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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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langen, daß auch Menschen vermögen, geheime Zauberkräfte zur Herbeiführung
eines Todesfalles wirken zu lassen. Die Idee, daß der Mensch ohne Beein¬
flussung solcher das Leben endender Kräfte ewig leben könne, finden wir auf
dem ganzen Erdball, bei den Patagoniern, den Australiern, den Abiponen
am Paraguay, den Papuanen auf den Hebriden, den Fidjiinsulanern und
den Negern.

Vereint aber mit diesem Wahnglauben tritt auch derjenige an Rechts-
offenbarungen auf, die Gott ordnungsmäßig und kunstgerecht befragt, er¬
theilen müsse. Noch augenblicklich ist das "Gottesgericht" bei einigen
Dravidastämmen in Süd-Arabien, bei Brahmanen-Hindus, bei den Papuanen
Neu-Guineas und den Negern der Goldküste in vollem Brauch.

In Süd-Afrika finden wir als Mittel zur Vollziehung des Gottesgerichtes
den Genuß eines Giftes, welches, in Loango "N-kassa" genannt, von der
Pulverisirten Rinde eines Caesalpinienbaumes (LrMiroloeum gumLöllsci)
bereitet wird. Wer der Schuld eines Todesfalles bezichtigt wird, fällt dem
Gottesgericht anheim; er erhält zu dem Zweck von dem N-ganga (Zauber-
Priester) das Giftpulver eingegeben. Wirkt dasselbe als Vomitiv, so ist seine
Unschuld glänzend erwiesen, und dieselbe Menge, die den Beschuldigten vorher
in fanatischem Eifer schlug und peinigte, beschimpfte und mit Koth bewarf,
feiert dann zu Ehren des Unschuldbeweises die glänzendsten Feste. -- Bleibt
das Gift jedoch im Magen, so wirkt es tödtend, und gewöhnlich wird dem
Leben des Ueberführten, schon ehe das Gift den Tod bewirkte, durch Ver¬
brennen ein Ende gemacht. Im Süden Angolas erhält auch an Stelle des
Angeklagten ein Hund, den er selbst zu wählen hat, das Gift -- natürlich
in verringerter Menge, und falls das Thier stirbt, wird der nun für schuldig
Gehaltene zum Tode oder zur Sklaverei verurtheilt. --

Daß es bei den Gottesgerichten nicht immer in rechtmäßiger Art und
Weise zugeht, versteht sich von selbst, -- ist ja doch die Hierarchie mit im
Spiele. Ist die Meinung des N-ganga derjenigen der Ankläger aus irgend
welchen Gründen entgegengesetzt, so ist die Wirkung des Giftes als Brech¬
mittel sicher, der Angeklagte schuldlos und man schreitet zur Untersuchung
eines Anderen, gewöhnlich des Anklägers. Prinzen sind vom N-eassa-
^sser ganz frei, und häufig müssen die einmal Angeschuldigten 5 tout prix
sterben. Den letzteren Fall und zwar in scheußlichster Weise hatte ich einmal
Gelegenheit anzusehen.

Es war in Chinchoxo --der Station der ersten deutschen Erpedition
zur Erforschung Central - Afrikas -- am Morgen des 19. October 1874.
Wie stets hatte ich schon frühzeitig mein Lager verlassen und stand am Ab¬
hang der Dünenklippe in's Meer schauend und die langsam in's Land ziehende
^rise in die Brust saugend. - Unermüdlich wie immer, ob am Morgen


langen, daß auch Menschen vermögen, geheime Zauberkräfte zur Herbeiführung
eines Todesfalles wirken zu lassen. Die Idee, daß der Mensch ohne Beein¬
flussung solcher das Leben endender Kräfte ewig leben könne, finden wir auf
dem ganzen Erdball, bei den Patagoniern, den Australiern, den Abiponen
am Paraguay, den Papuanen auf den Hebriden, den Fidjiinsulanern und
den Negern.

Vereint aber mit diesem Wahnglauben tritt auch derjenige an Rechts-
offenbarungen auf, die Gott ordnungsmäßig und kunstgerecht befragt, er¬
theilen müsse. Noch augenblicklich ist das „Gottesgericht" bei einigen
Dravidastämmen in Süd-Arabien, bei Brahmanen-Hindus, bei den Papuanen
Neu-Guineas und den Negern der Goldküste in vollem Brauch.

In Süd-Afrika finden wir als Mittel zur Vollziehung des Gottesgerichtes
den Genuß eines Giftes, welches, in Loango „N-kassa" genannt, von der
Pulverisirten Rinde eines Caesalpinienbaumes (LrMiroloeum gumLöllsci)
bereitet wird. Wer der Schuld eines Todesfalles bezichtigt wird, fällt dem
Gottesgericht anheim; er erhält zu dem Zweck von dem N-ganga (Zauber-
Priester) das Giftpulver eingegeben. Wirkt dasselbe als Vomitiv, so ist seine
Unschuld glänzend erwiesen, und dieselbe Menge, die den Beschuldigten vorher
in fanatischem Eifer schlug und peinigte, beschimpfte und mit Koth bewarf,
feiert dann zu Ehren des Unschuldbeweises die glänzendsten Feste. — Bleibt
das Gift jedoch im Magen, so wirkt es tödtend, und gewöhnlich wird dem
Leben des Ueberführten, schon ehe das Gift den Tod bewirkte, durch Ver¬
brennen ein Ende gemacht. Im Süden Angolas erhält auch an Stelle des
Angeklagten ein Hund, den er selbst zu wählen hat, das Gift — natürlich
in verringerter Menge, und falls das Thier stirbt, wird der nun für schuldig
Gehaltene zum Tode oder zur Sklaverei verurtheilt. —

