Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.andere übersetzt zu werden verdiente, reich an guter Laune, voll von hoch- Aus dem Gesagten wird man bereits ersehen haben, daß "die Abenteuer "Zum Henker mit dem Jungen! Lerne ich denn aber auch gar nichts? andere übersetzt zu werden verdiente, reich an guter Laune, voll von hoch- Aus dem Gesagten wird man bereits ersehen haben, daß „die Abenteuer „Zum Henker mit dem Jungen! Lerne ich denn aber auch gar nichts? <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0222" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136861"/> <p xml:id="ID_613" prev="#ID_612"> andere übersetzt zu werden verdiente, reich an guter Laune, voll von hoch-<lb/> komischen Situationen und Ereignissen und zugleich ein vortreffliches Sitten¬<lb/> bild aus dem amerikanischen Leben. Neben jenen humoristischen Schilderungen<lb/> fehlt auch der Ernst nicht, und in einigen Kapiteln folgen wir mit der<lb/> höchsten Spannung, mit leisem Tritt und angehaltnem Athem der Entwicke¬<lb/> lung der unheimlichen Dinge, die uns .der Verfasser mit Meisterschaft erzählt.<lb/> Alle Figuren leben und treten plastisch vor uns hin, und allenthalben um¬<lb/> giebt sie die rechte Stimmung. Stoßen wir hier und da auf Dinge, die uns<lb/> unwahrscheinlich vorkommen, fo ist zu bedenken, daß wir uns hier in einem<lb/> kleinen Städtchen im Hinterwald am Mississippi befinden, und daß die Jahre,<lb/> in welchen unsere Geschichte spielt, der Zeit angehören, wo in dieser Gegend<lb/> in der Natur wie in der Menschenwelt noch halbe Wildniß und in Folge<lb/> dessen Vieles möglich, ja fast gewöhnlich war, was jetzt unglaublich erscheint.<lb/> Sodann aber haben wir uns zu erinnern, daß die amerikanische Jugend den<lb/> Eltern und den Erwachsenen überhaupt viel selbständiger und ungebundener<lb/> gegenübersteht, als die unsrige, und daß sie weit früher reif, weltklug und<lb/> unternehmungslustig wird als in der Regel die Knaben und Mädchen in<lb/> Deutschland.</p><lb/> <p xml:id="ID_614"> Aus dem Gesagten wird man bereits ersehen haben, daß „die Abenteuer<lb/> Tom Sawyers" ein Abschnitt aus dem Leben eines Knaben sind, der in einem<lb/> kleinen Orte im amerikanischen Westen lebt und hier mit seinen Freunden<lb/> allerlei Dinge treibt, die wir „tolle Streiche" zu nennen geneigt sind. Und<lb/> so ist es in der That. Tom, der bei einer Tante wohnt, welche sich zwar<lb/> der Pflicht bewußt ist, ihn gut zu erziehen, aber nicht recht dazu kommen<lb/> kann, da ihr entweder seine Possen in die Quer fahren und sie vor Lachen<lb/> nicht strafen kann oder sein im Grunde braves und nicht selten großherziges<lb/> Wesen sie rührt, ist in seiner Art ein kleiner Held und zugleich ein kleiner Schlau¬<lb/> kopf, voll Kinderei und voll Aberglauben, thöricht und unbesonnen bis zur<lb/> Tollkühnheit und Rücksichtslosigkeit, und doch wieder gewandt in der Aus¬<lb/> führung seiner klugberechneten Pläne, die ihm auf diese Art fast immer gelin¬<lb/> gen, ehrlich, nobel und ein gutes aufopferungsfähiges Herz. Zu welchen komischen<lb/> Situationen und Auftritten diese Eigenschaften führen, zeigt gleich das erste Kapitel,<lb/> wo Tom der ihm für Näscherei im Speisekämmerchen der Tante Polly zuge¬<lb/> dachten Strafe entwischt, und die alte Dame, mit gelindem Lachen ihm<lb/> nachsehend, in folgenden Monolog ausbricht: ,</p><lb/> <p xml:id="ID_615" next="#ID_616"> „Zum Henker mit dem Jungen! Lerne ich denn aber auch gar nichts?<lb/> Hat er mir denn noch nicht Streiche genug gespielt, daß ich mich endlich vor<lb/> ihm in Acht nehme? Aber Du meine Güte, niemals spielt er zweimal den¬<lb/> selben Kniff aus, und wie soll eins wissen, was kommt? Weiß Gott, ich thue<lb/> meine Pflicht nicht gegen den Jungen. Schone die Ruthe und verdirb das</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0222]
andere übersetzt zu werden verdiente, reich an guter Laune, voll von hoch-
komischen Situationen und Ereignissen und zugleich ein vortreffliches Sitten¬
bild aus dem amerikanischen Leben. Neben jenen humoristischen Schilderungen
fehlt auch der Ernst nicht, und in einigen Kapiteln folgen wir mit der
höchsten Spannung, mit leisem Tritt und angehaltnem Athem der Entwicke¬
lung der unheimlichen Dinge, die uns .der Verfasser mit Meisterschaft erzählt.
