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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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dem herzoglichen Amtmann die Einkerkerung, und dort behandelt man den
Gefangenen wie einen gefährlichen Verbrecher; und doch war Hartmann ganz
'n seinem Recht, wenn er sich weigerte, vor einem unzuständiger Gerichte sich
auf einen Prozeß einzulassen.

Auf Brockdorfs Ansuchen berief der Herzog demnächst die Dingbauern
zum Gerichte nach Neumünster. Schon war Hartmann dahin aus seinem
Gefängnisse geführt, als es seinen Verwandten gelang, beim Herzog zu er¬
reichen, daß das Bauerngericht noch ausgesetzt wurde. Aber die Beschickungen
des Raths zu Hamburg um dem gefangenen Hamburger die Freiheit zu ver¬
schaffen, waren ohne Erfolg. So saß Hartmann drei Monate lang in Fesseln,
bis es ihm gelang aus dem Kerker zu entfliehen.

Freilich hatte seine Ehefrau schon vor diesem Entfliehn eine Klage wegen
Landfriedenbruchs beim Reichskammergericht angebracht. Hartmann selbst
setzte auch den Prozeß nach seiner Befreiung fort; der Rechtsgang hatte dann
auch seinen Fortgang bis zum Zeugenverhör. Nachher ist aber der Prozeß ins
Stocken gerathen, und so liegen geblieben.

Einen ganz eigenthümlichen Gang nahm auch der folgende Injurien-
Prozeß.

7) Adrian Cornelius, der Sohn eines angesehenen Kaufmanns und Schöffen
W Leyden, war bis zum Jahre 1604 als Kaufgeselle im Geschäft bei Simon
Azuardo, auch Hasenwart genannt, in Hamburg thätig gewesen. Cornelius
veruneinigte sich aber mit Azuardo, verließ dessen Dienst, und nun kam dem
letzteren das Gerücht zu Ohren: Cornelius habe sich berühmt, daß er mit
der Schwester Azuardo's, Susanna, vertraulichen Umgang gepflogen und
bei ihr geschlafen habe.

Anstatt nun deshalb in Hamburg Klage zu erheben, erwirkte Azuardo
einen Befehl des Grafen Ernst zu Holstein-Schaumburg an dessen Amtmann
^ Pinneberg: er solle den Cornelius verhaften und gegen selbigen verfahren,
im Falle derselbe sich in der gräflichen Gerichtsbarkeit betreten ließe.

Es gelang auch wirklich den gräflichen Dienern, den Cornelius in
Altona zu fangen, als er sich dorthin ganz arglos zum Gottesdienste be¬
geben hatte, und aus der Kirche heraustrat. Man band ihn so hart, daß das
Blut aus den Nägeln hervortrat, führte ihn in die Beste nach Pinneberg und
legte ihn dort in Ketten.

Nun erst klagte Azuardo als kriegerischer Vormund seiner Schwester
Susanne in Pinneberg, weil Cornelius aus vorgesetztem Muthwillen aufge¬
schrien und sich berühmt habe, daß er bei Susanna Hasenwart geschlafen
habe. Dies sei aber ein ganz verwegenes leichtfertiges Stück, da er Azuardos
Diener gewesen, und dieser ihm alles Gute gethan habe.


dem herzoglichen Amtmann die Einkerkerung, und dort behandelt man den
Gefangenen wie einen gefährlichen Verbrecher; und doch war Hartmann ganz
'n seinem Recht, wenn er sich weigerte, vor einem unzuständiger Gerichte sich
auf einen Prozeß einzulassen.

Auf Brockdorfs Ansuchen berief der Herzog demnächst die Dingbauern
zum Gerichte nach Neumünster. Schon war Hartmann dahin aus seinem
Gefängnisse geführt, als es seinen Verwandten gelang, beim Herzog zu er¬
reichen, daß das Bauerngericht noch ausgesetzt wurde. Aber die Beschickungen
des Raths zu Hamburg um dem gefangenen Hamburger die Freiheit zu ver¬
schaffen, waren ohne Erfolg. So saß Hartmann drei Monate lang in Fesseln,
bis es ihm gelang aus dem Kerker zu entfliehen.

Freilich hatte seine Ehefrau schon vor diesem Entfliehn eine Klage wegen
Landfriedenbruchs beim Reichskammergericht angebracht. Hartmann selbst
setzte auch den Prozeß nach seiner Befreiung fort; der Rechtsgang hatte dann
auch seinen Fortgang bis zum Zeugenverhör. Nachher ist aber der Prozeß ins
Stocken gerathen, und so liegen geblieben.

Einen ganz eigenthümlichen Gang nahm auch der folgende Injurien-
Prozeß.

