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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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In einer Nische der Wand stand auf einem Basaltblock eine Statue des
Harpokrates, auf's Genaueste derjenigen gleichend, welche ich im Atrium ge¬
sehen, aber mit natürlichen Gewändern bekleidet, so daß man nicht zu er¬
kennen vermochte, aus welchem Stoffe sie bestehe. Vor ihr befand sich ein
kleiner Altar,,von welchem ein Rauch aufstieg, der das Zimmer in leichten
Duft hüllte. Neben dem Altar standen zwei Ibis; ebenso zur Seite der
Tempeltreppe, an deren Fuß zwei Sphinxe lagen. Hinten erhoben Palmen
ihre breitschattenden Häupter, und Schlangen ringelten an ihren Stämmen
sich empor. --

Ein Priester stand vor dem Altare und warf Räucherwerk in die Flamme,
indem er eintönige Worte murmelte. In dem Augenblick, in welchem sich die
Scene mir zuerst gezeigt und der Jubelruf der Versammelten die Stille
unterbrochen hatte, war es mir erschienen, als wenn die erhobene Hand des
Harpokratesbildes sich bewegt und der Finger des Gottes sich von den Lippen
entfernt habe. -- Jetzt verstummte das murmelnde Gebet des Priesters; eine
stärkere Rauchwolke wallte von dem Altar auf; Paukenschlag und der Klang
metallener Klappern ertönte, und durch den Lärm hörte man eine dumpfe
Stimme, die von dem Platze des Harpokrates her und zwar von seinen
Lippen, die er wieder von dem Finger befreit hatte, zu kommen schien.

Neues entzücktes Jubelrufen folgte diesem Ereigniß. Zwei Priester,
die bisher zu Seiten des ersteren gekauert hatten, erhoben sich und traten
mit aufgehobenen Händen zu der kleinen Schaar der Jünglinge und Jung¬
frauen vor, welche die geheimnißvollen Weihen empfangen sollten. Die Priester
waren ohne Kopf- und Fußbedeckung. Ihr Haar war geschoren, und ein
weißes schleierartiges Gewand umhüllte sie bis zu den Füßen. In dem einen
erkannte ich ohne Mühe meinen greisen Führer. Er winkte den Neophyten
und trat mit ihnen an das eherne Wasserbecken heran. Jene beugten die
Häupter über den Rand desselben, so daß die langen Haare der Jungfrauen
in das Wasser niederwallten; er schöpfte mit der hohlen Hand von demselben
und goß es, Gebete murmelnd, über dieselben aus, worauf plötzlich das
Wallen und Rauschen in dem Becken aufhörte. Jetzt trat der andere Priester
herzu, dessen Gewand von einer schwarzen Schärpe um Schulter und Leib
umschlossen war, und winkte den Getauften sich umzuwenden. Er schritt
ihnen voraus zu der gegenüber befindlichen Kapelle und berührte mit der ni
sein Kleid gehüllten Hand die niedrige Pforte. Sie sprang mit Krachen
auf; gebückt schritt er hindurch, und die Andern folgten ihm; dann schloß
die Thür sich wieder wie von selbst.

In demselben Augenblick erloschen die Feuer, welche den Garten und das
Tempelgemach erhellten. Nur die Gestalt der Göttin Isis blieb in einem


In einer Nische der Wand stand auf einem Basaltblock eine Statue des
Harpokrates, auf's Genaueste derjenigen gleichend, welche ich im Atrium ge¬
sehen, aber mit natürlichen Gewändern bekleidet, so daß man nicht zu er¬
kennen vermochte, aus welchem Stoffe sie bestehe. Vor ihr befand sich ein
kleiner Altar,,von welchem ein Rauch aufstieg, der das Zimmer in leichten
Duft hüllte. Neben dem Altar standen zwei Ibis; ebenso zur Seite der
Tempeltreppe, an deren Fuß zwei Sphinxe lagen. Hinten erhoben Palmen
ihre breitschattenden Häupter, und Schlangen ringelten an ihren Stämmen
sich empor. —

Ein Priester stand vor dem Altare und warf Räucherwerk in die Flamme,
indem er eintönige Worte murmelte. In dem Augenblick, in welchem sich die
Scene mir zuerst gezeigt und der Jubelruf der Versammelten die Stille
unterbrochen hatte, war es mir erschienen, als wenn die erhobene Hand des
Harpokratesbildes sich bewegt und der Finger des Gottes sich von den Lippen
entfernt habe. — Jetzt verstummte das murmelnde Gebet des Priesters; eine
stärkere Rauchwolke wallte von dem Altar auf; Paukenschlag und der Klang
metallener Klappern ertönte, und durch den Lärm hörte man eine dumpfe
Stimme, die von dem Platze des Harpokrates her und zwar von seinen
Lippen, die er wieder von dem Finger befreit hatte, zu kommen schien.

