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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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oder Abend, am Tage oder zur Nachtzeit, schob der Atlantische Ocean seine
Nänderwellen auf den hellen Strand, der erst in einiger Entfernung vom
Wasser eine arme, aber eigenthümlich schöne Vegetation zeigte. In gefälligen,
oft schwungvollen Arabeskenlinien verschlangen sich auf hellgelbem Grunde
die Ranken einer violettblüthigen Bohne mit großen, lederglänzenden Blättern
mit denen von Trichterwinden, deren weiße und rosa Blumen dem Lichte
des kommenden Tages sich schüchtern zu erschließen begannen. Einförmig
großartig brauste das Meer seine Morgenhymne, und donnernd zerschellten
die Wogen in der Brandung zu unzähligen Gischtatomen. Mit der fried¬
vollen Ruhe, die ein großartiges Naturbild in die empfängliche Seele legt,
sah ich in die dunkle, wallende und wogende Fläche des Meeres, dessen
Fernen sich mit dem Blau des Himmels zu einer Linie verbanden. Allmälig
wurde es Heller, der Sterne mattflimmerndes Licht verblaßte ganz, sanfte
Lichthauche wehten verheißend über den Himmelsraum, und dann schoß plötzlich
hinter den Bergen, die gegen das Innere des Landes die Landschaft um¬
säumten, ein Strahl hervor, der "des Morgens goldflammende Majestät"
verkündete. Die Sonne stieg auf. Sie glühte bald durch die landlosen
Aeste der Baobabbäume, bald verbarg sie sich, wie in einen Schleier gehüllt,
hinter den zitternden Blättern der Fiederpalmen. Sie weckte die Schläfer
aus der Ruhe. Sich dehnend und gähnend erhoben sich vom Erdboden im
Hofe die schwarzen Bursche, die nach halbdurchtanzter, fröhlicher Mondnacht
unter dünnen, weißbaumwollenen Tüchern des Morgenschlummers gepflogen;
der Tag kam und mit ihm Arbeit und Sorgen. Das fast vergangene Feuer
wurde von Neuem angefacht und sandte blaue Rauchwölkchen in den frischen
Morgenwind, der sie hinübertrug zu den Hütten des Negerdorfes am Fuße
des Berges. Auch dort sah ich Bewegung; zwischen den Palmblattdächern
der niedrigen, kleinen Häuschen huschten weiße Gestalten umher, Feuerbrände
irrten hierhin und dorthin, da loderte eine angefachte Flamme auf, und
Schafe und Ziegen riefen nach der Weide. Kein friedlicheres Bild als das
eines Negerdorfes im Scheine der Frühsonne! Noch ist es frisch, und Alles
schaart sich um die erwärmenden Feuer, in denen die Maiskolben zum leckern
Mahle geröstet werden; Gelächter allenthalben, Plaudern und Erzählen vom
vergangenen Tage, von den Träumen der Nacht und von der -- "Arbeit"
des heutigen Tages. Doch plötzlich ändert sich die Scenerie. Dumpfer
Trommelschall klang vom Dorfe hohl und unheimlich herüber durch die
friedvolle Morgenstille. Aber auch die Natur harmonirte nun mit der
Musik, unheilschwangere Wetter zogen über den Bergen auf, und eine graue
Wolke verdeckte die Sonne, die vor Kurzem noch so fröhlich strahlte.

Da kam auch schon der Dolmetscher. Seine Rede begleitete er mit den
dem Neger eigenthümlichen ausdrucksvollen Gesten und erklärte mir, daß w


oder Abend, am Tage oder zur Nachtzeit, schob der Atlantische Ocean seine
Nänderwellen auf den hellen Strand, der erst in einiger Entfernung vom
Wasser eine arme, aber eigenthümlich schöne Vegetation zeigte. In gefälligen,
oft schwungvollen Arabeskenlinien verschlangen sich auf hellgelbem Grunde
die Ranken einer violettblüthigen Bohne mit großen, lederglänzenden Blättern
mit denen von Trichterwinden, deren weiße und rosa Blumen dem Lichte
des kommenden Tages sich schüchtern zu erschließen begannen. Einförmig
großartig brauste das Meer seine Morgenhymne, und donnernd zerschellten
die Wogen in der Brandung zu unzähligen Gischtatomen. Mit der fried¬
vollen Ruhe, die ein großartiges Naturbild in die empfängliche Seele legt,
sah ich in die dunkle, wallende und wogende Fläche des Meeres, dessen
Fernen sich mit dem Blau des Himmels zu einer Linie verbanden. Allmälig
wurde es Heller, der Sterne mattflimmerndes Licht verblaßte ganz, sanfte
Lichthauche wehten verheißend über den Himmelsraum, und dann schoß plötzlich
hinter den Bergen, die gegen das Innere des Landes die Landschaft um¬
säumten, ein Strahl hervor, der „des Morgens goldflammende Majestät"
verkündete. Die Sonne stieg auf. Sie glühte bald durch die landlosen
Aeste der Baobabbäume, bald verbarg sie sich, wie in einen Schleier gehüllt,
hinter den zitternden Blättern der Fiederpalmen. Sie weckte die Schläfer
aus der Ruhe. Sich dehnend und gähnend erhoben sich vom Erdboden im
Hofe die schwarzen Bursche, die nach halbdurchtanzter, fröhlicher Mondnacht
unter dünnen, weißbaumwollenen Tüchern des Morgenschlummers gepflogen;
der Tag kam und mit ihm Arbeit und Sorgen. Das fast vergangene Feuer
wurde von Neuem angefacht und sandte blaue Rauchwölkchen in den frischen
Morgenwind, der sie hinübertrug zu den Hütten des Negerdorfes am Fuße
des Berges. Auch dort sah ich Bewegung; zwischen den Palmblattdächern
der niedrigen, kleinen Häuschen huschten weiße Gestalten umher, Feuerbrände
irrten hierhin und dorthin, da loderte eine angefachte Flamme auf, und
Schafe und Ziegen riefen nach der Weide. Kein friedlicheres Bild als das
eines Negerdorfes im Scheine der Frühsonne! Noch ist es frisch, und Alles
schaart sich um die erwärmenden Feuer, in denen die Maiskolben zum leckern
Mahle geröstet werden; Gelächter allenthalben, Plaudern und Erzählen vom
vergangenen Tage, von den Träumen der Nacht und von der — „Arbeit"
des heutigen Tages. Doch plötzlich ändert sich die Scenerie. Dumpfer
Trommelschall klang vom Dorfe hohl und unheimlich herüber durch die
friedvolle Morgenstille. Aber auch die Natur harmonirte nun mit der
Musik, unheilschwangere Wetter zogen über den Bergen auf, und eine graue
Wolke verdeckte die Sonne, die vor Kurzem noch so fröhlich strahlte.

