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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Mnesias! -- Wenn aber Clodius jetzt nicht zufrieden ist, so verdient er
nichts mehr von deiner Hand zu sehen! Wahrlich, der jugendliche Dionysos
selbst scheint es zu sein, den du auf den nysäischen Auen belauscht hast." --

Es war in der That ein Kunstwerk von wunderbarem Liebreiz, das aus
^r Hand des athenischen Künstlers hervorgegangen war: die Statue eines
lugendlichen Faunes. der in lauschender Stellung dastand. Aus Bronze ge¬
bildet und kaum zwei Schuh hoch zeigte der unbekleidete Körper in Haltung.
Formen und Linien eine unübertreffliche Anmuth, und das kunstvolle Spiel
^r Glieder ließ ihn. wenn ein leichtes Flackern der Flamme einen Schatten
über ihn gleiten ließ, fast lebend erscheinen. Der Künstler hatte ihm nicht
^e Stirnhörnchen. die zugespitzten Ohren oder andere Kennzeichen der wald¬
durchstreifenden Faune gegeben; er hatte ihn wie einen schönen Jüngling
^ der zarten Blüthe des Ueberganges aus dem Knabenalter gebildet, in
welchem etwas weiblich Zartes und Weiches in den Formen noch der Ueber¬
windung durch männliche Kraftentwickelung harrt, aber doch schon die Männ¬
lichkeit sich ahnen läßt. Nur ein Epheukranz schlang sich durch sein kurz-
eckiges Haar, und über der linken Schulter hing ein Ziegenfell. Die linke
^ut war in die Hüfte gelegt, die rechte aber mit ausgestrecktem Zeigefinger
^hoben und das Haupt nach dieser Seite leise geneigt, wie bei Einem, der auf
^ne Töne horcht. So war der ganze Körper leicht nach rechts gesenkt. Der
^"e Fuß war vorgestreckt, wie wenn der Lauscher plötzlich den Schritt ge-
^Amt hätte.

^ Ist es die klagende Stimme der Echo, der er so selbstvergessen lauscht?
^se es der Thyasus des Dionysus oder der Gesang und das fröhliche Lachen
^ Nymphen? -- Liebliche Töne müssen es sein; denn er hat alles Andere
^Hessen, und seine ganze Seele ruht jetzt in dem Ohr. Die Züge des lieb¬
ten Antlitzes wie die Haltung des reizenden Körpers drücken nur reine
^gelbe an den Gegenstand seiner Aufmerksamkeit aus. -- Dazu sind die
^°rnen so zart und elastisch gebildet, die Oberfläche des Körpers so durch-
Htig, die Linien so graziös geschwungen, so fließend und voller Bewegung,
man fast irre daran wird , daß die Gestalt aus dunkelm Erze gebildet
solle. -

Lange beschauten die beiden Künstler prüfend das Werk von allen Seiten;
^ sie fanden nichts mehr zu ändern und zu bessern.

. "Willst du den Proconsul noch diesen Abend überraschen, Mnesias?"
bgte der Jüngere. "Ich brenne vor Begierde zu wissen, ob er nun besser
°" der Kunst in Pompeji denken und aufhören wird, uns die Herkulanen-
^r- Bildner als unerreichbare Muster zu rühmen."

, "Ich wünschte vor Allem", entgegnete der Andere, "daß er mein Werk
^dig fände, neben der herrlichen Nymphe des Praxiteles zu stehen, die er


Grenzboten IV. 1876. 38

Mnesias! — Wenn aber Clodius jetzt nicht zufrieden ist, so verdient er
nichts mehr von deiner Hand zu sehen! Wahrlich, der jugendliche Dionysos
selbst scheint es zu sein, den du auf den nysäischen Auen belauscht hast." —

Es war in der That ein Kunstwerk von wunderbarem Liebreiz, das aus
^r Hand des athenischen Künstlers hervorgegangen war: die Statue eines
lugendlichen Faunes. der in lauschender Stellung dastand. Aus Bronze ge¬
bildet und kaum zwei Schuh hoch zeigte der unbekleidete Körper in Haltung.
Formen und Linien eine unübertreffliche Anmuth, und das kunstvolle Spiel
^r Glieder ließ ihn. wenn ein leichtes Flackern der Flamme einen Schatten
über ihn gleiten ließ, fast lebend erscheinen. Der Künstler hatte ihm nicht
^e Stirnhörnchen. die zugespitzten Ohren oder andere Kennzeichen der wald¬
durchstreifenden Faune gegeben; er hatte ihn wie einen schönen Jüngling
^ der zarten Blüthe des Ueberganges aus dem Knabenalter gebildet, in
welchem etwas weiblich Zartes und Weiches in den Formen noch der Ueber¬
windung durch männliche Kraftentwickelung harrt, aber doch schon die Männ¬
lichkeit sich ahnen läßt. Nur ein Epheukranz schlang sich durch sein kurz-
eckiges Haar, und über der linken Schulter hing ein Ziegenfell. Die linke
^ut war in die Hüfte gelegt, die rechte aber mit ausgestrecktem Zeigefinger
^hoben und das Haupt nach dieser Seite leise geneigt, wie bei Einem, der auf
^ne Töne horcht. So war der ganze Körper leicht nach rechts gesenkt. Der
^"e Fuß war vorgestreckt, wie wenn der Lauscher plötzlich den Schritt ge-
^Amt hätte.

