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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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unsrer besten Kuh verschwunden, und Niemand im Hause wußte, wo sie hin¬
gerathen war. Das ging eine Weile so fort. Da kam ich eines Tages
Wieder in den Keller, und als ich die Thür aufmachte, sah ich, wie eine große
Weiße Schlange sich nach dem Sims, auf dem die Milchäsche standen, hinauf.
Wand, das Bret, mit welchem wir den mit der fettesten und süßesten zugedeckt
hatten, in die Höhe hob und von der Milch trank. Als sie mich gewahr
wurde, entfloh sie in ein Loch. Erschrocken lief ich zu meinem Vater und
erzählte ihm, was geschehen. Er durchsuchte das ganze Haus nach der
Schlange, konnte aber keine Spur von ihr entdecken, und man sah sie über¬
haupt nicht mehr, auch fehlte von jetzt an nie mehr ein Tropfen Milch.
Ein alter Mann aber, dem mein Vater den Vorfall mittheilte, sagte, das
wäre die Hausschlange gewesen, von denen jedes Haus eine hätte. Andere
alte Leute des Ortes wußten noch Folgendes. Wenn eine Hausschlange sich
zehn Jahre bei einer Familie aufhalten kann, ohne beleidigt oder erschlagen
zu werden, so wächst ihr auf dem Kopfe eine goldene Krone, die aus den
Blumen entsteht, welche die Schlange in dieser Zeit gefressen hat. Dieselben
verwandeln sich im Leibe des Thieres zu Gold, und daraus macht sich dieses
die Krone selbst. Jeden Morgen vor Sonnenaufgang kommt es aus seinem
Loche hervor und wartet, bis die Sonne einen kleinen Fleck bescheint. Auf
diesen legt die Schlange die angefangne Krone und arbeitet so lange daran,
bis die Sonne ganz aufgegangen ist. Dann kriecht sie mit der Krone in die
Erde zurück, weil sie den Tag nicht vertragen kann. Hat nun eine Schlange
ihr zehntes Jahr erreicht, so ist auch ihre Krone fertig, und nun fliegt sie
!Uit derselben er die Hölle. Wer sie ihr aber an diesem Tage vor ihrer
Munde abnehmen kann, der hat sein ganzes Leben hindurch Glück.

Eine Schweizersage bringt die gekrönte Schlange mit der wilden Jagd
Verbindung. Wenn diese im Seethal von Hation erscheint, um mit ihren
gespenstischen Menschen und Hunden die Wälder und Felder zu durchbrausen
Und zuletzt sich in den Bachtobel des Häfniloches zu stürzen und zu verschwinden,
wissen es die dort an der Bergstraße wohnenden Leute immer voraus; denn es hat
steh dann am Tage zuvor unten am Seeufer eine große Schlange mit einem Gold-
^suchen auf dem Kopfe sehen lassen. Man sagt auch, daß hier ein Schloß von
Erde verschlungen worden sei, und daß sich an der tiefen Grube, in die es
^rsunken. bisweilen ein Schatz "sonne", der von einem schwarzen Manne ge¬
hütet werde und von einem Frohnfastenktnde gehoben werden könne. Eine
andere Schweizersage, wie jene von Rochholz mitgetheilt, läßt eine Schlange
Gewitter voraussagen. An sehr heißen Sommertagen -zeigt sich am Wiß-
tNaidli-Brunnen bet Obersachs im Aargauischen eine Schlange, die Augen wie
Baumnüsse und einen zundelrothen Kamm hat; bemerkt man sie, so giebt es
bald Blitz und Donner. Wer sie sieht, bekommt böse Augen, sie ist ein ver-


unsrer besten Kuh verschwunden, und Niemand im Hause wußte, wo sie hin¬
gerathen war. Das ging eine Weile so fort. Da kam ich eines Tages
Wieder in den Keller, und als ich die Thür aufmachte, sah ich, wie eine große
Weiße Schlange sich nach dem Sims, auf dem die Milchäsche standen, hinauf.
Wand, das Bret, mit welchem wir den mit der fettesten und süßesten zugedeckt
hatten, in die Höhe hob und von der Milch trank. Als sie mich gewahr
wurde, entfloh sie in ein Loch. Erschrocken lief ich zu meinem Vater und
erzählte ihm, was geschehen. Er durchsuchte das ganze Haus nach der
Schlange, konnte aber keine Spur von ihr entdecken, und man sah sie über¬
haupt nicht mehr, auch fehlte von jetzt an nie mehr ein Tropfen Milch.
Ein alter Mann aber, dem mein Vater den Vorfall mittheilte, sagte, das
wäre die Hausschlange gewesen, von denen jedes Haus eine hätte. Andere
alte Leute des Ortes wußten noch Folgendes. Wenn eine Hausschlange sich
zehn Jahre bei einer Familie aufhalten kann, ohne beleidigt oder erschlagen
zu werden, so wächst ihr auf dem Kopfe eine goldene Krone, die aus den
Blumen entsteht, welche die Schlange in dieser Zeit gefressen hat. Dieselben
verwandeln sich im Leibe des Thieres zu Gold, und daraus macht sich dieses
die Krone selbst. Jeden Morgen vor Sonnenaufgang kommt es aus seinem
Loche hervor und wartet, bis die Sonne einen kleinen Fleck bescheint. Auf
diesen legt die Schlange die angefangne Krone und arbeitet so lange daran,
bis die Sonne ganz aufgegangen ist. Dann kriecht sie mit der Krone in die
Erde zurück, weil sie den Tag nicht vertragen kann. Hat nun eine Schlange
ihr zehntes Jahr erreicht, so ist auch ihre Krone fertig, und nun fliegt sie
!Uit derselben er die Hölle. Wer sie ihr aber an diesem Tage vor ihrer
Munde abnehmen kann, der hat sein ganzes Leben hindurch Glück.

