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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Meiflungsphilosophie Recht habe und daß sein finstrer Pessimismus die
Philosophie des ganzen Werkes sei. Uns scheint, hier hat Dahn doch der
Geschichte Unrecht gethan. Das Gothenvolk hat in Wirklichkeit tragischer
geendet, als er es enden läßt; bei ihm erliegt es nur übermächtigen, äußeren
Gewalten, thatsächlich ist es ebenso gut an seiner inneren Schwäche zu Grunde
gegangen, mit einem Worte an dem Mangel eines geschlossnen, einheitlichen
Nationalgefühls. Die gothische Nation war schon in der Auflösung begriffen,
vom Einflüsse römischer Cultur zersetzt, als Byzanz sie angriff. Das Alles
entwickelt Dahn in seinen "Königen der Germanen"; in seinem Romane
tritt dies Moment nur etwa bei Amalaswintha und Theodahad, also nur
Anfange und ganz vereinzelt hervor, sonst gar nicht, und damit fehlt die
tragische Schuld der Gothen, die ihren Untergang als die Sühne derselben
erscheinen ließe.

Ueber die Mängel der Composition hilft nun aber in der That
die Darstellung meist hinweg. Sie ist überaus anschaulich, packend, in den
Dialogen von dramatischer Kraft, in den Schilderungen großer Scenen von
plastischer Schärfe, in der Intrigue von bewunderungswürdiger Feinheit.
Man lese z. B. die Schilderung von Theodorich's Tode, die Verschwörung
gothischen Patrioten bei Ravenna, die Verhandlungen im Kriegsrathe
Justinians. die Intriguen des Cethegus gegen Amalaswintha und Athalarich,
und man wird diesem Urtheile beistimmen. Auf der andern Seite ist nicht
Zu verkennen, daß der Verfasser bisweilen der Phantasie und dem Glauben
seiner Leser etwas zuviel zumuthet. So lebendig z. B. die Beschreibung des
ersten Zusammenstoßes der Gothen und Byzantiner vor Rom oder des
gothischen Sturmes auf Rom gehalten ist, es ist kaum möglich, sich bei dem
raschen Wechsel der Schauplätze ein klares Bild zu machen, und zugleich legen
diese Helden Proben von Ausdauer und Körperkraft ab, die über das Menschen¬
mögliche hinausgehen. Zu bewundern bleibt freilich auch hier die wahrhaft
üppige Phantasie des Dichters, die immer neue Situationen zu erfinden
weiß, aber er hat ihr doch etwas zu sehr die Zügel schießen lassen.

Wir kommen zum Schlüsse. Unzweifelhaft ist der Roman ein Werk
von nicht gewöhnlicher Bedeutung, im Einzelnen voll wunderbarer Schön¬
heiten, stets fesselnd durch die Anschaulichkeit und das pulsirende Leben seiner
Darstellung, die auch über manche historisch nicht unbedenkliche Dinge hin¬
weghelfen. Wenn der Eindruck doch kein ganz harmonischer, befriedigender
^r, so liegt das weniger in der zu großen Ausdehnung, als in dem über-
schwänglichen Reichthums der Handlung und in der allzugroßen Zahl der
Personen, nicht weniger am Schlüsse. So vielen Erfolg man deshalb dem
^nahe auch wünschen mag, wir möchten doch zweifeln, daß es in seiner
gegenwärtigen Gestalt dauernde Bedeutung gewinnen werde.




Meiflungsphilosophie Recht habe und daß sein finstrer Pessimismus die
Philosophie des ganzen Werkes sei. Uns scheint, hier hat Dahn doch der
Geschichte Unrecht gethan. Das Gothenvolk hat in Wirklichkeit tragischer
geendet, als er es enden läßt; bei ihm erliegt es nur übermächtigen, äußeren
Gewalten, thatsächlich ist es ebenso gut an seiner inneren Schwäche zu Grunde
gegangen, mit einem Worte an dem Mangel eines geschlossnen, einheitlichen
Nationalgefühls. Die gothische Nation war schon in der Auflösung begriffen,
vom Einflüsse römischer Cultur zersetzt, als Byzanz sie angriff. Das Alles
entwickelt Dahn in seinen „Königen der Germanen"; in seinem Romane
tritt dies Moment nur etwa bei Amalaswintha und Theodahad, also nur
Anfange und ganz vereinzelt hervor, sonst gar nicht, und damit fehlt die
tragische Schuld der Gothen, die ihren Untergang als die Sühne derselben
erscheinen ließe.