^ Ist es die klagende Stimme der Echo, der er so selbstvergessen lauscht?
^se es der Thyasus des Dionysus oder der Gesang und das fröhliche Lachen
^ Nymphen? — Liebliche Töne müssen es sein; denn er hat alles Andere
^Hessen, und seine ganze Seele ruht jetzt in dem Ohr. Die Züge des lieb¬
ten Antlitzes wie die Haltung des reizenden Körpers drücken nur reine
^gelbe an den Gegenstand seiner Aufmerksamkeit aus. — Dazu sind die
^°rnen so zart und elastisch gebildet, die Oberfläche des Körpers so durch-
Htig, die Linien so graziös geschwungen, so fließend und voller Bewegung,
man fast irre daran wird , daß die Gestalt aus dunkelm Erze gebildet
solle. -

Lange beschauten die beiden Künstler prüfend das Werk von allen Seiten;
^ sie fanden nichts mehr zu ändern und zu bessern.

. „Willst du den Proconsul noch diesen Abend überraschen, Mnesias?"
bgte der Jüngere. „Ich brenne vor Begierde zu wissen, ob er nun besser
°" der Kunst in Pompeji denken und aufhören wird, uns die Herkulanen-
^r- Bildner als unerreichbare Muster zu rühmen."

, »Ich wünschte vor Allem", entgegnete der Andere, „daß er mein Werk
^dig fände, neben der herrlichen Nymphe des Praxiteles zu stehen, die er


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[0301] Mnesias! — Wenn aber Clodius jetzt nicht zufrieden ist, so verdient er nichts mehr von deiner Hand zu sehen! Wahrlich, der jugendliche Dionysos selbst scheint es zu sein, den du auf den nysäischen Auen belauscht hast." — Es war in der That ein Kunstwerk von wunderbarem Liebreiz, das aus ^r Hand des athenischen Künstlers hervorgegangen war: die Statue eines lugendlichen Faunes. der in lauschender Stellung dastand. Aus Bronze ge¬ bildet und kaum zwei Schuh hoch zeigte der unbekleidete Körper in Haltung. Formen und Linien eine unübertreffliche Anmuth, und das kunstvolle Spiel ^r Glieder ließ ihn. wenn ein leichtes Flackern der Flamme einen Schatten über ihn gleiten ließ, fast lebend erscheinen. Der Künstler hatte ihm nicht ^e Stirnhörnchen. die zugespitzten Ohren oder andere Kennzeichen der wald¬ durchstreifenden Faune gegeben; er hatte ihn wie einen schönen Jüngling ^ der zarten Blüthe des Ueberganges aus dem Knabenalter gebildet, in welchem etwas weiblich Zartes und Weiches in den Formen noch der Ueber¬ windung durch männliche Kraftentwickelung harrt, aber doch schon die Männ¬ lichkeit sich ahnen läßt. Nur ein Epheukranz schlang sich durch sein kurz- eckiges Haar, und über der linken Schulter hing ein Ziegenfell. Die linke ^ut war in die Hüfte gelegt, die rechte aber mit ausgestrecktem Zeigefinger ^hoben und das Haupt nach dieser Seite leise geneigt, wie bei Einem, der auf ^ne Töne horcht. So war der ganze Körper leicht nach rechts gesenkt. Der ^"e Fuß war vorgestreckt, wie wenn der Lauscher plötzlich den Schritt ge- ^Amt hätte. ^ Ist es die klagende Stimme der Echo, der er so selbstvergessen lauscht? ^se es der Thyasus des Dionysus oder der Gesang und das fröhliche Lachen ^ Nymphen? — Liebliche Töne müssen es sein; denn er hat alles Andere ^Hessen, und seine ganze Seele ruht jetzt in dem Ohr. Die Züge des lieb¬ ten Antlitzes wie die Haltung des reizenden Körpers drücken nur reine ^gelbe an den Gegenstand seiner Aufmerksamkeit aus. — Dazu sind die ^°rnen so zart und elastisch gebildet, die Oberfläche des Körpers so durch- Htig, die Linien so graziös geschwungen, so fließend und voller Bewegung, man fast irre daran wird , daß die Gestalt aus dunkelm Erze gebildet solle. - Lange beschauten die beiden Künstler prüfend das Werk von allen Seiten; ^ sie fanden nichts mehr zu ändern und zu bessern. . „Willst du den Proconsul noch diesen Abend überraschen, Mnesias?" bgte der Jüngere. „Ich brenne vor Begierde zu wissen, ob er nun besser °" der Kunst in Pompeji denken und aufhören wird, uns die Herkulanen- ^r- Bildner als unerreichbare Muster zu rühmen." , »Ich wünschte vor Allem", entgegnete der Andere, „daß er mein Werk ^dig fände, neben der herrlichen Nymphe des Praxiteles zu stehen, die er Grenzboten IV. 1876. 38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/301>, abgerufen am 27.09.2024.