Eine Schweizersage bringt die gekrönte Schlange mit der wilden Jagd
Verbindung. Wenn diese im Seethal von Hation erscheint, um mit ihren
gespenstischen Menschen und Hunden die Wälder und Felder zu durchbrausen
Und zuletzt sich in den Bachtobel des Häfniloches zu stürzen und zu verschwinden,
wissen es die dort an der Bergstraße wohnenden Leute immer voraus; denn es hat
steh dann am Tage zuvor unten am Seeufer eine große Schlange mit einem Gold-
^suchen auf dem Kopfe sehen lassen. Man sagt auch, daß hier ein Schloß von
Erde verschlungen worden sei, und daß sich an der tiefen Grube, in die es
^rsunken. bisweilen ein Schatz „sonne", der von einem schwarzen Manne ge¬
hütet werde und von einem Frohnfastenktnde gehoben werden könne. Eine
andere Schweizersage, wie jene von Rochholz mitgetheilt, läßt eine Schlange
Gewitter voraussagen. An sehr heißen Sommertagen -zeigt sich am Wiß-
tNaidli-Brunnen bet Obersachs im Aargauischen eine Schlange, die Augen wie
Baumnüsse und einen zundelrothen Kamm hat; bemerkt man sie, so giebt es
bald Blitz und Donner. Wer sie sieht, bekommt böse Augen, sie ist ein ver-


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[0295] unsrer besten Kuh verschwunden, und Niemand im Hause wußte, wo sie hin¬ gerathen war. Das ging eine Weile so fort. Da kam ich eines Tages Wieder in den Keller, und als ich die Thür aufmachte, sah ich, wie eine große Weiße Schlange sich nach dem Sims, auf dem die Milchäsche standen, hinauf. Wand, das Bret, mit welchem wir den mit der fettesten und süßesten zugedeckt hatten, in die Höhe hob und von der Milch trank. Als sie mich gewahr wurde, entfloh sie in ein Loch. Erschrocken lief ich zu meinem Vater und erzählte ihm, was geschehen. Er durchsuchte das ganze Haus nach der Schlange, konnte aber keine Spur von ihr entdecken, und man sah sie über¬ haupt nicht mehr, auch fehlte von jetzt an nie mehr ein Tropfen Milch. Ein alter Mann aber, dem mein Vater den Vorfall mittheilte, sagte, das wäre die Hausschlange gewesen, von denen jedes Haus eine hätte. Andere alte Leute des Ortes wußten noch Folgendes. Wenn eine Hausschlange sich zehn Jahre bei einer Familie aufhalten kann, ohne beleidigt oder erschlagen zu werden, so wächst ihr auf dem Kopfe eine goldene Krone, die aus den Blumen entsteht, welche die Schlange in dieser Zeit gefressen hat. Dieselben verwandeln sich im Leibe des Thieres zu Gold, und daraus macht sich dieses die Krone selbst. Jeden Morgen vor Sonnenaufgang kommt es aus seinem Loche hervor und wartet, bis die Sonne einen kleinen Fleck bescheint. Auf diesen legt die Schlange die angefangne Krone und arbeitet so lange daran, bis die Sonne ganz aufgegangen ist. Dann kriecht sie mit der Krone in die Erde zurück, weil sie den Tag nicht vertragen kann. Hat nun eine Schlange ihr zehntes Jahr erreicht, so ist auch ihre Krone fertig, und nun fliegt sie !Uit derselben er die Hölle. Wer sie ihr aber an diesem Tage vor ihrer Munde abnehmen kann, der hat sein ganzes Leben hindurch Glück. Eine Schweizersage bringt die gekrönte Schlange mit der wilden Jagd Verbindung. Wenn diese im Seethal von Hation erscheint, um mit ihren gespenstischen Menschen und Hunden die Wälder und Felder zu durchbrausen Und zuletzt sich in den Bachtobel des Häfniloches zu stürzen und zu verschwinden, wissen es die dort an der Bergstraße wohnenden Leute immer voraus; denn es hat steh dann am Tage zuvor unten am Seeufer eine große Schlange mit einem Gold- ^suchen auf dem Kopfe sehen lassen. Man sagt auch, daß hier ein Schloß von Erde verschlungen worden sei, und daß sich an der tiefen Grube, in die es ^rsunken. bisweilen ein Schatz „sonne", der von einem schwarzen Manne ge¬ hütet werde und von einem Frohnfastenktnde gehoben werden könne. Eine andere Schweizersage, wie jene von Rochholz mitgetheilt, läßt eine Schlange Gewitter voraussagen. An sehr heißen Sommertagen -zeigt sich am Wiß- tNaidli-Brunnen bet Obersachs im Aargauischen eine Schlange, die Augen wie Baumnüsse und einen zundelrothen Kamm hat; bemerkt man sie, so giebt es bald Blitz und Donner. Wer sie sieht, bekommt böse Augen, sie ist ein ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/295>, abgerufen am 27.09.2024.