Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

erhalten hatte. Der Kaiser seinerseits entschuldigte sich mit der Türkengefahr
und begnügte sich damit, die Dörptschen und Ordensprivilegien zu bestätigen,
den Ordensmeister und den Bischof in seinen besonderen Schutz zu nehmen,
die Ausfuhr von Kriegsbedürfnissen nach Rußland zu verbieten und Livland
dem Schutze Schwedens zu empfehlen. Damit war dem Lande wenig genützt.

Im Jahre 1359, als der Nothruf der Livländer schon durch ganz Eu¬
ropa schallte, fanden die Abgesandten des Ordens und des Erzbischofs von
Riga bei dem Reichstag zu Augsburg etwas mehr williges Entgegenkommen,
das sich aber nur in dem Beschluß äußerte, den Zaren durch ein kaiserliches
Schreiben aufzufordern, von den Feindseligkeiten abzustehn und die eroberten
Landestheile zurückzugeben, die Könige von Spanien, England, Dänemark,
Schweden und Polen, sowie die Seestädte (die Hansa) zu ersuchen, Livland
zu unterstützen und endlich demselben eine Beihilfe von 100.000 Gulden zu
gewähren, welche die Städte Hamburg, Lübeck und Lüneburg vorschießen sollten.
Dieser Beschluß beweist, wie lief schon damals das deutsche Selbst- und
Ehrgefühl gesunken war und wie kraftlos der noch immer so große Reichs¬
körper sich fortschleppte. Der Erfolg des Beschlusses war selbstverständlich
gleich Null. Der Zar gab eine kurzabweisende Antwort auf das kaiserliche
Schreiben, und das Geld kam nicht zusammen.

Der Beschluß des Reichstags zu Speier im folgenden Jahre stimmte
im Wesentlichen mit dem vorigen überein und hatte auch denselben Erfolg.
Die Aufbringung der früher bewilligten 100.000 Gulden sollte beschleunigt,
außerdem aber sollten noch 200,000 Gulden zur Anwerbung von Hilfstruppen
für Livland zusammengebracht werden. "Als Deutscher", bemerkt hierzu Otto
v. Ruten berg in seiner "Geschichte der Ostseeprovinzen" (Leipzig bei W.
Engelmann), "schämt man sich zu sagen, daß in Folge des Reichstagsbe¬
schlusses von Speier zwar viel Papier verschrieben worden, daß aber nie ein
baarer Gulden oder ein ausgerüsteter Kriegsknecht nach Livland gekommen."
Dann aber fährt er fort: "Man schämt sich doppelt, wenn man das un¬
heimliche Gefühl im Busen trägt, ^aß der Bundestag in Frankfurt in unseren
Tagen unter ähnlichen Umständen ebenso viel schreiben und ebenso wenig
handeln würde, wie der Reichstag zu Speier damals gethan."

So über die Lage Deutschlands zu urtheilen, hatte der deutsche Patriot
im Jahre 1860, als er dieses schrieb, allen Grund. Dagegen jetzt! Wie ein
Märchen aus längst vergangener Zeit erscheint uns der Jammer, dem eine
ruhmvolle Geschichte von kaum acht Jahren seit noch nicht anderthalb Jahr"
zehnten hoffentlich für immer ein Ende machte. Schon der alte Bundestag
übertraf 1863 unter der stürmischen Erregtheit des deutschen Volkes und
unter der Leitung des seitdem so überraschend erfolgreich wirkenden Staats¬
manns alle Erwartung, indem er den Schleswig-Holsteinern, die sich in einer


Grenzboten IV. 1876. 55

erhalten hatte. Der Kaiser seinerseits entschuldigte sich mit der Türkengefahr
und begnügte sich damit, die Dörptschen und Ordensprivilegien zu bestätigen,
den Ordensmeister und den Bischof in seinen besonderen Schutz zu nehmen,
die Ausfuhr von Kriegsbedürfnissen nach Rußland zu verbieten und Livland
dem Schutze Schwedens zu empfehlen. Damit war dem Lande wenig genützt.

Im Jahre 1359, als der Nothruf der Livländer schon durch ganz Eu¬
ropa schallte, fanden die Abgesandten des Ordens und des Erzbischofs von
Riga bei dem Reichstag zu Augsburg etwas mehr williges Entgegenkommen,
das sich aber nur in dem Beschluß äußerte, den Zaren durch ein kaiserliches
Schreiben aufzufordern, von den Feindseligkeiten abzustehn und die eroberten
Landestheile zurückzugeben, die Könige von Spanien, England, Dänemark,
Schweden und Polen, sowie die Seestädte (die Hansa) zu ersuchen, Livland
zu unterstützen und endlich demselben eine Beihilfe von 100.000 Gulden zu
gewähren, welche die Städte Hamburg, Lübeck und Lüneburg vorschießen sollten.
Dieser Beschluß beweist, wie lief schon damals das deutsche Selbst- und
Ehrgefühl gesunken war und wie kraftlos der noch immer so große Reichs¬
körper sich fortschleppte. Der Erfolg des Beschlusses war selbstverständlich
gleich Null. Der Zar gab eine kurzabweisende Antwort auf das kaiserliche
Schreiben, und das Geld kam nicht zusammen.

