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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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jetzt nach mir um und rief mir in der Sprache Roms die Worte zu: "Eile
dich, Fremdling, einzutreten, wenn du anders zur Nacht in der Stadt bleiben
willst; denn die Zeit des Thorschlusses ist nahe!" -- Ich zögerte nicht, der
Aufforderung Folge zu leisten, da die seltsamen Erscheinungen alle meine Ge-
danken in Anspruch nahmen, so daß ich weder daran dachte, wie ich zurück¬
kehren, noch wo ich die Nacht zubringen würde. Dabei fürchtete ich auch gar
nicht unter den Menschen, die ich in ungewöhnlicher Haltung, Beschäftigung
und Ausstattung die Straße beleben sah, Aufsehen zu erregen; es kam mir
vielmehr ganz natürlich vor, daß ich mich unter sie mischte und Alles be¬
obachtete.

Das Erste, was ich bemerkte, als ich den nach innen stark ansteigenden
Thorweg durchschritten hatte, waren mehrere gezäumte Maulthiere und Esel,
welche theils mit Körben und Krüger beladen, theils gesattelt wurden. Bei
ihnen standen vor den Thüren zweier langgestreckter Gebäude Gruppen von
Männern, die theils selbst Hand anlegten, theils sich mit lebhafter Stimme
unterhielten. Sie hatten das Aussehen von Landleuten und sprachen in einem
schwerverständlichen altlateinischen Dialekt.

"Mich soll es wundern, Fuscus", sagte ein untersetzter Mann, der mit
einem weißen wollenen Mantel, einem breitkrämpigen Hut und ledernen
stieselartigen Sandalen bekleidet war, "mich soll es wahrlich wundern, wenn
wir heute mit unserer Ladung glücklich nach Oplontiae kommen. Mir scheint,
der Maulesel ist so betrunken, wie ich. Sieh' nur, wie er mit dem Kopfe
schüttelt, wenn ihm Hortensius einen Sack nach dem Andern aufpackt. Wenn
wir den Weg verfehlen und in den Sarno fallen, so wird unser Mehl als
Mehlbrei nach Hause kommen. Ha, ha, das wäre lustig!"

"Lustig wäre es", erwiederte der Andere, der auf einer steinernen Bank
neben der Thür saß, aus welcher ein weißbestäubter Sklave die Säcke heraus¬
trug, um sie dem Maulthier auszuladen, "wenn ich deinen krebsrothen Kopf
in den Sarno tauchte, bis er wieder vernünftig geworden, du Weinschlauch!
^- Hast Du nicht sechs Becher von dem Vesuvwein in einer Stunde getrunken,
während ich mich mit den Knaben im Stalle und dem Spitzbuben von Müller
ärgern mußte?"

"Ruhig, ruhig, Brüderchen", sagte der Erste mit weinschwerer Zunge,
"ärgere dich jetzt nicht mehr. Was sagst du? Sechs Becher? -- Ja, aber
du weißt doch, daß drei davon aus der Cisterne stammen, wenn die alte
Petronia sie verabreicht. Also bleiben drei Becher! Streiten wir nicht da¬
rüber; trinken wir lieber noch einen auf unsere Freundschaft und eine glück¬
liche Heimkehr!"

"He, Petronia", rief er, sich zur Thür der Schenke umwendend, in die
Stube hinein, aus welcher Stimmengewirr und Gläserklingen tönte; "he,


jetzt nach mir um und rief mir in der Sprache Roms die Worte zu: „Eile
dich, Fremdling, einzutreten, wenn du anders zur Nacht in der Stadt bleiben
willst; denn die Zeit des Thorschlusses ist nahe!" — Ich zögerte nicht, der
Aufforderung Folge zu leisten, da die seltsamen Erscheinungen alle meine Ge-
danken in Anspruch nahmen, so daß ich weder daran dachte, wie ich zurück¬
kehren, noch wo ich die Nacht zubringen würde. Dabei fürchtete ich auch gar
nicht unter den Menschen, die ich in ungewöhnlicher Haltung, Beschäftigung
und Ausstattung die Straße beleben sah, Aufsehen zu erregen; es kam mir
vielmehr ganz natürlich vor, daß ich mich unter sie mischte und Alles be¬
obachtete.

Das Erste, was ich bemerkte, als ich den nach innen stark ansteigenden
Thorweg durchschritten hatte, waren mehrere gezäumte Maulthiere und Esel,
welche theils mit Körben und Krüger beladen, theils gesattelt wurden. Bei
ihnen standen vor den Thüren zweier langgestreckter Gebäude Gruppen von
Männern, die theils selbst Hand anlegten, theils sich mit lebhafter Stimme
unterhielten. Sie hatten das Aussehen von Landleuten und sprachen in einem
schwerverständlichen altlateinischen Dialekt.

„Mich soll es wundern, Fuscus", sagte ein untersetzter Mann, der mit
einem weißen wollenen Mantel, einem breitkrämpigen Hut und ledernen
stieselartigen Sandalen bekleidet war, „mich soll es wahrlich wundern, wenn
wir heute mit unserer Ladung glücklich nach Oplontiae kommen. Mir scheint,
der Maulesel ist so betrunken, wie ich. Sieh' nur, wie er mit dem Kopfe
schüttelt, wenn ihm Hortensius einen Sack nach dem Andern aufpackt. Wenn
wir den Weg verfehlen und in den Sarno fallen, so wird unser Mehl als
Mehlbrei nach Hause kommen. Ha, ha, das wäre lustig!"

„Lustig wäre es", erwiederte der Andere, der auf einer steinernen Bank
neben der Thür saß, aus welcher ein weißbestäubter Sklave die Säcke heraus¬
trug, um sie dem Maulthier auszuladen, „wenn ich deinen krebsrothen Kopf
in den Sarno tauchte, bis er wieder vernünftig geworden, du Weinschlauch!
^- Hast Du nicht sechs Becher von dem Vesuvwein in einer Stunde getrunken,
während ich mich mit den Knaben im Stalle und dem Spitzbuben von Müller
ärgern mußte?"

„Ruhig, ruhig, Brüderchen", sagte der Erste mit weinschwerer Zunge,
„ärgere dich jetzt nicht mehr. Was sagst du? Sechs Becher? — Ja, aber
du weißt doch, daß drei davon aus der Cisterne stammen, wenn die alte
Petronia sie verabreicht. Also bleiben drei Becher! Streiten wir nicht da¬
rüber; trinken wir lieber noch einen auf unsere Freundschaft und eine glück¬
liche Heimkehr!"

„He, Petronia", rief er, sich zur Thür der Schenke umwendend, in die
Stube hinein, aus welcher Stimmengewirr und Gläserklingen tönte; „he,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/259>, abgerufen am 27.09.2024.