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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Alte, noch einen Becher Falerner, aber echten! Beim Bacchus! Du ver¬
trockneter Knoblauchstengel, vor deiner Thür kann man vor Durst um¬
kommen !"

Auf diesen Ruf erschien hinter dem steinernen mit bunten Marmor¬
platten bekleideten Schenktisch, der den vorderen Theil der Schenkstube ein¬
nahm, die Wirthin selbst, eine runzlige Alte mit beweglichen Augen und füllte,
durchaus nicht beleidigt, unter einer Fluth von launigen Redensarten einen
großen Pokal von graugrünem Glas mit fast schwarzem Weine.

"Kostet vier Aß, sogleich zu zahlen", sagte sie, das Glas hinausreichend
und den großen Thonkrug in die runde Vertiefung des Schenktisches zurück¬
stellend, aas dem sie ihn genommen. Doch schien sie es mit der sofortigen
Bezahlung nicht ernst zu nehmen, denn sie war schon in der Thür der Hinter¬
stube, in der sich Lärm erhoben hatte, verschwunden, als der Trinker das Glas
vom Munde absetzte und es seinem Gefährten reichte, indem er kopfschüttelnd
hinzufügte:

"Beim Merkurius, die Alte hat den Verstand verloren. Hat sie jemals
gesehen, daß ich sogleich zahle? -- Und vier Aß für dieses Gemisch! Für
vier Aß trinkt man Chier und Lesbier; so hat mir Agatho erzählt, der gestern
mit des Felix Kornschiff von Byzanz gekommen ist. Vier Aß! Vier Aß!" --

Der robuste Landmann war in Gefahr, sich in wahre Entrüstung über
die Weintheuerung hineinzureden, als der Sklave ihm meldete, daß das Thier
beladen sei. Die beiden Männer erhoben sich, wechselten einige Abschieds¬
worte mit den in ähnlicher Weise Beschäftigten, lösten den Zaum des Maul-
thteres, der durch ein im steinernen Trottoirrande befindliches Loch gezogen
war und wandten sich dem Thore zu. --

Ich schritt weiter die Straße hinauf, welche von Wagen und Fußgängern
belebt war. Die Wagen, zwei- und vierrädrige, waren hoch mit Früchten:
Feigen, Nüssen, Mandeln, Kürbissen, Pinienzapfen u. s. w. oder mit riesigen
irdenen Wein- und Oelgefäßen beladen und mit Eseln und Pferden, auch
mit Ochsen bespannt, die die Lenker mit Geschrei antrieben. Die Straße ist
schmal, wie die meisten andern, so daß die Wagen sich nicht ausweichen
können, sondern der Fuhrmann, der in eine Seitenstraße einbiegt, einen lauten
Ruf erhebt, um die etwa Entgegenkommenden zu benachrichtigen. Wie viele
Wagen aber müssen schon über dieses aus großen Polygonen Lavablöcken zu¬
sammengesetzte Pflaster gefahren sein! Tiefe Gleise, stellenweise mehrere Zoll
tief, haben sich eingegraben. Dort an der Straßenecke sind Arbeiter, bis
zum Gürtel nackt, beschäftigt das Pflaster umzulegen, damit die allzusehr
aufgefahrenen Steine an andere Stellen versetzt werden. Hohe Trottoirs
fassen die Straße ein, mit festgestampfter Erde, Steinplatten oder Ziegelmosaik
belegt. Dort sitzen drei krausköpfige Knaben vor der Schwelle und spielen


Alte, noch einen Becher Falerner, aber echten! Beim Bacchus! Du ver¬
trockneter Knoblauchstengel, vor deiner Thür kann man vor Durst um¬
kommen !"

Auf diesen Ruf erschien hinter dem steinernen mit bunten Marmor¬
platten bekleideten Schenktisch, der den vorderen Theil der Schenkstube ein¬
nahm, die Wirthin selbst, eine runzlige Alte mit beweglichen Augen und füllte,
durchaus nicht beleidigt, unter einer Fluth von launigen Redensarten einen
großen Pokal von graugrünem Glas mit fast schwarzem Weine.

„Kostet vier Aß, sogleich zu zahlen", sagte sie, das Glas hinausreichend
und den großen Thonkrug in die runde Vertiefung des Schenktisches zurück¬
stellend, aas dem sie ihn genommen. Doch schien sie es mit der sofortigen
Bezahlung nicht ernst zu nehmen, denn sie war schon in der Thür der Hinter¬
stube, in der sich Lärm erhoben hatte, verschwunden, als der Trinker das Glas
vom Munde absetzte und es seinem Gefährten reichte, indem er kopfschüttelnd
hinzufügte:

„Beim Merkurius, die Alte hat den Verstand verloren. Hat sie jemals
gesehen, daß ich sogleich zahle? — Und vier Aß für dieses Gemisch! Für
vier Aß trinkt man Chier und Lesbier; so hat mir Agatho erzählt, der gestern
mit des Felix Kornschiff von Byzanz gekommen ist. Vier Aß! Vier Aß!" —

Der robuste Landmann war in Gefahr, sich in wahre Entrüstung über
die Weintheuerung hineinzureden, als der Sklave ihm meldete, daß das Thier
beladen sei. Die beiden Männer erhoben sich, wechselten einige Abschieds¬
worte mit den in ähnlicher Weise Beschäftigten, lösten den Zaum des Maul-
thteres, der durch ein im steinernen Trottoirrande befindliches Loch gezogen
war und wandten sich dem Thore zu. —

Ich schritt weiter die Straße hinauf, welche von Wagen und Fußgängern
belebt war. Die Wagen, zwei- und vierrädrige, waren hoch mit Früchten:
Feigen, Nüssen, Mandeln, Kürbissen, Pinienzapfen u. s. w. oder mit riesigen
irdenen Wein- und Oelgefäßen beladen und mit Eseln und Pferden, auch
mit Ochsen bespannt, die die Lenker mit Geschrei antrieben. Die Straße ist
schmal, wie die meisten andern, so daß die Wagen sich nicht ausweichen
können, sondern der Fuhrmann, der in eine Seitenstraße einbiegt, einen lauten
Ruf erhebt, um die etwa Entgegenkommenden zu benachrichtigen. Wie viele
Wagen aber müssen schon über dieses aus großen Polygonen Lavablöcken zu¬
sammengesetzte Pflaster gefahren sein! Tiefe Gleise, stellenweise mehrere Zoll
tief, haben sich eingegraben. Dort an der Straßenecke sind Arbeiter, bis
zum Gürtel nackt, beschäftigt das Pflaster umzulegen, damit die allzusehr
aufgefahrenen Steine an andere Stellen versetzt werden. Hohe Trottoirs
fassen die Straße ein, mit festgestampfter Erde, Steinplatten oder Ziegelmosaik
belegt. Dort sitzen drei krausköpfige Knaben vor der Schwelle und spielen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/260>, abgerufen am 27.09.2024.