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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Weißwaarengeschäft er Lausbursche ist, lassen ihn unterrichten, und so wird
er Doctor und schreibt seine Dissertation Z<z ernore tebrili und sucht nun
das einzige, was ihm in seiner Berufsthätigkeit noch fehlt -- die Praxis,
nicht in Berlin, sondern in einer kleineren Stadt, offenbar in der Vaterstadt
des Dichters.

Inzwischen haben wir auch erfahren, "wie die Großmutter schreiben
lernte", wir sehen sie später herangewachsen, uns zugleich mit ihren beiden
liebsten Freundinnen vorgestellt beim Kranzwinden, wir erfahren wie es
zuging, "als der Großvater die Großmutter nahm", und in den eigenen,
schlichten Worten der guten alten Zeit, in des "Großonkels Handschrift",
wird uns ein inniger reiner Roman jener gefühls- und bilderreichen und doch so
einfachen Tage geschildert, ein Roman, der zur glücklichen, aber durch den Tod
bald geschiedenen, unvergessenen Ehe führt.

Auch unser Doctor hat inzwischen nicht nur Praxis, er hat auch eine
Frau und Heimstätte in der Stadt seines Wirkens gewonnen; mit reichem
Humor wird uns seine "Sprechstunde" in der guten alten Zeit geschildert,
wo der Bauer das Geld auf den Tisch zählte, eine Reihe harter, blanker,
harter Thaler nach der andern, bis der Doctor endlich sagen muß, "nun
hören Sie aber auch auf, es ist genug." Dann erhalten wir Kunde von einer
"glücklichen Kur", wie der Doctor Jemanden heilt, der das "Kribbeln im
Fuß" für einen Schlaganfall gehalten, ohne dabei des Doctors Nachtruhe
zu schonen. Und nun erfahren wir, wie es unsern Vorvätern zu Muthe
war, als die Kunde von der "Schlacht bei Jena" eintraf, und wie sieben Jahre
später das "schöne Wetter" der Schlacht bei Leipzig über Deutschland aufging.
Aber damit ist natürlich Großmutters Schatzkästlein aus den Tagen des
Rheinbundes und der Freiheitskriege noch lange nicht erschöpft. In drastischer
Weise schildern die folgenden Kapitel das Treiben der "ungebetenen Gäste",
liefern sie ungeheuer wichtige Beiträge "zur Geschichte des Kaiserreiches."
Sie verrathen uns, was der alte Engelrecht an Napoleons Stelle gethan
hätte, als dieser auf selner Rückkehr aus Rußland die Stadt passirte: "ich
hätte die drei schönen jungen Frauen höflichst ersucht, zu mir in den Schlitten
einzusteigen aus dem Gedränge. Daß er das nicht that, war sein dritter
großer Fehler. Ich begreife es eigentlich nicht, er war doch sonst nicht so."

Eine Reihe von Familienbildern aus alter Zeit: "die Akustik des Hauses",
"Eltern und Kinder", "die alte Vaterstadt" wandelt vorüber in elegischer
und heitrer Stimmung, und wird abgelöst durch ein prächtiges Stück Soldaten¬
leben unter Friedrich Wilhelm III., farbenreich und lebendig, nach alten
Soldatenbriefen, bis zu des guten und pflichttreuen Königs Tode. Und ihm
folgt manches Haupt im Tode, das wir in diesem Bändchen zuerst frisch
und jung gesehen. Der "Kehraus" beginnt in der seit vielen Jahrzehnten


Weißwaarengeschäft er Lausbursche ist, lassen ihn unterrichten, und so wird
er Doctor und schreibt seine Dissertation Z<z ernore tebrili und sucht nun
das einzige, was ihm in seiner Berufsthätigkeit noch fehlt — die Praxis,
nicht in Berlin, sondern in einer kleineren Stadt, offenbar in der Vaterstadt
des Dichters.

Inzwischen haben wir auch erfahren, „wie die Großmutter schreiben
lernte", wir sehen sie später herangewachsen, uns zugleich mit ihren beiden
liebsten Freundinnen vorgestellt beim Kranzwinden, wir erfahren wie es
zuging, „als der Großvater die Großmutter nahm", und in den eigenen,
schlichten Worten der guten alten Zeit, in des „Großonkels Handschrift",
wird uns ein inniger reiner Roman jener gefühls- und bilderreichen und doch so
einfachen Tage geschildert, ein Roman, der zur glücklichen, aber durch den Tod
bald geschiedenen, unvergessenen Ehe führt.