Da kam auch schon der Dolmetscher. Seine Rede begleitete er mit den
dem Neger eigenthümlichen ausdrucksvollen Gesten und erklärte mir, daß w


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[0418] oder Abend, am Tage oder zur Nachtzeit, schob der Atlantische Ocean seine Nänderwellen auf den hellen Strand, der erst in einiger Entfernung vom Wasser eine arme, aber eigenthümlich schöne Vegetation zeigte. In gefälligen, oft schwungvollen Arabeskenlinien verschlangen sich auf hellgelbem Grunde die Ranken einer violettblüthigen Bohne mit großen, lederglänzenden Blättern mit denen von Trichterwinden, deren weiße und rosa Blumen dem Lichte des kommenden Tages sich schüchtern zu erschließen begannen. Einförmig großartig brauste das Meer seine Morgenhymne, und donnernd zerschellten die Wogen in der Brandung zu unzähligen Gischtatomen. Mit der fried¬ vollen Ruhe, die ein großartiges Naturbild in die empfängliche Seele legt, sah ich in die dunkle, wallende und wogende Fläche des Meeres, dessen Fernen sich mit dem Blau des Himmels zu einer Linie verbanden. Allmälig wurde es Heller, der Sterne mattflimmerndes Licht verblaßte ganz, sanfte Lichthauche wehten verheißend über den Himmelsraum, und dann schoß plötzlich hinter den Bergen, die gegen das Innere des Landes die Landschaft um¬ säumten, ein Strahl hervor, der „des Morgens goldflammende Majestät" verkündete. Die Sonne stieg auf. Sie glühte bald durch die landlosen Aeste der Baobabbäume, bald verbarg sie sich, wie in einen Schleier gehüllt, hinter den zitternden Blättern der Fiederpalmen. Sie weckte die Schläfer aus der Ruhe. Sich dehnend und gähnend erhoben sich vom Erdboden im Hofe die schwarzen Bursche, die nach halbdurchtanzter, fröhlicher Mondnacht unter dünnen, weißbaumwollenen Tüchern des Morgenschlummers gepflogen; der Tag kam und mit ihm Arbeit und Sorgen. Das fast vergangene Feuer wurde von Neuem angefacht und sandte blaue Rauchwölkchen in den frischen Morgenwind, der sie hinübertrug zu den Hütten des Negerdorfes am Fuße des Berges. Auch dort sah ich Bewegung; zwischen den Palmblattdächern der niedrigen, kleinen Häuschen huschten weiße Gestalten umher, Feuerbrände irrten hierhin und dorthin, da loderte eine angefachte Flamme auf, und Schafe und Ziegen riefen nach der Weide. Kein friedlicheres Bild als das eines Negerdorfes im Scheine der Frühsonne! Noch ist es frisch, und Alles schaart sich um die erwärmenden Feuer, in denen die Maiskolben zum leckern Mahle geröstet werden; Gelächter allenthalben, Plaudern und Erzählen vom vergangenen Tage, von den Träumen der Nacht und von der — „Arbeit" des heutigen Tages. Doch plötzlich ändert sich die Scenerie. Dumpfer Trommelschall klang vom Dorfe hohl und unheimlich herüber durch die friedvolle Morgenstille. Aber auch die Natur harmonirte nun mit der Musik, unheilschwangere Wetter zogen über den Bergen auf, und eine graue Wolke verdeckte die Sonne, die vor Kurzem noch so fröhlich strahlte. Da kam auch schon der Dolmetscher. Seine Rede begleitete er mit den dem Neger eigenthümlichen ausdrucksvollen Gesten und erklärte mir, daß w

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/418>, abgerufen am 27.09.2024.