Neues entzücktes Jubelrufen folgte diesem Ereigniß. Zwei Priester,
die bisher zu Seiten des ersteren gekauert hatten, erhoben sich und traten
mit aufgehobenen Händen zu der kleinen Schaar der Jünglinge und Jung¬
frauen vor, welche die geheimnißvollen Weihen empfangen sollten. Die Priester
waren ohne Kopf- und Fußbedeckung. Ihr Haar war geschoren, und ein
weißes schleierartiges Gewand umhüllte sie bis zu den Füßen. In dem einen
erkannte ich ohne Mühe meinen greisen Führer. Er winkte den Neophyten
und trat mit ihnen an das eherne Wasserbecken heran. Jene beugten die
Häupter über den Rand desselben, so daß die langen Haare der Jungfrauen
in das Wasser niederwallten; er schöpfte mit der hohlen Hand von demselben
und goß es, Gebete murmelnd, über dieselben aus, worauf plötzlich das
Wallen und Rauschen in dem Becken aufhörte. Jetzt trat der andere Priester
herzu, dessen Gewand von einer schwarzen Schärpe um Schulter und Leib
umschlossen war, und winkte den Getauften sich umzuwenden. Er schritt
ihnen voraus zu der gegenüber befindlichen Kapelle und berührte mit der ni
sein Kleid gehüllten Hand die niedrige Pforte. Sie sprang mit Krachen
auf; gebückt schritt er hindurch, und die Andern folgten ihm; dann schloß
die Thür sich wieder wie von selbst.

In demselben Augenblick erloschen die Feuer, welche den Garten und das
Tempelgemach erhellten. Nur die Gestalt der Göttin Isis blieb in einem


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[0310] In einer Nische der Wand stand auf einem Basaltblock eine Statue des Harpokrates, auf's Genaueste derjenigen gleichend, welche ich im Atrium ge¬ sehen, aber mit natürlichen Gewändern bekleidet, so daß man nicht zu er¬ kennen vermochte, aus welchem Stoffe sie bestehe. Vor ihr befand sich ein kleiner Altar,,von welchem ein Rauch aufstieg, der das Zimmer in leichten Duft hüllte. Neben dem Altar standen zwei Ibis; ebenso zur Seite der Tempeltreppe, an deren Fuß zwei Sphinxe lagen. Hinten erhoben Palmen ihre breitschattenden Häupter, und Schlangen ringelten an ihren Stämmen sich empor. — Ein Priester stand vor dem Altare und warf Räucherwerk in die Flamme, indem er eintönige Worte murmelte. In dem Augenblick, in welchem sich die Scene mir zuerst gezeigt und der Jubelruf der Versammelten die Stille unterbrochen hatte, war es mir erschienen, als wenn die erhobene Hand des Harpokratesbildes sich bewegt und der Finger des Gottes sich von den Lippen entfernt habe. — Jetzt verstummte das murmelnde Gebet des Priesters; eine stärkere Rauchwolke wallte von dem Altar auf; Paukenschlag und der Klang metallener Klappern ertönte, und durch den Lärm hörte man eine dumpfe Stimme, die von dem Platze des Harpokrates her und zwar von seinen Lippen, die er wieder von dem Finger befreit hatte, zu kommen schien. Neues entzücktes Jubelrufen folgte diesem Ereigniß. Zwei Priester, die bisher zu Seiten des ersteren gekauert hatten, erhoben sich und traten mit aufgehobenen Händen zu der kleinen Schaar der Jünglinge und Jung¬ frauen vor, welche die geheimnißvollen Weihen empfangen sollten. Die Priester waren ohne Kopf- und Fußbedeckung. Ihr Haar war geschoren, und ein weißes schleierartiges Gewand umhüllte sie bis zu den Füßen. In dem einen erkannte ich ohne Mühe meinen greisen Führer. Er winkte den Neophyten und trat mit ihnen an das eherne Wasserbecken heran. Jene beugten die Häupter über den Rand desselben, so daß die langen Haare der Jungfrauen in das Wasser niederwallten; er schöpfte mit der hohlen Hand von demselben und goß es, Gebete murmelnd, über dieselben aus, worauf plötzlich das Wallen und Rauschen in dem Becken aufhörte. Jetzt trat der andere Priester herzu, dessen Gewand von einer schwarzen Schärpe um Schulter und Leib umschlossen war, und winkte den Getauften sich umzuwenden. Er schritt ihnen voraus zu der gegenüber befindlichen Kapelle und berührte mit der ni sein Kleid gehüllten Hand die niedrige Pforte. Sie sprang mit Krachen auf; gebückt schritt er hindurch, und die Andern folgten ihm; dann schloß die Thür sich wieder wie von selbst. In demselben Augenblick erloschen die Feuer, welche den Garten und das Tempelgemach erhellten. Nur die Gestalt der Göttin Isis blieb in einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/310>, abgerufen am 27.09.2024.