Alle Figuren leben und treten plastisch vor uns hin, und allenthalben um¬
giebt sie die rechte Stimmung. Stoßen wir hier und da auf Dinge, die uns
unwahrscheinlich vorkommen, fo ist zu bedenken, daß wir uns hier in einem
kleinen Städtchen im Hinterwald am Mississippi befinden, und daß die Jahre,
in welchen unsere Geschichte spielt, der Zeit angehören, wo in dieser Gegend
in der Natur wie in der Menschenwelt noch halbe Wildniß und in Folge
dessen Vieles möglich, ja fast gewöhnlich war, was jetzt unglaublich erscheint.
Sodann aber haben wir uns zu erinnern, daß die amerikanische Jugend den
Eltern und den Erwachsenen überhaupt viel selbständiger und ungebundener
gegenübersteht, als die unsrige, und daß sie weit früher reif, weltklug und
unternehmungslustig wird als in der Regel die Knaben und Mädchen in
Deutschland.
Aus dem Gesagten wird man bereits ersehen haben, daß „die Abenteuer
Tom Sawyers" ein Abschnitt aus dem Leben eines Knaben sind, der in einem
kleinen Orte im amerikanischen Westen lebt und hier mit seinen Freunden
allerlei Dinge treibt, die wir „tolle Streiche" zu nennen geneigt sind. Und
so ist es in der That. Tom, der bei einer Tante wohnt, welche sich zwar
der Pflicht bewußt ist, ihn gut zu erziehen, aber nicht recht dazu kommen
kann, da ihr entweder seine Possen in die Quer fahren und sie vor Lachen
nicht strafen kann oder sein im Grunde braves und nicht selten großherziges
Wesen sie rührt, ist in seiner Art ein kleiner Held und zugleich ein kleiner Schlau¬
kopf, voll Kinderei und voll Aberglauben, thöricht und unbesonnen bis zur
Tollkühnheit und Rücksichtslosigkeit, und doch wieder gewandt in der Aus¬
führung seiner klugberechneten Pläne, die ihm auf diese Art fast immer gelin¬
gen, ehrlich, nobel und ein gutes aufopferungsfähiges Herz. Zu welchen komischen
Situationen und Auftritten diese Eigenschaften führen, zeigt gleich das erste Kapitel,
wo Tom der ihm für Näscherei im Speisekämmerchen der Tante Polly zuge¬
dachten Strafe entwischt, und die alte Dame, mit gelindem Lachen ihm
nachsehend, in folgenden Monolog ausbricht: ,
„Zum Henker mit dem Jungen! Lerne ich denn aber auch gar nichts?
Hat er mir denn noch nicht Streiche genug gespielt, daß ich mich endlich vor
ihm in Acht nehme? Aber Du meine Güte, niemals spielt er zweimal den¬
selben Kniff aus, und wie soll eins wissen, was kommt? Weiß Gott, ich thue
meine Pflicht nicht gegen den Jungen. Schone die Ruthe und verdirb das
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