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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Asien thaten desgleichen von den Säulen des Herkules bis zur chinesischen
Mauer. Es war damit gegangen wie mit der Wolke des Propheten Elias:
zuerst war sie nicht größer als die Hand eines Mannes, und binnen Kurzem be¬
schattete sie das Antlitz der ganzen Erde.

Diese weite Verbreitung des Tabaksgenusses in verhältnißmäßig kurzer
Zeit giebt zu denken und ist um so merkwürdiger, als das Kraut Nieots im
ersten Jahrzehnt nach seiner Herüberkunft nach Europa "mit Silber aufge¬
wogen" wurde und auch später noch viel theurer als heutzutage der beste
Rauchtabak war, und als es neben vielen Freunden auch einflußreiche und
mächtige Feinde fand. Die Kirche wie eine ziemlich große Anzahl von
Fürsten und Obrigkeiten erhoben ihre Stimme gegen die Sitte als gegen
einen Unfug, und in nicht wenigen Ländern wurden die Raucher und
Schnupfer wie schwere Verbrecher bestraft. Der Papst und der Sultan, der
Großfürst von Moskau und der Großmogul in Delhi, selbst die damals
nichts weniger als "freie" Schweiz zogen mit Edicten und harten Strafen
gegen das uns so harmlos, wenigstens nicht, wie ihnen als gottlos er¬
scheinende Rauch- und Schnupfkraut zu Felde.

Am mildesten noch sah man die Sache in Frankreich an, wo Ludwig der
Dreizehnte den Verkauf dieser Drogue Allen mit Ausnahme der Apotheker bei
Strafe von achtzig Livres verbot. Schlimmer schon verfuhren mehrere Päpste,
die den Sündern mit der Dose, welche damit in der Kirche erschienen --
Priester hatten sich nicht entblödet, während des Messelesens zu schnupfen --
mit Excommunication drohten, was 1624 von Urban dem Achten und noch 1690
von Innocenz dem Zwölften geschah. In Toskana wurde der Anbau von
Tabak auf bestimmte Districte beschränkt. In Bern ergingen 1660 und
1661 scharfe Mandate gegen das Rauchen, auch wurde ein eignes Gericht,
die "Lug.inbrk 6u ?g,da.e" zur Aburtheilung der Raucher und Schnupfer
niedergesetzt, welches bis um die Mitte des letzten Jahrhunderts bestand. In
Glarus und Appenzell ging man mit ziemlich hohen Geldstrafen gegen die¬
jenigen vor. welche der verbotnen Pfeife oder Dose huldigten. In Ungarn
ahndete man das Rauchen ebenfalls mit Geldbußen, und der Anbau der
Tabakspflanze sollte mit Einziehung des Grundbesitzes des Betreffenden be¬
straft werden. Nach der Berliner Polizeiordnung von 1661 stand das
Rauchen ungefähr dem Ehebruch gleich, und noch 1675 war es mit Gefäng¬
niß und Pranger bedroht. Im Lüneburgischen sollten nach einer Verordnung
von 1695 solche, die sich "mit dem liederlichen Werke des Tabakstrinkens" be¬
faßten, sogar hingerichtet werden.

Kam das in deutschen Landen vor, so darf man sich nicht zu sehr
wundern, wenn der barbarische Osten den Tabaksgenuß mit den grausamsten
Mitteln auszurotten bemüht war. In Rußland wurde bis auf Peter den


Asien thaten desgleichen von den Säulen des Herkules bis zur chinesischen
Mauer. Es war damit gegangen wie mit der Wolke des Propheten Elias:
zuerst war sie nicht größer als die Hand eines Mannes, und binnen Kurzem be¬
schattete sie das Antlitz der ganzen Erde.

Diese weite Verbreitung des Tabaksgenusses in verhältnißmäßig kurzer
Zeit giebt zu denken und ist um so merkwürdiger, als das Kraut Nieots im
ersten Jahrzehnt nach seiner Herüberkunft nach Europa „mit Silber aufge¬
wogen" wurde und auch später noch viel theurer als heutzutage der beste
Rauchtabak war, und als es neben vielen Freunden auch einflußreiche und
mächtige Feinde fand. Die Kirche wie eine ziemlich große Anzahl von
Fürsten und Obrigkeiten erhoben ihre Stimme gegen die Sitte als gegen
einen Unfug, und in nicht wenigen Ländern wurden die Raucher und
Schnupfer wie schwere Verbrecher bestraft. Der Papst und der Sultan, der
Großfürst von Moskau und der Großmogul in Delhi, selbst die damals
nichts weniger als „freie" Schweiz zogen mit Edicten und harten Strafen
gegen das uns so harmlos, wenigstens nicht, wie ihnen als gottlos er¬
scheinende Rauch- und Schnupfkraut zu Felde.

