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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Brunnenrande floß das überflüssige Wasser in den Kanal unter dem Straßen-
Pflaster ab.

Sklaven und Sklavinnen standen mit bauchigen Thongefäßen an dem
Brunnen oder saßen wartend auf dem Trottoirrande, munter mit einander
scherzend.

"Nun Statia", sagte ein fast kahlköpfiger Alter von sehniger Gestalt,
dessen Stirn mehrere Narben trug, zu einer vollbusigen schwarzäugigen Dirne,
"wie gefällt dir eigentlich dein neuer Mitsklave, das feine griechische Bürschchen,
das immer mit einem Turban einherstolzirt wie der Partherkönig? -- Hat
er Gnade gefunden vor deinen wählerischen Augen?"

Forschend richtete das Mädchen, mit dem doppelhenkligen Kruge zum
Brunnen schreitend, die Augen auf den Frager und erwiederte kurz:

"Philemon braucht meine Gnade so wenig wie der Partherkönig."

"Aber vielleicht braucht er", versetzte der Alte mit Lachen, "eine geduldige
Lehrerin, die ihn in der römischen Sprache unterrichtet und die er dafür
lesen lehrt."

Das Mädchen sah schnell auf, während ein tiefes Roth über ihr Gesicht
flog und fragte verwirrt:

"Was meinst Du? Hat Philemon Dinge solcher Art gesagt?"

"Nein, beim Harpokrates, er wird sich hüten davon zu plaudern!" rief
jener, indem er sich triumphirend im Kreise umschaute. "Vielleicht hat er
auch nur eine Probe von der Schreibkunst geben wollen, mit der er seinem
gelehrten Herrn dient, als er die zärtlichen Worte an seine "Stesima" -- er
liebt nämlich sich griechisch auszudrücken -- auf die letzte Säule des Peristyls
kritzelte."

Lachend schauten die Andern auf das Mädchen, das jetzt in lieblicher
Verlegenheit den gefüllten Krug, so daß ein Theil des Wassers über ihr Ge¬
wand floß, auf die Schultern hob und stumm sich entfernen wollte, als der
Spötter ihr in den Weg trat und mit ironischer Zutraulichkeit sagte:

"Verweile ein wenig, damit ich dir sage, was der schöne Philemon mit
eiligen Zügen eingekritzelt hat, falls du noch nicht so viel Griechisch verstehen
solltest. ,,"O, Venus"", hat er geschrieben, ""welches Leid bringt mir dein
muthwilliger Knabe! Seit ich mit dir gesprochen habe, o göttliche Stesima,
ist mir das Herz verwandelt und grimmiger Kummer verzehrt meine Gebeine,
wenn du nicht Mitleid hast."" -- Habe doch Mitleid und laß ihn nicht ver¬
gebens am Grabmal des Cerrinius warten!"

Die letzten Worte rief er unter dem Gelächter der Uebrigen dem Mädchen
nach, das sich verwirrt frei gemacht hatte und ohne ein Wort zu sprechen
sich eilig entfernte.


Brunnenrande floß das überflüssige Wasser in den Kanal unter dem Straßen-
Pflaster ab.

Sklaven und Sklavinnen standen mit bauchigen Thongefäßen an dem
Brunnen oder saßen wartend auf dem Trottoirrande, munter mit einander
scherzend.

„Nun Statia", sagte ein fast kahlköpfiger Alter von sehniger Gestalt,
dessen Stirn mehrere Narben trug, zu einer vollbusigen schwarzäugigen Dirne,
„wie gefällt dir eigentlich dein neuer Mitsklave, das feine griechische Bürschchen,
das immer mit einem Turban einherstolzirt wie der Partherkönig? — Hat
er Gnade gefunden vor deinen wählerischen Augen?"

Forschend richtete das Mädchen, mit dem doppelhenkligen Kruge zum
Brunnen schreitend, die Augen auf den Frager und erwiederte kurz:

„Philemon braucht meine Gnade so wenig wie der Partherkönig."

„Aber vielleicht braucht er", versetzte der Alte mit Lachen, „eine geduldige
Lehrerin, die ihn in der römischen Sprache unterrichtet und die er dafür
lesen lehrt."

Das Mädchen sah schnell auf, während ein tiefes Roth über ihr Gesicht
flog und fragte verwirrt:

„Was meinst Du? Hat Philemon Dinge solcher Art gesagt?"

