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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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zu können, während sie noch im Bade sind, so kann er damit nicht nur sein
Hab und Gut erhalten, sondern es auch vermehren; denn wenn er diesen
Schatz zu seinem Gelde thut, so kann er davon so viel ausgeben, als er will,
ohne daß es abnimmt, und wenn er das Natternkränzchen auf sein Getreide
wirft, so kann er davon so viel verkaufen, als er wegzufahren im Stande
ist, ohne daß er irgendwelchen Abgang bemerkt. Die Wirksamkeit des Kränz¬
chens hört mit dem Tode seines Besitzers nicht auf, es kann daher mit seinem
Segen auf einen Andern übergehen, der letzte Inhaber desselben aber wird
vom Teufel geholt.

Derselbe oder doch ein ähnlicher Glaube herrscht nicht blos in Oester¬
reich, sondern auch in den bayerischen und schweizerischen Alpen, in Schwaben
und Sachsen und in ganz Norddeutschland und ist Veranlassung zu einer
großen Anzahl von Sagen geworden, die sich mehr oder minder gleichen, und aus
denen ich im Folgenden einige auswähle. Der Kern derselben ist, wie man
leicht herausfindet, der Gedanke, daß einer Schlange eine Krone, ein Kränz¬
chen, oder überhaupt ein Schatz geraubt wird, gewöhnlich während sie zu
Wasser geht, bisweilen auch geschieht es zum Verderben des Räubers oder
wenigstens des Letzten, der den geraubten Schatz besitzt. Damit aber er¬
scheinen alle diese Schlangensagen als Nachklänge derjenigen, die uns erzählt,
wie Sigurd oder Siegfried auf der Gnitahaide die den Hort behütende Schlange
erschlägt, während sie vom Wasser kommt, und wie er dadurch den Schatz
gewinnt, der ihm und jedem folgenden Inhaber bis zum letzten nach einiger
Zeit den Tod bringt. Die Krone oder das Kränzchen der heutigen Sagen ist
nichts Anderes als der Ring des Zwergs Andwari. der diesem sein Gold vermehrt
hat, und an den Andwari den Fluch geknüpft hat, seinem Besitzer das Leben
zu kosten. Wenn hier und da das eine Glied fehlt oder die dichtende
Phantasie des Volkes Dieß oder Jenes umgebildet oder den und jenen Zug
hinzugeschaffen hat, so darf uns dieß nicht irre machen, da sich derselbe
Proceß bei allen Mythen beobachten läßt.

Die einfachsten Formen der Sage vom Raube der Schlangenkrone sind
folgende: In den Ruinen der Duborg bei Flensburg lebt eine Schlange von
blauer Farbe, die trägt eine Krone vom feinsten Golde. Sie läßt sich jeden
Tag nur einmal und zwar Punkt zwölf Uhr Mittags, sehen, und wer ihr
da die Krone rauben kann, der ist glücklich: der König bezahlt ihm sogleich
zwanzig tausend Thaler Courant dafür; denn wer sie besitzt, der ist unsterblich.
(Erinnerung an die Unverwundbarkeit Siegfrieds nach seinem Bad im
Schlangenblute.) -- Einst fanden Dorfmädchen bei Niederselk im schleswig-
schen auf dem Felde einen Knäuel Schlangen, unter denen die größte, ihre
Königin, eine goldene Krone trug. Da band eine von den Mädchen ihre
Schürze ab und breitete sie auf den Boden. Alsbald kam die Schlange mit


zu können, während sie noch im Bade sind, so kann er damit nicht nur sein
Hab und Gut erhalten, sondern es auch vermehren; denn wenn er diesen
Schatz zu seinem Gelde thut, so kann er davon so viel ausgeben, als er will,
ohne daß es abnimmt, und wenn er das Natternkränzchen auf sein Getreide
wirft, so kann er davon so viel verkaufen, als er wegzufahren im Stande
ist, ohne daß er irgendwelchen Abgang bemerkt. Die Wirksamkeit des Kränz¬
chens hört mit dem Tode seines Besitzers nicht auf, es kann daher mit seinem
Segen auf einen Andern übergehen, der letzte Inhaber desselben aber wird
vom Teufel geholt.

Derselbe oder doch ein ähnlicher Glaube herrscht nicht blos in Oester¬
reich, sondern auch in den bayerischen und schweizerischen Alpen, in Schwaben
und Sachsen und in ganz Norddeutschland und ist Veranlassung zu einer
großen Anzahl von Sagen geworden, die sich mehr oder minder gleichen, und aus
denen ich im Folgenden einige auswähle. Der Kern derselben ist, wie man
leicht herausfindet, der Gedanke, daß einer Schlange eine Krone, ein Kränz¬
chen, oder überhaupt ein Schatz geraubt wird, gewöhnlich während sie zu
Wasser geht, bisweilen auch geschieht es zum Verderben des Räubers oder
wenigstens des Letzten, der den geraubten Schatz besitzt. Damit aber er¬
scheinen alle diese Schlangensagen als Nachklänge derjenigen, die uns erzählt,
wie Sigurd oder Siegfried auf der Gnitahaide die den Hort behütende Schlange
erschlägt, während sie vom Wasser kommt, und wie er dadurch den Schatz
gewinnt, der ihm und jedem folgenden Inhaber bis zum letzten nach einiger
Zeit den Tod bringt. Die Krone oder das Kränzchen der heutigen Sagen ist
nichts Anderes als der Ring des Zwergs Andwari. der diesem sein Gold vermehrt
hat, und an den Andwari den Fluch geknüpft hat, seinem Besitzer das Leben
zu kosten. Wenn hier und da das eine Glied fehlt oder die dichtende
Phantasie des Volkes Dieß oder Jenes umgebildet oder den und jenen Zug
hinzugeschaffen hat, so darf uns dieß nicht irre machen, da sich derselbe
Proceß bei allen Mythen beobachten läßt.

Die einfachsten Formen der Sage vom Raube der Schlangenkrone sind
folgende: In den Ruinen der Duborg bei Flensburg lebt eine Schlange von
blauer Farbe, die trägt eine Krone vom feinsten Golde. Sie läßt sich jeden
Tag nur einmal und zwar Punkt zwölf Uhr Mittags, sehen, und wer ihr
da die Krone rauben kann, der ist glücklich: der König bezahlt ihm sogleich
zwanzig tausend Thaler Courant dafür; denn wer sie besitzt, der ist unsterblich.
(Erinnerung an die Unverwundbarkeit Siegfrieds nach seinem Bad im
Schlangenblute.) — Einst fanden Dorfmädchen bei Niederselk im schleswig-
schen auf dem Felde einen Knäuel Schlangen, unter denen die größte, ihre
Königin, eine goldene Krone trug. Da band eine von den Mädchen ihre
Schürze ab und breitete sie auf den Boden. Alsbald kam die Schlange mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/290>, abgerufen am 27.09.2024.