Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.steifen auf diese Voraussetzung war um so befremdlicher, als man den im Ein Vorfall bei Berathung der Strafprozeßordnung, wobei ein schein¬ steifen auf diese Voraussetzung war um so befremdlicher, als man den im Ein Vorfall bei Berathung der Strafprozeßordnung, wobei ein schein¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0432" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137071"/> <p xml:id="ID_1372" prev="#ID_1371"> steifen auf diese Voraussetzung war um so befremdlicher, als man den im<lb/> Bundesrath vertretenen Regierungen von dem den Landesvertretungen so<lb/> reichlich geschenkten Vertrauen auch nicht das kleinste Tröpfchen gönnen<lb/> wollte. Vergebens erbat der Minister Leonhardt wenigstens soviel Vertrauen,<lb/> daß der Bundesrath das von ihm eingeleitete Werk der einheitlichen Juftiz-<lb/> gesetzgebung nicht im Stiche lassen und den bereits vollendeten großen Theil<lb/> der Arbeit durch Verschleppung oder Unterlassung der nöthigen Ergänzungen<lb/> unbrauchbar machen werde. Unter den Predigern des Mißtrauens that sich<lb/> bedauerlicherweise der Abgeordnete Laster hervor. Er meinte, der Bundesrath<lb/> sei eine anonyme Gesellschaft ohne jede Verantwortung, wodurch sich jeder<lb/> Grad des Mißtrauens gegen dieses Collegium rechtfertige und selbst gebiete.<lb/> Nun stehen aber die Namen der Bevollmächtigten zum Bundesrath jedes<lb/> Jahr im Reichsanzeiger, und in jeder Session erscheint das Verzeichniß der¬<lb/> selben unter den Drucksachen des Reichstags. Die Bevollmächtigten haben<lb/> freilich den Anweisungen ihrer Regierungen zu folgen. Allein die Regierung<lb/> eines Bundesstaates ist doch zehnmal verantwortlicher, zehnmal weniger ano¬<lb/> nym, als die Landesvertretung. Der Druck der allgemeinen Staatsbedürf-<lb/> ntsse und der öffentlichen Meinung lastet viel stärker auf den Regierungen,<lb/> weil jede Regierung trotz des möglichen Ministerwechsels weit mehr ein be¬<lb/> harrliches Subject ist, als die gewählte Landesvertretung es sein kann und<lb/> sein soll. Wahrhaft erstaunlich war, wie der Abgeordnete Laster aus der<lb/> Anonymität der Gesetzesvorbereitung in den Vorstadien den Vorwurf der Un-<lb/> verantwortlichkeit für die Reichsrezierung herleiten wollte. Als ob im voll¬<lb/> kommensten Einheitsstaate der Minister gehalten wäre, die Person oder die<lb/> Personen zu nennen, die er bei den ersten Vorarbeiten eines Gesetzes zu<lb/> Hülfe zieht, und als ob ein darauf gerichtetes Verlangen nicht geradezu un¬<lb/> sinnig wäre. Der Forderung nach Verantwortlichkeit ist über und über ge¬<lb/> nügt, wenn der Minister den eingebrachten Gesetzentwurf vertritt, d. h. als<lb/> sein Werk auf sich nimmt. Es würde einesthetls im Widerspruch mit der<lb/> Verantwortlichkeit stehen, wenn der Minister sich auf die Personen berufen<lb/> wollte, die ihm die Vorarbeiten geliefert; andererseits könnte kein Mensch<lb/> Minister sein, wenn er sich vom Reichstag die Hülfsarbeiter octroyiren oder<lb/> über die Wahl derselben vor dem Reichstag verantworten müßte. Dem<lb/> gegenüber war es reine Phrase, den an sich ganz richtigen Satz anzuwenden,<lb/> daß auf den ersten Entwurf sehr viel an komme. Sobald der Minister einen<lb/> Entwurf angenommen hat und vertritt, ist es sein Entwurf, und niemand<lb/> hat zu fragen, wie der Minister dazu gekommen. —</p><lb/> <p xml:id="ID_1373" next="#ID_1374"> Ein Vorfall bei Berathung der Strafprozeßordnung, wobei ein schein¬<lb/> barer Widerspruch zwischen zwei Bundescommissaren hervortrat wurde sofort</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0432]
steifen auf diese Voraussetzung war um so befremdlicher, als man den im
Bundesrath vertretenen Regierungen von dem den Landesvertretungen so
reichlich geschenkten Vertrauen auch nicht das kleinste Tröpfchen gönnen
wollte. Vergebens erbat der Minister Leonhardt wenigstens soviel Vertrauen,
daß der Bundesrath das von ihm eingeleitete Werk der einheitlichen Juftiz-
gesetzgebung nicht im Stiche lassen und den bereits vollendeten großen Theil
der Arbeit durch Verschleppung oder Unterlassung der nöthigen Ergänzungen
unbrauchbar machen werde. Unter den Predigern des Mißtrauens that sich
bedauerlicherweise der Abgeordnete Laster hervor. Er meinte, der Bundesrath
sei eine anonyme Gesellschaft ohne jede Verantwortung, wodurch sich jeder
Grad des Mißtrauens gegen dieses Collegium rechtfertige und selbst gebiete.
Nun stehen aber die Namen der Bevollmächtigten zum Bundesrath jedes
Jahr im Reichsanzeiger, und in jeder Session erscheint das Verzeichniß der¬
selben unter den Drucksachen des Reichstags. Die Bevollmächtigten haben
freilich den Anweisungen ihrer Regierungen zu folgen. Allein die Regierung
eines Bundesstaates ist doch zehnmal verantwortlicher, zehnmal weniger ano¬
nym, als die Landesvertretung. Der Druck der allgemeinen Staatsbedürf-
ntsse und der öffentlichen Meinung lastet viel stärker auf den Regierungen,
weil jede Regierung trotz des möglichen Ministerwechsels weit mehr ein be¬
harrliches Subject ist, als die gewählte Landesvertretung es sein kann und
sein soll. Wahrhaft erstaunlich war, wie der Abgeordnete Laster aus der
Anonymität der Gesetzesvorbereitung in den Vorstadien den Vorwurf der Un-
verantwortlichkeit für die Reichsrezierung herleiten wollte. Als ob im voll¬
kommensten Einheitsstaate der Minister gehalten wäre, die Person oder die
Personen zu nennen, die er bei den ersten Vorarbeiten eines Gesetzes zu
Hülfe zieht, und als ob ein darauf gerichtetes Verlangen nicht geradezu un¬
sinnig wäre. Der Forderung nach Verantwortlichkeit ist über und über ge¬
nügt, wenn der Minister den eingebrachten Gesetzentwurf vertritt, d. h. als
sein Werk auf sich nimmt. Es würde einesthetls im Widerspruch mit der
Verantwortlichkeit stehen, wenn der Minister sich auf die Personen berufen
wollte, die ihm die Vorarbeiten geliefert; andererseits könnte kein Mensch
Minister sein, wenn er sich vom Reichstag die Hülfsarbeiter octroyiren oder
über die Wahl derselben vor dem Reichstag verantworten müßte. Dem
gegenüber war es reine Phrase, den an sich ganz richtigen Satz anzuwenden,
daß auf den ersten Entwurf sehr viel an komme. Sobald der Minister einen
Entwurf angenommen hat und vertritt, ist es sein Entwurf, und niemand
hat zu fragen, wie der Minister dazu gekommen. —
Ein Vorfall bei Berathung der Strafprozeßordnung, wobei ein schein¬
barer Widerspruch zwischen zwei Bundescommissaren hervortrat wurde sofort
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