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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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ein rothes Krönlein. Das weiße sollte er, sagten sie, seiner Frau bringen,
dann würde sein Wunsch erfüllt werden. Der Mann that, wie ihm geheißen,
und nun bekamen die beiden Leute mit der Zeit mehrere Kinder und waren
glücklich ihr Leben lang.

Auch in der folgenden Sage ist bei der geschenkten Krone vielleicht an
Kindersegen zu denken. Vor alten Zeiten lebte zu Bützberg im Kanton
Bern ein Bauer, der seine Magd alle Tage nach einer Matte schickte, um die
Kühe zu melken, und da kam immer eine große Schlange zu ihr und wollte
von der Milch trinken. Die Magd erlaubte ihr das. Sie wurde dafür be¬
lohnt; denn als sie sich verheirathete, kam, während sie beim Hochzeitsmahle
saß, die Schlange langsam zur Thür herein und legte ihr eine prächtige
goldene Krone vor die Füße.

Ganz dieselbe Auffassung wie die, nach welcher man die Hausschlangen
in Rom in Stube und Kammer gewähren ließ, liegt der folgenden kleinen
Geschichte zu Grunde, welche unsere Großmutter (sie stammte aus einem Dorfe
bei Delitsch zwei Meilen nördlich von Leipzig) zu erzählen pflegte, und die nach
Meier in Schwaben an mehreren Orten (Nagold, Rotenburg a. N. und Thie-
ringen) localisirt ist. Eine Mutter gab ihrem kleinen Kinde Semmelmilch
zu essen und ließ es dann mit seiner Schüssel in der Stube allein, um in
der Küche etwas zu besorgen. Nach einer Weile wollte das Kind mehr haben,
und als die Mutter hineinsah, fand sie, daß die Milch aus der Schüssel ver¬
schwunden war, während von der eingebrockter Semmel noch verschiedene
Stücke übrig waren. Als sie darüber schalt, sagte das Kind, ein Vögelchen habe
ihm essen geholfen. Die Frau gab ihm nun andere Milch und ging wieder
in die Küche. Bald nachher hörte sie das Kind in der Stube reden, und als
sie durch die Thürspalte lauschte, sah sie eine Schlange aus der Milchschüssel
trinken. Das Kind aber schlug das Thier mit seinem Löffel auf den Kopf
und sagte: "Du mußt nicht immer Lappei essen, du mußt auch Brocket
essen." Die Schlange aber that dem Kinde nichts zu Leide, und so ließ si^
auch die Mutter zufrieden.

Eine Verschmelzung dieser Geschichte mit Zügen aus der von der Schlangen'
kröne ist die Stuttgarter Sage, wo nicht die Mutter, sondern der Vater dem
Kinde und der Schlange vor der Milchschüssel zusieht. Die Schlange trägt
hier eine goldne Krone, und der Mann erbeutet dieselbe, indem er sich ^
einem Beile herzuschleicht und das Thier todtschlägt.

Auch die Czechen haben Hausschlangen, die bisweilen Kronen tragen,
und denen man von Rechtswegen nichts zu Leide thun darf. Eine Frau a"
Scheibradaun bei Neuhaus erzählte Vernaleken: AIs ich noch ein Kind war,
mußte ich jedesmal nach dem Melken die Milch in den Keller tragen, aber wenn
ich sie dann wieder heraufholen wollte, war immer die Hälfte von der M


ein rothes Krönlein. Das weiße sollte er, sagten sie, seiner Frau bringen,
dann würde sein Wunsch erfüllt werden. Der Mann that, wie ihm geheißen,
und nun bekamen die beiden Leute mit der Zeit mehrere Kinder und waren
glücklich ihr Leben lang.

Auch in der folgenden Sage ist bei der geschenkten Krone vielleicht an
Kindersegen zu denken. Vor alten Zeiten lebte zu Bützberg im Kanton
Bern ein Bauer, der seine Magd alle Tage nach einer Matte schickte, um die
Kühe zu melken, und da kam immer eine große Schlange zu ihr und wollte
von der Milch trinken. Die Magd erlaubte ihr das. Sie wurde dafür be¬
lohnt; denn als sie sich verheirathete, kam, während sie beim Hochzeitsmahle
saß, die Schlange langsam zur Thür herein und legte ihr eine prächtige
goldene Krone vor die Füße.

Ganz dieselbe Auffassung wie die, nach welcher man die Hausschlangen
in Rom in Stube und Kammer gewähren ließ, liegt der folgenden kleinen
Geschichte zu Grunde, welche unsere Großmutter (sie stammte aus einem Dorfe
bei Delitsch zwei Meilen nördlich von Leipzig) zu erzählen pflegte, und die nach
Meier in Schwaben an mehreren Orten (Nagold, Rotenburg a. N. und Thie-
ringen) localisirt ist. Eine Mutter gab ihrem kleinen Kinde Semmelmilch
zu essen und ließ es dann mit seiner Schüssel in der Stube allein, um in
der Küche etwas zu besorgen. Nach einer Weile wollte das Kind mehr haben,
und als die Mutter hineinsah, fand sie, daß die Milch aus der Schüssel ver¬
schwunden war, während von der eingebrockter Semmel noch verschiedene
Stücke übrig waren. Als sie darüber schalt, sagte das Kind, ein Vögelchen habe
ihm essen geholfen. Die Frau gab ihm nun andere Milch und ging wieder
in die Küche. Bald nachher hörte sie das Kind in der Stube reden, und als
sie durch die Thürspalte lauschte, sah sie eine Schlange aus der Milchschüssel
trinken. Das Kind aber schlug das Thier mit seinem Löffel auf den Kopf
und sagte: „Du mußt nicht immer Lappei essen, du mußt auch Brocket
essen." Die Schlange aber that dem Kinde nichts zu Leide, und so ließ si^
auch die Mutter zufrieden.

Eine Verschmelzung dieser Geschichte mit Zügen aus der von der Schlangen'
kröne ist die Stuttgarter Sage, wo nicht die Mutter, sondern der Vater dem
Kinde und der Schlange vor der Milchschüssel zusieht. Die Schlange trägt
hier eine goldne Krone, und der Mann erbeutet dieselbe, indem er sich ^
einem Beile herzuschleicht und das Thier todtschlägt.

Auch die Czechen haben Hausschlangen, die bisweilen Kronen tragen,
und denen man von Rechtswegen nichts zu Leide thun darf. Eine Frau a»
Scheibradaun bei Neuhaus erzählte Vernaleken: AIs ich noch ein Kind war,
mußte ich jedesmal nach dem Melken die Milch in den Keller tragen, aber wenn
ich sie dann wieder heraufholen wollte, war immer die Hälfte von der M


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/294>, abgerufen am 27.09.2024.