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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Von der richtigen Boraussetzung ausgehend, daß es die erste Aufgabe
einer erheiternden Geselligkeit sei, daß die wichtigeren Interessen des Lebens
in ihr sich im Spiegel des Scherzes und der Laune wiederholen, verstand
Buttmanns verständnißinnige Ironie alle einer scherzhaften Behandlung
nicht geradezu widerstrebenden Ereignisse mit parodistischer Laune in der "Ge¬
setzlosen" zu behandeln, welcher er, ihrem Namen entgegen, bürgerliche und
gesetzliche Formen zu geben bemüht war, wie wir dies beispielsweise schon in
den oben erwähnten "pragmatischen Statuten" gesehen haben. Er selbst
nannte sich stets nur den Tyrannen der Gesellschaft, deren Beschlüsse immer
mehr auf die "stille Majorität" als auf die "laute Minorität" zurückgeführt
wurden. Zwölf Wahlherren ernannte er aus der Gesellschaft als "Chur¬
fürsten". Ihre Gesammtheit bildete "den Wohlfahrtsausschuß." Sie voll¬
zogen die Wahl der neu aufzunehmenden Mitglieder, wozu Sttmmeneinheit
nothwendig war.

Am 29. März 1817 affiliirte der Tyrann Buttmann der gesetzlosen Ge¬
sellschaft eine Vereinigung höherer Militärs, welche bis dahin unter der Lei¬
tung des Majors von Eichler gestanden hatte, nachdem deren einzelne Mit¬
glieder "sich durch eine Reihe von Probemahlzeiten zur Gesetzlosigkeit heran¬
gebildet hatten." Unter dem Sitzungsprotokolle des gedachten Tages findet
sich von Buttmanns Hand der Vermerk: "?ar un mouvement sxontimv
wurden die Mitglieder der Eichlerschen Gesellschaft sämmtlich der gesetzlosen
einverleibt; sie wuschen vor aller Augen allen ihnen noch anklebenden Wust
von Gesetzlichkeit durch vielen Wein ab und beide Gesellschaften bilden nun-
mehro die Gesellschaft Leith ^Iliauee". Niemand widersprach, die Gesell¬
schaft nahm sich jedoch die gesetzlose Freiheit, sich nach wie vor die gesetzlose
zu nennen. Durch diesen Adoptionsakt wurden unter Andern die General¬
lieutenants von Schöler, von Lützow, von Hedemann, von Gerlach, von
Bardeleben, der Kriegsminister von Witzleben und der Generalstabsarzt von
Wiebel (Leibarzt Friedrich Wilhelm III.) Mitglieder der Gesellschaft der Ge¬
setzlosen, ebenso der Graf von Gneisenau und der Adjutant Blüchers, der
Graf von Nostitz.

Eine am 18. Juni desselben Jahres zur Feier der Schlacht von Belle-
Alliance im "Kemperhof" veranstaltete Feier, bet welcher im Freien gegessen und
Abends um ein Feuer Kaffee getrunken wurde. wiederholt sich in den folgenden
Jahren unter zahlreicher Betheiligung der immer mehr zunehmenden militärischen
Mitglieder. Auch diese anerkannten freudig Buttmann als unbeschränkten
Selbstherrscher und Zwingherrn und als das lebendige Gesetz der Gesetzlosen.
Es war aber nicht eine gefällige Gesellschaftsroutine, noch ein conventio-
neller Formenschliff, die dem Zwingherrn zu dieser siegreichen Gewalt ver-
halfen, auch nicht das Schonen der Schwächen seiner Freunde verschaffte ihm


Von der richtigen Boraussetzung ausgehend, daß es die erste Aufgabe
einer erheiternden Geselligkeit sei, daß die wichtigeren Interessen des Lebens
in ihr sich im Spiegel des Scherzes und der Laune wiederholen, verstand
Buttmanns verständnißinnige Ironie alle einer scherzhaften Behandlung
nicht geradezu widerstrebenden Ereignisse mit parodistischer Laune in der „Ge¬
setzlosen" zu behandeln, welcher er, ihrem Namen entgegen, bürgerliche und
gesetzliche Formen zu geben bemüht war, wie wir dies beispielsweise schon in
den oben erwähnten „pragmatischen Statuten" gesehen haben. Er selbst
nannte sich stets nur den Tyrannen der Gesellschaft, deren Beschlüsse immer
mehr auf die „stille Majorität" als auf die „laute Minorität" zurückgeführt
wurden. Zwölf Wahlherren ernannte er aus der Gesellschaft als „Chur¬
fürsten". Ihre Gesammtheit bildete „den Wohlfahrtsausschuß." Sie voll¬
zogen die Wahl der neu aufzunehmenden Mitglieder, wozu Sttmmeneinheit
nothwendig war.