Auch unser Doctor hat inzwischen nicht nur Praxis, er hat auch eine
Frau und Heimstätte in der Stadt seines Wirkens gewonnen; mit reichem
Humor wird uns seine „Sprechstunde" in der guten alten Zeit geschildert,
wo der Bauer das Geld auf den Tisch zählte, eine Reihe harter, blanker,
harter Thaler nach der andern, bis der Doctor endlich sagen muß, „nun
hören Sie aber auch auf, es ist genug." Dann erhalten wir Kunde von einer
„glücklichen Kur", wie der Doctor Jemanden heilt, der das „Kribbeln im
Fuß" für einen Schlaganfall gehalten, ohne dabei des Doctors Nachtruhe
zu schonen. Und nun erfahren wir, wie es unsern Vorvätern zu Muthe
war, als die Kunde von der „Schlacht bei Jena" eintraf, und wie sieben Jahre
später das „schöne Wetter" der Schlacht bei Leipzig über Deutschland aufging.
Aber damit ist natürlich Großmutters Schatzkästlein aus den Tagen des
Rheinbundes und der Freiheitskriege noch lange nicht erschöpft. In drastischer
Weise schildern die folgenden Kapitel das Treiben der „ungebetenen Gäste",
liefern sie ungeheuer wichtige Beiträge „zur Geschichte des Kaiserreiches."
Sie verrathen uns, was der alte Engelrecht an Napoleons Stelle gethan
hätte, als dieser auf selner Rückkehr aus Rußland die Stadt passirte: „ich
hätte die drei schönen jungen Frauen höflichst ersucht, zu mir in den Schlitten
einzusteigen aus dem Gedränge. Daß er das nicht that, war sein dritter
großer Fehler. Ich begreife es eigentlich nicht, er war doch sonst nicht so."

Eine Reihe von Familienbildern aus alter Zeit: „die Akustik des Hauses",
„Eltern und Kinder", „die alte Vaterstadt" wandelt vorüber in elegischer
und heitrer Stimmung, und wird abgelöst durch ein prächtiges Stück Soldaten¬
leben unter Friedrich Wilhelm III., farbenreich und lebendig, nach alten
Soldatenbriefen, bis zu des guten und pflichttreuen Königs Tode. Und ihm
folgt manches Haupt im Tode, das wir in diesem Bändchen zuerst frisch
und jung gesehen. Der „Kehraus" beginnt in der seit vielen Jahrzehnten


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[0425] Weißwaarengeschäft er Lausbursche ist, lassen ihn unterrichten, und so wird er Doctor und schreibt seine Dissertation Z<z ernore tebrili und sucht nun das einzige, was ihm in seiner Berufsthätigkeit noch fehlt — die Praxis, nicht in Berlin, sondern in einer kleineren Stadt, offenbar in der Vaterstadt des Dichters. Inzwischen haben wir auch erfahren, „wie die Großmutter schreiben lernte", wir sehen sie später herangewachsen, uns zugleich mit ihren beiden liebsten Freundinnen vorgestellt beim Kranzwinden, wir erfahren wie es zuging, „als der Großvater die Großmutter nahm", und in den eigenen, schlichten Worten der guten alten Zeit, in des „Großonkels Handschrift", wird uns ein inniger reiner Roman jener gefühls- und bilderreichen und doch so einfachen Tage geschildert, ein Roman, der zur glücklichen, aber durch den Tod bald geschiedenen, unvergessenen Ehe führt. Auch unser Doctor hat inzwischen nicht nur Praxis, er hat auch eine Frau und Heimstätte in der Stadt seines Wirkens gewonnen; mit reichem Humor wird uns seine „Sprechstunde" in der guten alten Zeit geschildert, wo der Bauer das Geld auf den Tisch zählte, eine Reihe harter, blanker, harter Thaler nach der andern, bis der Doctor endlich sagen muß, „nun hören Sie aber auch auf, es ist genug." Dann erhalten wir Kunde von einer „glücklichen Kur", wie der Doctor Jemanden heilt, der das „Kribbeln im Fuß" für einen Schlaganfall gehalten, ohne dabei des Doctors Nachtruhe zu schonen. Und nun erfahren wir, wie es unsern Vorvätern zu Muthe war, als die Kunde von der „Schlacht bei Jena" eintraf, und wie sieben Jahre später das „schöne Wetter" der Schlacht bei Leipzig über Deutschland aufging. Aber damit ist natürlich Großmutters Schatzkästlein aus den Tagen des Rheinbundes und der Freiheitskriege noch lange nicht erschöpft. In drastischer Weise schildern die folgenden Kapitel das Treiben der „ungebetenen Gäste", liefern sie ungeheuer wichtige Beiträge „zur Geschichte des Kaiserreiches." Sie verrathen uns, was der alte Engelrecht an Napoleons Stelle gethan hätte, als dieser auf selner Rückkehr aus Rußland die Stadt passirte: „ich hätte die drei schönen jungen Frauen höflichst ersucht, zu mir in den Schlitten einzusteigen aus dem Gedränge. Daß er das nicht that, war sein dritter großer Fehler. Ich begreife es eigentlich nicht, er war doch sonst nicht so." Eine Reihe von Familienbildern aus alter Zeit: „die Akustik des Hauses", „Eltern und Kinder", „die alte Vaterstadt" wandelt vorüber in elegischer und heitrer Stimmung, und wird abgelöst durch ein prächtiges Stück Soldaten¬ leben unter Friedrich Wilhelm III., farbenreich und lebendig, nach alten Soldatenbriefen, bis zu des guten und pflichttreuen Königs Tode. Und ihm folgt manches Haupt im Tode, das wir in diesem Bändchen zuerst frisch und jung gesehen. Der „Kehraus" beginnt in der seit vielen Jahrzehnten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/425>, abgerufen am 27.09.2024.