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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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dieses hinter sich, so daß die Schlangen noch einmal Halt machten, da sie
dachten, jetzt wäre die Krone gewiß darin. So entkam er mit dieser und
wurde dadurch ein reicher Mann. Sein Gold ist ihm aber nicht gediehen.

In einer kürzeren Sage aus Wildbach an der Nagold (bei Meier) stirbt der
Schlangenkönig aus Gram über seinen Verlust. In mehreren süddeutschen
Erzählungen wird er von seinem Volke todtgebissen. Zu Schnifis in Vor¬
arlberg mißlang der Diebstahl, indem der Verfolgte die Krone selbst, um
sich zu retten, wegwerfen mußte. Aehnlich erging es einem solchen Kronen¬
räuber aus Se. Georgen in Oberösterreich, der von den Schlangen auf seiner
Flucht eingeholt wurde und das ihn umringelnde Ungeziefer nur dadurch
wieder los werden konnte, daß er seinen Raub herausgab. Ganz unglücklich
lief der Versuch, sich der Krone zu bemächtigen, für den Räuber in einer
Geschichte ab, die ich wieder als charakteristisch und mehrfach an die Ursage er¬
innernd mittheilen will.

Bei einem Dorfe an der ungarisch-steierischen Grenze ist (nach Vernale-
ken) ein großer Sumpf, in welchem sich früher viele Schlangen aufhielten,
die unter der Herrschaft einer Königsschlange standen. Diese war ein großes
schön geflecktes Thier, welche auf dem Kopfe eine Krone von Gold hatte, die
sie ablegen und wieder aufsetzen konnte, und welche die Eigenschaft besaß,
daß der Gegenstand, zu dem man sie legte, nie weniger wurde, wenn man
auch noch so viel davon wegnahm. (Gleich dem silbernen Natternkränzchen
in Stockerau und gleich Andwaris Ring.) Dieß war im Dorfe bekannt, und
so gedachte sich ein dortiger habsüchtiger Bauernjunge, koste es, was es wolle,
in den Besitz der Krone zu setzen. Zu diesem Zwecke stellte er in der Nähe
des Sumpfes einen Tisch auf, breitete ein weißes Tuch darüber und setzte
einen Topf mit Milch darauf. Dann versteckte er sich hinter einem Busch
in der Nähe, wo er ein schnelles Pferd bereit hatte. Nach einer Weile kam
die Königsschlange, kroch auf den Tisch zu, legte ihre Krone auf das Tuch
ab und begann die Milch zu verzehren. Als der Bauernjunge dieß sah, schlug
er das Tuch zusammen und lief mit diesem und der Krone nach seinem Pferde,
mit dem er aus sein Haus zujagte. Die Schlange rief durch ein lautes
Pfeifen Hunderte von Ihresgleichen aus dem Sumpfe, mit denen sie dem
Reiter mit fürchterlichem Zischen nachsetzte. Als der Junge vor seinen Hof
kam, schrie er laut, worauf ihm der Knecht das Thor öffnete und es dann
gleich wieder verschloß. Der Reiter stieg ab und dachte, er wäre jetzt in
Sicherheit, als er aber seinem schweißtriefenden Pferde mit der Hand über
den Rücken strich, sprang eine von den Schlangen, die sich im Schwänze des
Pferdes verborgen hatte, auf ihn zu und biß ihn in die Brust. Auf sein
Geschrei eilte der Knecht herzu und tödtete die Schlange mit einem Messer.
Dem jungen Bauer aber half das nichts, er starb bald nachher unter großen


dieses hinter sich, so daß die Schlangen noch einmal Halt machten, da sie
dachten, jetzt wäre die Krone gewiß darin. So entkam er mit dieser und
wurde dadurch ein reicher Mann. Sein Gold ist ihm aber nicht gediehen.

In einer kürzeren Sage aus Wildbach an der Nagold (bei Meier) stirbt der
Schlangenkönig aus Gram über seinen Verlust. In mehreren süddeutschen
Erzählungen wird er von seinem Volke todtgebissen. Zu Schnifis in Vor¬
arlberg mißlang der Diebstahl, indem der Verfolgte die Krone selbst, um
sich zu retten, wegwerfen mußte. Aehnlich erging es einem solchen Kronen¬
räuber aus Se. Georgen in Oberösterreich, der von den Schlangen auf seiner
Flucht eingeholt wurde und das ihn umringelnde Ungeziefer nur dadurch
wieder los werden konnte, daß er seinen Raub herausgab. Ganz unglücklich
lief der Versuch, sich der Krone zu bemächtigen, für den Räuber in einer
Geschichte ab, die ich wieder als charakteristisch und mehrfach an die Ursage er¬
innernd mittheilen will.

Bei einem Dorfe an der ungarisch-steierischen Grenze ist (nach Vernale-
ken) ein großer Sumpf, in welchem sich früher viele Schlangen aufhielten,
die unter der Herrschaft einer Königsschlange standen. Diese war ein großes
schön geflecktes Thier, welche auf dem Kopfe eine Krone von Gold hatte, die
sie ablegen und wieder aufsetzen konnte, und welche die Eigenschaft besaß,
daß der Gegenstand, zu dem man sie legte, nie weniger wurde, wenn man
auch noch so viel davon wegnahm. (Gleich dem silbernen Natternkränzchen
in Stockerau und gleich Andwaris Ring.) Dieß war im Dorfe bekannt, und
so gedachte sich ein dortiger habsüchtiger Bauernjunge, koste es, was es wolle,
in den Besitz der Krone zu setzen. Zu diesem Zwecke stellte er in der Nähe
des Sumpfes einen Tisch auf, breitete ein weißes Tuch darüber und setzte
einen Topf mit Milch darauf. Dann versteckte er sich hinter einem Busch
in der Nähe, wo er ein schnelles Pferd bereit hatte. Nach einer Weile kam
die Königsschlange, kroch auf den Tisch zu, legte ihre Krone auf das Tuch
ab und begann die Milch zu verzehren. Als der Bauernjunge dieß sah, schlug
er das Tuch zusammen und lief mit diesem und der Krone nach seinem Pferde,
mit dem er aus sein Haus zujagte. Die Schlange rief durch ein lautes
Pfeifen Hunderte von Ihresgleichen aus dem Sumpfe, mit denen sie dem
Reiter mit fürchterlichem Zischen nachsetzte. Als der Junge vor seinen Hof
kam, schrie er laut, worauf ihm der Knecht das Thor öffnete und es dann
gleich wieder verschloß. Der Reiter stieg ab und dachte, er wäre jetzt in
Sicherheit, als er aber seinem schweißtriefenden Pferde mit der Hand über
den Rücken strich, sprang eine von den Schlangen, die sich im Schwänze des
Pferdes verborgen hatte, auf ihn zu und biß ihn in die Brust. Auf sein
Geschrei eilte der Knecht herzu und tödtete die Schlange mit einem Messer.
Dem jungen Bauer aber half das nichts, er starb bald nachher unter großen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/292>, abgerufen am 27.09.2024.