Der Beschluß des Reichstags zu Speier im folgenden Jahre stimmte
im Wesentlichen mit dem vorigen überein und hatte auch denselben Erfolg.
Die Aufbringung der früher bewilligten 100.000 Gulden sollte beschleunigt,
außerdem aber sollten noch 200,000 Gulden zur Anwerbung von Hilfstruppen
für Livland zusammengebracht werden. „Als Deutscher", bemerkt hierzu Otto
v. Ruten berg in seiner „Geschichte der Ostseeprovinzen" (Leipzig bei W.
Engelmann), „schämt man sich zu sagen, daß in Folge des Reichstagsbe¬
schlusses von Speier zwar viel Papier verschrieben worden, daß aber nie ein
baarer Gulden oder ein ausgerüsteter Kriegsknecht nach Livland gekommen."
Dann aber fährt er fort: „Man schämt sich doppelt, wenn man das un¬
heimliche Gefühl im Busen trägt, ^aß der Bundestag in Frankfurt in unseren
Tagen unter ähnlichen Umständen ebenso viel schreiben und ebenso wenig
handeln würde, wie der Reichstag zu Speier damals gethan."

So über die Lage Deutschlands zu urtheilen, hatte der deutsche Patriot
im Jahre 1860, als er dieses schrieb, allen Grund. Dagegen jetzt! Wie ein
Märchen aus längst vergangener Zeit erscheint uns der Jammer, dem eine
ruhmvolle Geschichte von kaum acht Jahren seit noch nicht anderthalb Jahr»
zehnten hoffentlich für immer ein Ende machte. Schon der alte Bundestag
übertraf 1863 unter der stürmischen Erregtheit des deutschen Volkes und
unter der Leitung des seitdem so überraschend erfolgreich wirkenden Staats¬
manns alle Erwartung, indem er den Schleswig-Holsteinern, die sich in einer