Am mildesten noch sah man die Sache in Frankreich an, wo Ludwig der
Dreizehnte den Verkauf dieser Drogue Allen mit Ausnahme der Apotheker bei
Strafe von achtzig Livres verbot. Schlimmer schon verfuhren mehrere Päpste,
die den Sündern mit der Dose, welche damit in der Kirche erschienen —
Priester hatten sich nicht entblödet, während des Messelesens zu schnupfen —
mit Excommunication drohten, was 1624 von Urban dem Achten und noch 1690
von Innocenz dem Zwölften geschah. In Toskana wurde der Anbau von
Tabak auf bestimmte Districte beschränkt. In Bern ergingen 1660 und
1661 scharfe Mandate gegen das Rauchen, auch wurde ein eignes Gericht,
die „Lug.inbrk 6u ?g,da.e" zur Aburtheilung der Raucher und Schnupfer
niedergesetzt, welches bis um die Mitte des letzten Jahrhunderts bestand. In
Glarus und Appenzell ging man mit ziemlich hohen Geldstrafen gegen die¬
jenigen vor. welche der verbotnen Pfeife oder Dose huldigten. In Ungarn
ahndete man das Rauchen ebenfalls mit Geldbußen, und der Anbau der
Tabakspflanze sollte mit Einziehung des Grundbesitzes des Betreffenden be¬
straft werden. Nach der Berliner Polizeiordnung von 1661 stand das
Rauchen ungefähr dem Ehebruch gleich, und noch 1675 war es mit Gefäng¬
niß und Pranger bedroht. Im Lüneburgischen sollten nach einer Verordnung
von 1695 solche, die sich „mit dem liederlichen Werke des Tabakstrinkens" be¬
faßten, sogar hingerichtet werden.

Kam das in deutschen Landen vor, so darf man sich nicht zu sehr
wundern, wenn der barbarische Osten den Tabaksgenuß mit den grausamsten
Mitteln auszurotten bemüht war. In Rußland wurde bis auf Peter den


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[0330] Asien thaten desgleichen von den Säulen des Herkules bis zur chinesischen Mauer. Es war damit gegangen wie mit der Wolke des Propheten Elias: zuerst war sie nicht größer als die Hand eines Mannes, und binnen Kurzem be¬ schattete sie das Antlitz der ganzen Erde. Diese weite Verbreitung des Tabaksgenusses in verhältnißmäßig kurzer Zeit giebt zu denken und ist um so merkwürdiger, als das Kraut Nieots im ersten Jahrzehnt nach seiner Herüberkunft nach Europa „mit Silber aufge¬ wogen" wurde und auch später noch viel theurer als heutzutage der beste Rauchtabak war, und als es neben vielen Freunden auch einflußreiche und mächtige Feinde fand. Die Kirche wie eine ziemlich große Anzahl von Fürsten und Obrigkeiten erhoben ihre Stimme gegen die Sitte als gegen einen Unfug, und in nicht wenigen Ländern wurden die Raucher und Schnupfer wie schwere Verbrecher bestraft. Der Papst und der Sultan, der Großfürst von Moskau und der Großmogul in Delhi, selbst die damals nichts weniger als „freie" Schweiz zogen mit Edicten und harten Strafen gegen das uns so harmlos, wenigstens nicht, wie ihnen als gottlos er¬ scheinende Rauch- und Schnupfkraut zu Felde. Am mildesten noch sah man die Sache in Frankreich an, wo Ludwig der Dreizehnte den Verkauf dieser Drogue Allen mit Ausnahme der Apotheker bei Strafe von achtzig Livres verbot. Schlimmer schon verfuhren mehrere Päpste, die den Sündern mit der Dose, welche damit in der Kirche erschienen — Priester hatten sich nicht entblödet, während des Messelesens zu schnupfen — mit Excommunication drohten, was 1624 von Urban dem Achten und noch 1690 von Innocenz dem Zwölften geschah. In Toskana wurde der Anbau von Tabak auf bestimmte Districte beschränkt. In Bern ergingen 1660 und 1661 scharfe Mandate gegen das Rauchen, auch wurde ein eignes Gericht, die „Lug.inbrk 6u ?g,da.e" zur Aburtheilung der Raucher und Schnupfer niedergesetzt, welches bis um die Mitte des letzten Jahrhunderts bestand. In Glarus und Appenzell ging man mit ziemlich hohen Geldstrafen gegen die¬ jenigen vor. welche der verbotnen Pfeife oder Dose huldigten. In Ungarn ahndete man das Rauchen ebenfalls mit Geldbußen, und der Anbau der Tabakspflanze sollte mit Einziehung des Grundbesitzes des Betreffenden be¬ straft werden. Nach der Berliner Polizeiordnung von 1661 stand das Rauchen ungefähr dem Ehebruch gleich, und noch 1675 war es mit Gefäng¬ niß und Pranger bedroht. Im Lüneburgischen sollten nach einer Verordnung von 1695 solche, die sich „mit dem liederlichen Werke des Tabakstrinkens" be¬ faßten, sogar hingerichtet werden. Kam das in deutschen Landen vor, so darf man sich nicht zu sehr wundern, wenn der barbarische Osten den Tabaksgenuß mit den grausamsten Mitteln auszurotten bemüht war. In Rußland wurde bis auf Peter den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/330>, abgerufen am 27.09.2024.