„Nein, beim Harpokrates, er wird sich hüten davon zu plaudern!" rief
jener, indem er sich triumphirend im Kreise umschaute. „Vielleicht hat er
auch nur eine Probe von der Schreibkunst geben wollen, mit der er seinem
gelehrten Herrn dient, als er die zärtlichen Worte an seine „Stesima" — er
liebt nämlich sich griechisch auszudrücken — auf die letzte Säule des Peristyls
kritzelte."

Lachend schauten die Andern auf das Mädchen, das jetzt in lieblicher
Verlegenheit den gefüllten Krug, so daß ein Theil des Wassers über ihr Ge¬
wand floß, auf die Schultern hob und stumm sich entfernen wollte, als der
Spötter ihr in den Weg trat und mit ironischer Zutraulichkeit sagte:

„Verweile ein wenig, damit ich dir sage, was der schöne Philemon mit
eiligen Zügen eingekritzelt hat, falls du noch nicht so viel Griechisch verstehen
solltest. ,,„O, Venus"", hat er geschrieben, „„welches Leid bringt mir dein
muthwilliger Knabe! Seit ich mit dir gesprochen habe, o göttliche Stesima,
ist mir das Herz verwandelt und grimmiger Kummer verzehrt meine Gebeine,
wenn du nicht Mitleid hast."" — Habe doch Mitleid und laß ihn nicht ver¬
gebens am Grabmal des Cerrinius warten!"

Die letzten Worte rief er unter dem Gelächter der Uebrigen dem Mädchen
nach, das sich verwirrt frei gemacht hatte und ohne ein Wort zu sprechen
sich eilig entfernte.


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[0270] Brunnenrande floß das überflüssige Wasser in den Kanal unter dem Straßen- Pflaster ab. Sklaven und Sklavinnen standen mit bauchigen Thongefäßen an dem Brunnen oder saßen wartend auf dem Trottoirrande, munter mit einander scherzend. „Nun Statia", sagte ein fast kahlköpfiger Alter von sehniger Gestalt, dessen Stirn mehrere Narben trug, zu einer vollbusigen schwarzäugigen Dirne, „wie gefällt dir eigentlich dein neuer Mitsklave, das feine griechische Bürschchen, das immer mit einem Turban einherstolzirt wie der Partherkönig? — Hat er Gnade gefunden vor deinen wählerischen Augen?" Forschend richtete das Mädchen, mit dem doppelhenkligen Kruge zum Brunnen schreitend, die Augen auf den Frager und erwiederte kurz: „Philemon braucht meine Gnade so wenig wie der Partherkönig." „Aber vielleicht braucht er", versetzte der Alte mit Lachen, „eine geduldige Lehrerin, die ihn in der römischen Sprache unterrichtet und die er dafür lesen lehrt." Das Mädchen sah schnell auf, während ein tiefes Roth über ihr Gesicht flog und fragte verwirrt: „Was meinst Du? Hat Philemon Dinge solcher Art gesagt?" „Nein, beim Harpokrates, er wird sich hüten davon zu plaudern!" rief jener, indem er sich triumphirend im Kreise umschaute. „Vielleicht hat er auch nur eine Probe von der Schreibkunst geben wollen, mit der er seinem gelehrten Herrn dient, als er die zärtlichen Worte an seine „Stesima" — er liebt nämlich sich griechisch auszudrücken — auf die letzte Säule des Peristyls kritzelte." Lachend schauten die Andern auf das Mädchen, das jetzt in lieblicher Verlegenheit den gefüllten Krug, so daß ein Theil des Wassers über ihr Ge¬ wand floß, auf die Schultern hob und stumm sich entfernen wollte, als der Spötter ihr in den Weg trat und mit ironischer Zutraulichkeit sagte: „Verweile ein wenig, damit ich dir sage, was der schöne Philemon mit eiligen Zügen eingekritzelt hat, falls du noch nicht so viel Griechisch verstehen solltest. ,,„O, Venus"", hat er geschrieben, „„welches Leid bringt mir dein muthwilliger Knabe! Seit ich mit dir gesprochen habe, o göttliche Stesima, ist mir das Herz verwandelt und grimmiger Kummer verzehrt meine Gebeine, wenn du nicht Mitleid hast."" — Habe doch Mitleid und laß ihn nicht ver¬ gebens am Grabmal des Cerrinius warten!" Die letzten Worte rief er unter dem Gelächter der Uebrigen dem Mädchen nach, das sich verwirrt frei gemacht hatte und ohne ein Wort zu sprechen sich eilig entfernte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/270>, abgerufen am 27.09.2024.