Grenzboten IV. 1876. 55
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0437" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137076"/>
          <p xml:id="ID_1386" prev="#ID_1385"> erhalten hatte. Der Kaiser seinerseits entschuldigte sich mit der Türkengefahr<lb/>
und begnügte sich damit, die Dörptschen und Ordensprivilegien zu bestätigen,<lb/>
den Ordensmeister und den Bischof in seinen besonderen Schutz zu nehmen,<lb/>
die Ausfuhr von Kriegsbedürfnissen nach Rußland zu verbieten und Livland<lb/>
dem Schutze Schwedens zu empfehlen. Damit war dem Lande wenig genützt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1387"> Im Jahre 1359, als der Nothruf der Livländer schon durch ganz Eu¬<lb/>
ropa schallte, fanden die Abgesandten des Ordens und des Erzbischofs von<lb/>
Riga bei dem Reichstag zu Augsburg etwas mehr williges Entgegenkommen,<lb/>
das sich aber nur in dem Beschluß äußerte, den Zaren durch ein kaiserliches<lb/>
Schreiben aufzufordern, von den Feindseligkeiten abzustehn und die eroberten<lb/>
Landestheile zurückzugeben, die Könige von Spanien, England, Dänemark,<lb/>
Schweden und Polen, sowie die Seestädte (die Hansa) zu ersuchen, Livland<lb/>
zu unterstützen und endlich demselben eine Beihilfe von 100.000 Gulden zu<lb/>
gewähren, welche die Städte Hamburg, Lübeck und Lüneburg vorschießen sollten.<lb/>
Dieser Beschluß beweist, wie lief schon damals das deutsche Selbst- und<lb/>
Ehrgefühl gesunken war und wie kraftlos der noch immer so große Reichs¬<lb/>
körper sich fortschleppte. Der Erfolg des Beschlusses war selbstverständlich<lb/>
gleich Null. Der Zar gab eine kurzabweisende Antwort auf das kaiserliche<lb/>
Schreiben, und das Geld kam nicht zusammen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1388"> Der Beschluß des Reichstags zu Speier im folgenden Jahre stimmte<lb/>
im Wesentlichen mit dem vorigen überein und hatte auch denselben Erfolg.<lb/>
Die Aufbringung der früher bewilligten 100.000 Gulden sollte beschleunigt,<lb/>
außerdem aber sollten noch 200,000 Gulden zur Anwerbung von Hilfstruppen<lb/>
für Livland zusammengebracht werden. &#x201E;Als Deutscher", bemerkt hierzu Otto<lb/>
v. Ruten berg in seiner &#x201E;Geschichte der Ostseeprovinzen" (Leipzig bei W.<lb/>
Engelmann), &#x201E;schämt man sich zu sagen, daß in Folge des Reichstagsbe¬<lb/>
schlusses von Speier zwar viel Papier verschrieben worden, daß aber nie ein<lb/>
baarer Gulden oder ein ausgerüsteter Kriegsknecht nach Livland gekommen."<lb/>
Dann aber fährt er fort: &#x201E;Man schämt sich doppelt, wenn man das un¬<lb/>
heimliche Gefühl im Busen trägt, ^aß der Bundestag in Frankfurt in unseren<lb/>
Tagen unter ähnlichen Umständen ebenso viel schreiben und ebenso wenig<lb/>
handeln würde, wie der Reichstag zu Speier damals gethan."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1389" next="#ID_1390"> So über die Lage Deutschlands zu urtheilen, hatte der deutsche Patriot<lb/>
im Jahre 1860, als er dieses schrieb, allen Grund. Dagegen jetzt! Wie ein<lb/>
Märchen aus längst vergangener Zeit erscheint uns der Jammer, dem eine<lb/>
ruhmvolle Geschichte von kaum acht Jahren seit noch nicht anderthalb Jahr»<lb/>
zehnten hoffentlich für immer ein Ende machte. Schon der alte Bundestag<lb/>
übertraf 1863 unter der stürmischen Erregtheit des deutschen Volkes und<lb/>
unter der Leitung des seitdem so überraschend erfolgreich wirkenden Staats¬<lb/>
manns alle Erwartung, indem er den Schleswig-Holsteinern, die sich in einer</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1876. 55</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0437] erhalten hatte. Der Kaiser seinerseits entschuldigte sich mit der Türkengefahr und begnügte sich damit, die Dörptschen und Ordensprivilegien zu bestätigen, den Ordensmeister und den Bischof in seinen besonderen Schutz zu nehmen, die Ausfuhr von Kriegsbedürfnissen nach Rußland zu verbieten und Livland dem Schutze Schwedens zu empfehlen. Damit war dem Lande wenig genützt. Im Jahre 1359, als der Nothruf der Livländer schon durch ganz Eu¬ ropa schallte, fanden die Abgesandten des Ordens und des Erzbischofs von Riga bei dem Reichstag zu Augsburg etwas mehr williges Entgegenkommen, das sich aber nur in dem Beschluß äußerte, den Zaren durch ein kaiserliches Schreiben aufzufordern, von den Feindseligkeiten abzustehn und die eroberten Landestheile zurückzugeben, die Könige von Spanien, England, Dänemark, Schweden und Polen, sowie die Seestädte (die Hansa) zu ersuchen, Livland zu unterstützen und endlich demselben eine Beihilfe von 100.000 Gulden zu gewähren, welche die Städte Hamburg, Lübeck und Lüneburg vorschießen sollten. Dieser Beschluß beweist, wie lief schon damals das deutsche Selbst- und Ehrgefühl gesunken war und wie kraftlos der noch immer so große Reichs¬ körper sich fortschleppte. Der Erfolg des Beschlusses war selbstverständlich gleich Null. Der Zar gab eine kurzabweisende Antwort auf das kaiserliche Schreiben, und das Geld kam nicht zusammen. Der Beschluß des Reichstags zu Speier im folgenden Jahre stimmte im Wesentlichen mit dem vorigen überein und hatte auch denselben Erfolg. Die Aufbringung der früher bewilligten 100.000 Gulden sollte beschleunigt, außerdem aber sollten noch 200,000 Gulden zur Anwerbung von Hilfstruppen für Livland zusammengebracht werden. „Als Deutscher", bemerkt hierzu Otto v. Ruten berg in seiner „Geschichte der Ostseeprovinzen" (Leipzig bei W. Engelmann), „schämt man sich zu sagen, daß in Folge des Reichstagsbe¬ schlusses von Speier zwar viel Papier verschrieben worden, daß aber nie ein baarer Gulden oder ein ausgerüsteter Kriegsknecht nach Livland gekommen." Dann aber fährt er fort: „Man schämt sich doppelt, wenn man das un¬ heimliche Gefühl im Busen trägt, ^aß der Bundestag in Frankfurt in unseren Tagen unter ähnlichen Umständen ebenso viel schreiben und ebenso wenig handeln würde, wie der Reichstag zu Speier damals gethan." So über die Lage Deutschlands zu urtheilen, hatte der deutsche Patriot im Jahre 1860, als er dieses schrieb, allen Grund. Dagegen jetzt! Wie ein Märchen aus längst vergangener Zeit erscheint uns der Jammer, dem eine ruhmvolle Geschichte von kaum acht Jahren seit noch nicht anderthalb Jahr» zehnten hoffentlich für immer ein Ende machte. Schon der alte Bundestag übertraf 1863 unter der stürmischen Erregtheit des deutschen Volkes und unter der Leitung des seitdem so überraschend erfolgreich wirkenden Staats¬ manns alle Erwartung, indem er den Schleswig-Holsteinern, die sich in einer Grenzboten IV. 1876. 55

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/437
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/437>, abgerufen am 27.09.2024.