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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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aus; aber ein richtiger Weisung ist Unwahrscheinlicheres, Absurderes zu
glauben im Stande, und sagt nicht auch das obenerwähnte Lieblingslied der
Partei: "Da seh ich von weitem den Kronprinzen reiten auf -- doch nein,
in dem Liede, wie ich es kenne, reitet er -- auf keinem Pferde.

Mag der Bauer, dem das Büchlein verkauft wurde, sich bei diesen
Dingen gedacht haben, was ihm gefiel und beliebte, jedenfalls wurde mit
der Aufwärmung dieser alten, ursprünglich sicher ganz anders lautenden Prophe¬
zeiung ein politischer Zweck verfolgt. Ob sie viele Gläubige gefunden hat,
weiß ich nicht. Möglich wäre es; denn das "Prognostikon" ist gedruckt und
wie gesagt, beim Buchbinder zu haben. Buchbinder verkaufen auch Kalender.
Kalender aber lügen niemals -- also!

Und wer von den Abergläubischen dem alten Wickenthies nicht traute, der
in der That schon lange todt war, der glaubte irgend einem der Wickewieber, die
sich damals über die Zukunft Hannovers vernehmen ließen, oder dem prophetischen
Schäfer im Osnabrückschen, der erst im Dezember 1866 das Zeitliche gesegnet
hatte. Das weiße Gespenst im Lengdener Kirchthurm, welches Kindern, die
am Charfreitag in die Predigt geläutet, allerlei Belehrung über die nächstens
zu erwartende Wiederkehr Georgs des Fünften und Letzten ertheilt hatte, war
von der Polizei ertappt, ausgeschält und als unecht erkannt worden. Der
Osnabrücker Kuhhirt aber, das war der rechte Prophet. Der hatte mehr
als Brotessen gekonnt. Hatte er doch Tag und Stunde seines Todes voraus¬
gewußt, ja sogar, daß bei seinem Begräbniß der Wagen zerbrechen würde.
Warum sollte er nicht auch Kunde von politischen Ereignissen der kommen¬
den Tage besessen haben? Zwei Wochen nach seinem Ableben werde, so
hatte er verkündigt, für sechs Wochen Thauwetter eintreten, dann werde für
ebenso lange Zeit scharfer Frost kommen, darauf ein Krieg und nach diesem
die Wiedereinsetzung König Georgs. Die Wetterprophezeiung war nun aller¬
dings nicht eingetroffen. Schadet aber nichts, sagten die, welche durchaus
glauben wollten, weil sie wünschten, was geweissagt wurde. Man nahm sich
eben, wie häufig geschieht, von der Sache, was von ihr paßte. Befragen wir
doch auch in Angelegenheiten, wo wir unschlüssig oder in Zweifel sind, die
Rockknöpfe, und thun und hoffen wir nicht, mögen sie antworten, was sie
wollen, dennoch, wonach uns vorher der Sinn stand?

Es kann nach dem Obigen scheinen, als ob ich alle diese hannoverschen
Propheten perhorresciren wollte. Das ist jedoch mit nichten der Fall. --
Keineswegs von einem unehrerbietigem Spaßvogel herrührend, vielmehr offen¬
bar naiv gemeint und wahrscheinlich auf Grund einer Vision entstanden,
ging noch im Jahre 1875 in Hannover die zwar nicht sehr poetische, dafür
aber um so tiefsinnigere Weissagung um: "Wenn eine Blutwurst auf
der Umfuhr liegt, so wird König Georg wiederkommen", und


aus; aber ein richtiger Weisung ist Unwahrscheinlicheres, Absurderes zu
glauben im Stande, und sagt nicht auch das obenerwähnte Lieblingslied der
Partei: „Da seh ich von weitem den Kronprinzen reiten auf — doch nein,
in dem Liede, wie ich es kenne, reitet er — auf keinem Pferde.

Mag der Bauer, dem das Büchlein verkauft wurde, sich bei diesen
Dingen gedacht haben, was ihm gefiel und beliebte, jedenfalls wurde mit
der Aufwärmung dieser alten, ursprünglich sicher ganz anders lautenden Prophe¬
zeiung ein politischer Zweck verfolgt. Ob sie viele Gläubige gefunden hat,
weiß ich nicht. Möglich wäre es; denn das „Prognostikon" ist gedruckt und
wie gesagt, beim Buchbinder zu haben. Buchbinder verkaufen auch Kalender.
Kalender aber lügen niemals — also!

Und wer von den Abergläubischen dem alten Wickenthies nicht traute, der
in der That schon lange todt war, der glaubte irgend einem der Wickewieber, die
sich damals über die Zukunft Hannovers vernehmen ließen, oder dem prophetischen
Schäfer im Osnabrückschen, der erst im Dezember 1866 das Zeitliche gesegnet
hatte. Das weiße Gespenst im Lengdener Kirchthurm, welches Kindern, die
am Charfreitag in die Predigt geläutet, allerlei Belehrung über die nächstens
zu erwartende Wiederkehr Georgs des Fünften und Letzten ertheilt hatte, war
von der Polizei ertappt, ausgeschält und als unecht erkannt worden. Der
Osnabrücker Kuhhirt aber, das war der rechte Prophet. Der hatte mehr
als Brotessen gekonnt. Hatte er doch Tag und Stunde seines Todes voraus¬
gewußt, ja sogar, daß bei seinem Begräbniß der Wagen zerbrechen würde.
Warum sollte er nicht auch Kunde von politischen Ereignissen der kommen¬
den Tage besessen haben? Zwei Wochen nach seinem Ableben werde, so
hatte er verkündigt, für sechs Wochen Thauwetter eintreten, dann werde für
ebenso lange Zeit scharfer Frost kommen, darauf ein Krieg und nach diesem
die Wiedereinsetzung König Georgs. Die Wetterprophezeiung war nun aller¬
dings nicht eingetroffen. Schadet aber nichts, sagten die, welche durchaus
glauben wollten, weil sie wünschten, was geweissagt wurde. Man nahm sich
eben, wie häufig geschieht, von der Sache, was von ihr paßte. Befragen wir
doch auch in Angelegenheiten, wo wir unschlüssig oder in Zweifel sind, die
Rockknöpfe, und thun und hoffen wir nicht, mögen sie antworten, was sie
wollen, dennoch, wonach uns vorher der Sinn stand?

Es kann nach dem Obigen scheinen, als ob ich alle diese hannoverschen
Propheten perhorresciren wollte. Das ist jedoch mit nichten der Fall. —
Keineswegs von einem unehrerbietigem Spaßvogel herrührend, vielmehr offen¬
bar naiv gemeint und wahrscheinlich auf Grund einer Vision entstanden,
ging noch im Jahre 1875 in Hannover die zwar nicht sehr poetische, dafür
aber um so tiefsinnigere Weissagung um: „Wenn eine Blutwurst auf
der Umfuhr liegt, so wird König Georg wiederkommen", und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/379>, abgerufen am 27.09.2024.