Am 29. März 1817 affiliirte der Tyrann Buttmann der gesetzlosen Ge¬
sellschaft eine Vereinigung höherer Militärs, welche bis dahin unter der Lei¬
tung des Majors von Eichler gestanden hatte, nachdem deren einzelne Mit¬
glieder „sich durch eine Reihe von Probemahlzeiten zur Gesetzlosigkeit heran¬
gebildet hatten." Unter dem Sitzungsprotokolle des gedachten Tages findet
sich von Buttmanns Hand der Vermerk: „?ar un mouvement sxontimv
wurden die Mitglieder der Eichlerschen Gesellschaft sämmtlich der gesetzlosen
einverleibt; sie wuschen vor aller Augen allen ihnen noch anklebenden Wust
von Gesetzlichkeit durch vielen Wein ab und beide Gesellschaften bilden nun-
mehro die Gesellschaft Leith ^Iliauee". Niemand widersprach, die Gesell¬
schaft nahm sich jedoch die gesetzlose Freiheit, sich nach wie vor die gesetzlose
zu nennen. Durch diesen Adoptionsakt wurden unter Andern die General¬
lieutenants von Schöler, von Lützow, von Hedemann, von Gerlach, von
Bardeleben, der Kriegsminister von Witzleben und der Generalstabsarzt von
Wiebel (Leibarzt Friedrich Wilhelm III.) Mitglieder der Gesellschaft der Ge¬
setzlosen, ebenso der Graf von Gneisenau und der Adjutant Blüchers, der
Graf von Nostitz.

Eine am 18. Juni desselben Jahres zur Feier der Schlacht von Belle-
Alliance im „Kemperhof" veranstaltete Feier, bet welcher im Freien gegessen und
Abends um ein Feuer Kaffee getrunken wurde. wiederholt sich in den folgenden
Jahren unter zahlreicher Betheiligung der immer mehr zunehmenden militärischen
Mitglieder. Auch diese anerkannten freudig Buttmann als unbeschränkten
Selbstherrscher und Zwingherrn und als das lebendige Gesetz der Gesetzlosen.
Es war aber nicht eine gefällige Gesellschaftsroutine, noch ein conventio-
neller Formenschliff, die dem Zwingherrn zu dieser siegreichen Gewalt ver-
halfen, auch nicht das Schonen der Schwächen seiner Freunde verschaffte ihm


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[0273] Von der richtigen Boraussetzung ausgehend, daß es die erste Aufgabe einer erheiternden Geselligkeit sei, daß die wichtigeren Interessen des Lebens in ihr sich im Spiegel des Scherzes und der Laune wiederholen, verstand Buttmanns verständnißinnige Ironie alle einer scherzhaften Behandlung nicht geradezu widerstrebenden Ereignisse mit parodistischer Laune in der „Ge¬ setzlosen" zu behandeln, welcher er, ihrem Namen entgegen, bürgerliche und gesetzliche Formen zu geben bemüht war, wie wir dies beispielsweise schon in den oben erwähnten „pragmatischen Statuten" gesehen haben. Er selbst nannte sich stets nur den Tyrannen der Gesellschaft, deren Beschlüsse immer mehr auf die „stille Majorität" als auf die „laute Minorität" zurückgeführt wurden. Zwölf Wahlherren ernannte er aus der Gesellschaft als „Chur¬ fürsten". Ihre Gesammtheit bildete „den Wohlfahrtsausschuß." Sie voll¬ zogen die Wahl der neu aufzunehmenden Mitglieder, wozu Sttmmeneinheit nothwendig war. Am 29. März 1817 affiliirte der Tyrann Buttmann der gesetzlosen Ge¬ sellschaft eine Vereinigung höherer Militärs, welche bis dahin unter der Lei¬ tung des Majors von Eichler gestanden hatte, nachdem deren einzelne Mit¬ glieder „sich durch eine Reihe von Probemahlzeiten zur Gesetzlosigkeit heran¬ gebildet hatten." Unter dem Sitzungsprotokolle des gedachten Tages findet sich von Buttmanns Hand der Vermerk: „?ar un mouvement sxontimv wurden die Mitglieder der Eichlerschen Gesellschaft sämmtlich der gesetzlosen einverleibt; sie wuschen vor aller Augen allen ihnen noch anklebenden Wust von Gesetzlichkeit durch vielen Wein ab und beide Gesellschaften bilden nun- mehro die Gesellschaft Leith ^Iliauee". Niemand widersprach, die Gesell¬ schaft nahm sich jedoch die gesetzlose Freiheit, sich nach wie vor die gesetzlose zu nennen. Durch diesen Adoptionsakt wurden unter Andern die General¬ lieutenants von Schöler, von Lützow, von Hedemann, von Gerlach, von Bardeleben, der Kriegsminister von Witzleben und der Generalstabsarzt von Wiebel (Leibarzt Friedrich Wilhelm III.) Mitglieder der Gesellschaft der Ge¬ setzlosen, ebenso der Graf von Gneisenau und der Adjutant Blüchers, der Graf von Nostitz. Eine am 18. Juni desselben Jahres zur Feier der Schlacht von Belle- Alliance im „Kemperhof" veranstaltete Feier, bet welcher im Freien gegessen und Abends um ein Feuer Kaffee getrunken wurde. wiederholt sich in den folgenden Jahren unter zahlreicher Betheiligung der immer mehr zunehmenden militärischen Mitglieder. Auch diese anerkannten freudig Buttmann als unbeschränkten Selbstherrscher und Zwingherrn und als das lebendige Gesetz der Gesetzlosen. Es war aber nicht eine gefällige Gesellschaftsroutine, noch ein conventio- neller Formenschliff, die dem Zwingherrn zu dieser siegreichen Gewalt ver- halfen, auch nicht das Schonen der Schwächen seiner Freunde verschaffte ihm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/273>, abgerufen am 27.09.2024.