7) Adrian Cornelius, der Sohn eines angesehenen Kaufmanns und Schöffen
W Leyden, war bis zum Jahre 1604 als Kaufgeselle im Geschäft bei Simon
Azuardo, auch Hasenwart genannt, in Hamburg thätig gewesen. Cornelius
veruneinigte sich aber mit Azuardo, verließ dessen Dienst, und nun kam dem
letzteren das Gerücht zu Ohren: Cornelius habe sich berühmt, daß er mit
der Schwester Azuardo's, Susanna, vertraulichen Umgang gepflogen und
bei ihr geschlafen habe.

Anstatt nun deshalb in Hamburg Klage zu erheben, erwirkte Azuardo
einen Befehl des Grafen Ernst zu Holstein-Schaumburg an dessen Amtmann
^ Pinneberg: er solle den Cornelius verhaften und gegen selbigen verfahren,
im Falle derselbe sich in der gräflichen Gerichtsbarkeit betreten ließe.

Es gelang auch wirklich den gräflichen Dienern, den Cornelius in
Altona zu fangen, als er sich dorthin ganz arglos zum Gottesdienste be¬
geben hatte, und aus der Kirche heraustrat. Man band ihn so hart, daß das
Blut aus den Nägeln hervortrat, führte ihn in die Beste nach Pinneberg und
legte ihn dort in Ketten.

Nun erst klagte Azuardo als kriegerischer Vormund seiner Schwester
Susanne in Pinneberg, weil Cornelius aus vorgesetztem Muthwillen aufge¬
schrien und sich berühmt habe, daß er bei Susanna Hasenwart geschlafen
habe. Dies sei aber ein ganz verwegenes leichtfertiges Stück, da er Azuardos
Diener gewesen, und dieser ihm alles Gute gethan habe.


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[0255] dem herzoglichen Amtmann die Einkerkerung, und dort behandelt man den Gefangenen wie einen gefährlichen Verbrecher; und doch war Hartmann ganz 'n seinem Recht, wenn er sich weigerte, vor einem unzuständiger Gerichte sich auf einen Prozeß einzulassen. Auf Brockdorfs Ansuchen berief der Herzog demnächst die Dingbauern zum Gerichte nach Neumünster. Schon war Hartmann dahin aus seinem Gefängnisse geführt, als es seinen Verwandten gelang, beim Herzog zu er¬ reichen, daß das Bauerngericht noch ausgesetzt wurde. Aber die Beschickungen des Raths zu Hamburg um dem gefangenen Hamburger die Freiheit zu ver¬ schaffen, waren ohne Erfolg. So saß Hartmann drei Monate lang in Fesseln, bis es ihm gelang aus dem Kerker zu entfliehen. Freilich hatte seine Ehefrau schon vor diesem Entfliehn eine Klage wegen Landfriedenbruchs beim Reichskammergericht angebracht. Hartmann selbst setzte auch den Prozeß nach seiner Befreiung fort; der Rechtsgang hatte dann auch seinen Fortgang bis zum Zeugenverhör. Nachher ist aber der Prozeß ins Stocken gerathen, und so liegen geblieben. Einen ganz eigenthümlichen Gang nahm auch der folgende Injurien- Prozeß. 7) Adrian Cornelius, der Sohn eines angesehenen Kaufmanns und Schöffen W Leyden, war bis zum Jahre 1604 als Kaufgeselle im Geschäft bei Simon Azuardo, auch Hasenwart genannt, in Hamburg thätig gewesen. Cornelius veruneinigte sich aber mit Azuardo, verließ dessen Dienst, und nun kam dem letzteren das Gerücht zu Ohren: Cornelius habe sich berühmt, daß er mit der Schwester Azuardo's, Susanna, vertraulichen Umgang gepflogen und bei ihr geschlafen habe. Anstatt nun deshalb in Hamburg Klage zu erheben, erwirkte Azuardo einen Befehl des Grafen Ernst zu Holstein-Schaumburg an dessen Amtmann ^ Pinneberg: er solle den Cornelius verhaften und gegen selbigen verfahren, im Falle derselbe sich in der gräflichen Gerichtsbarkeit betreten ließe. Es gelang auch wirklich den gräflichen Dienern, den Cornelius in Altona zu fangen, als er sich dorthin ganz arglos zum Gottesdienste be¬ geben hatte, und aus der Kirche heraustrat. Man band ihn so hart, daß das Blut aus den Nägeln hervortrat, führte ihn in die Beste nach Pinneberg und legte ihn dort in Ketten. Nun erst klagte Azuardo als kriegerischer Vormund seiner Schwester Susanne in Pinneberg, weil Cornelius aus vorgesetztem Muthwillen aufge¬ schrien und sich berühmt habe, daß er bei Susanna Hasenwart geschlafen habe. Dies sei aber ein ganz verwegenes leichtfertiges Stück, da er Azuardos Diener gewesen, und dieser ihm alles Gute gethan habe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/255>, abgerufen am 27.09.2024.