschaft, Artillerie und gepanzerte Schanzen. War er wirklich erschreckt, und hatte die Erscheinung unserer Flotte an deutschen Küsten wirklich einen so tiefen Eindruck hervorgebracht, daß die Nation noch jetzt zitterte im Gefühl ihrer damaligen Ohnmacht?" (Diese Phrase ist so volltönend, daß sie auch die längsten französischen Ohren füllen muß.) „Es wäre kindisch, wollten wir uns verhehlen/, daß der Zustand und das Auftreten unserer Flotte keinesw'egs"so gewesen ist, um bei unseren Erbfeinden einen so erschütternden Eindruck hervorzubringen. Unsere Flotte, aus Cher- bourg ohne genügende Vorbereitung abgesendet, ohne' Landungsbatterien und Landungstruppen, hat keine unserer Hoffnungen erfüllen können. Nach einem Kreuzzug von mehreren Monaten ist sie, ohne einen Schuß Pulver zu thun, vom Meere und von den Winden des Nordens heimgejagt worden. Ge¬ zwungen, in ihre heimathlichen Häfen einzulaufen, hat unsere Flotte den Schmerz gehabt, eine'preußische Korvette, die Augusta, kühn ihren Kanonen 'n die Zähne durch den Kanal fahren zu sehen;" (die fürchtete sich also jeden¬ falls weniger vor der See und den Nordwinden!) „wo sie die Mündung der Gironde blokirte und unsere Schiffe wegfing, uns verhöhnend, da wir sie ver¬ geblich zu fangen suchten. Hier lag also Nichts, was die „kostspielige" Be- sorgniß des Reichstages wachrufen könnte. Im Gegentheile, man muß an¬ nehmen, daß die traurige Beschaffenheit unsrer Flotte bet unsern Gegnern ^e Absicht hervorrief, sie zu erreichen, wo nicht zu übertreffen. Weniger aus Turcht, als in froher Zuversicht haben sie das Geld ausgegeben!" Und da¬ rüber wundert sich dieses Wurm noch? Grenzboten IV. 1876. Z7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/453>, abgerufen am 27.09.2024.