Daß es bei den Gottesgerichten nicht immer in rechtmäßiger Art und
Weise zugeht, versteht sich von selbst, — ist ja doch die Hierarchie mit im
Spiele. Ist die Meinung des N-ganga derjenigen der Ankläger aus irgend
welchen Gründen entgegengesetzt, so ist die Wirkung des Giftes als Brech¬
mittel sicher, der Angeklagte schuldlos und man schreitet zur Untersuchung
eines Anderen, gewöhnlich des Anklägers. Prinzen sind vom N-eassa-
^sser ganz frei, und häufig müssen die einmal Angeschuldigten 5 tout prix
sterben. Den letzteren Fall und zwar in scheußlichster Weise hatte ich einmal
Gelegenheit anzusehen.

Es war in Chinchoxo —der Station der ersten deutschen Erpedition
zur Erforschung Central - Afrikas — am Morgen des 19. October 1874.
Wie stets hatte ich schon frühzeitig mein Lager verlassen und stand am Ab¬
hang der Dünenklippe in's Meer schauend und die langsam in's Land ziehende
^rise in die Brust saugend. - Unermüdlich wie immer, ob am Morgen


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[0417] langen, daß auch Menschen vermögen, geheime Zauberkräfte zur Herbeiführung eines Todesfalles wirken zu lassen. Die Idee, daß der Mensch ohne Beein¬ flussung solcher das Leben endender Kräfte ewig leben könne, finden wir auf dem ganzen Erdball, bei den Patagoniern, den Australiern, den Abiponen am Paraguay, den Papuanen auf den Hebriden, den Fidjiinsulanern und den Negern. Vereint aber mit diesem Wahnglauben tritt auch derjenige an Rechts- offenbarungen auf, die Gott ordnungsmäßig und kunstgerecht befragt, er¬ theilen müsse. Noch augenblicklich ist das „Gottesgericht" bei einigen Dravidastämmen in Süd-Arabien, bei Brahmanen-Hindus, bei den Papuanen Neu-Guineas und den Negern der Goldküste in vollem Brauch. In Süd-Afrika finden wir als Mittel zur Vollziehung des Gottesgerichtes den Genuß eines Giftes, welches, in Loango „N-kassa" genannt, von der Pulverisirten Rinde eines Caesalpinienbaumes (LrMiroloeum gumLöllsci) bereitet wird. Wer der Schuld eines Todesfalles bezichtigt wird, fällt dem Gottesgericht anheim; er erhält zu dem Zweck von dem N-ganga (Zauber- Priester) das Giftpulver eingegeben. Wirkt dasselbe als Vomitiv, so ist seine Unschuld glänzend erwiesen, und dieselbe Menge, die den Beschuldigten vorher in fanatischem Eifer schlug und peinigte, beschimpfte und mit Koth bewarf, feiert dann zu Ehren des Unschuldbeweises die glänzendsten Feste. — Bleibt das Gift jedoch im Magen, so wirkt es tödtend, und gewöhnlich wird dem Leben des Ueberführten, schon ehe das Gift den Tod bewirkte, durch Ver¬ brennen ein Ende gemacht. Im Süden Angolas erhält auch an Stelle des Angeklagten ein Hund, den er selbst zu wählen hat, das Gift — natürlich in verringerter Menge, und falls das Thier stirbt, wird der nun für schuldig Gehaltene zum Tode oder zur Sklaverei verurtheilt. — Daß es bei den Gottesgerichten nicht immer in rechtmäßiger Art und Weise zugeht, versteht sich von selbst, — ist ja doch die Hierarchie mit im Spiele. Ist die Meinung des N-ganga derjenigen der Ankläger aus irgend welchen Gründen entgegengesetzt, so ist die Wirkung des Giftes als Brech¬ mittel sicher, der Angeklagte schuldlos und man schreitet zur Untersuchung eines Anderen, gewöhnlich des Anklägers. Prinzen sind vom N-eassa- ^sser ganz frei, und häufig müssen die einmal Angeschuldigten 5 tout prix sterben. Den letzteren Fall und zwar in scheußlichster Weise hatte ich einmal Gelegenheit anzusehen. Es war in Chinchoxo —der Station der ersten deutschen Erpedition zur Erforschung Central - Afrikas — am Morgen des 19. October 1874. Wie stets hatte ich schon frühzeitig mein Lager verlassen und stand am Ab¬ hang der Dünenklippe in's Meer schauend und die langsam in's Land ziehende ^rise in die Brust saugend. - Unermüdlich wie immer, ob am Morgen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/417>, abgerufen am 27.09.2024.