Ueber die Mängel der Composition hilft nun aber in der That
die Darstellung meist hinweg. Sie ist überaus anschaulich, packend, in den
Dialogen von dramatischer Kraft, in den Schilderungen großer Scenen von
plastischer Schärfe, in der Intrigue von bewunderungswürdiger Feinheit.
Man lese z. B. die Schilderung von Theodorich's Tode, die Verschwörung
gothischen Patrioten bei Ravenna, die Verhandlungen im Kriegsrathe
Justinians. die Intriguen des Cethegus gegen Amalaswintha und Athalarich,
und man wird diesem Urtheile beistimmen. Auf der andern Seite ist nicht
Zu verkennen, daß der Verfasser bisweilen der Phantasie und dem Glauben
seiner Leser etwas zuviel zumuthet. So lebendig z. B. die Beschreibung des
ersten Zusammenstoßes der Gothen und Byzantiner vor Rom oder des
gothischen Sturmes auf Rom gehalten ist, es ist kaum möglich, sich bei dem
raschen Wechsel der Schauplätze ein klares Bild zu machen, und zugleich legen
diese Helden Proben von Ausdauer und Körperkraft ab, die über das Menschen¬
mögliche hinausgehen. Zu bewundern bleibt freilich auch hier die wahrhaft
üppige Phantasie des Dichters, die immer neue Situationen zu erfinden
weiß, aber er hat ihr doch etwas zu sehr die Zügel schießen lassen.

Wir kommen zum Schlüsse. Unzweifelhaft ist der Roman ein Werk
von nicht gewöhnlicher Bedeutung, im Einzelnen voll wunderbarer Schön¬
heiten, stets fesselnd durch die Anschaulichkeit und das pulsirende Leben seiner
Darstellung, die auch über manche historisch nicht unbedenkliche Dinge hin¬
weghelfen. Wenn der Eindruck doch kein ganz harmonischer, befriedigender
^r, so liegt das weniger in der zu großen Ausdehnung, als in dem über-
schwänglichen Reichthums der Handlung und in der allzugroßen Zahl der
Personen, nicht weniger am Schlüsse. So vielen Erfolg man deshalb dem
^nahe auch wünschen mag, wir möchten doch zweifeln, daß es in seiner
gegenwärtigen Gestalt dauernde Bedeutung gewinnen werde.




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[0135] Meiflungsphilosophie Recht habe und daß sein finstrer Pessimismus die Philosophie des ganzen Werkes sei. Uns scheint, hier hat Dahn doch der Geschichte Unrecht gethan. Das Gothenvolk hat in Wirklichkeit tragischer geendet, als er es enden läßt; bei ihm erliegt es nur übermächtigen, äußeren Gewalten, thatsächlich ist es ebenso gut an seiner inneren Schwäche zu Grunde gegangen, mit einem Worte an dem Mangel eines geschlossnen, einheitlichen Nationalgefühls. Die gothische Nation war schon in der Auflösung begriffen, vom Einflüsse römischer Cultur zersetzt, als Byzanz sie angriff. Das Alles entwickelt Dahn in seinen „Königen der Germanen"; in seinem Romane tritt dies Moment nur etwa bei Amalaswintha und Theodahad, also nur Anfange und ganz vereinzelt hervor, sonst gar nicht, und damit fehlt die tragische Schuld der Gothen, die ihren Untergang als die Sühne derselben erscheinen ließe. Ueber die Mängel der Composition hilft nun aber in der That die Darstellung meist hinweg. Sie ist überaus anschaulich, packend, in den Dialogen von dramatischer Kraft, in den Schilderungen großer Scenen von plastischer Schärfe, in der Intrigue von bewunderungswürdiger Feinheit. Man lese z. B. die Schilderung von Theodorich's Tode, die Verschwörung gothischen Patrioten bei Ravenna, die Verhandlungen im Kriegsrathe Justinians. die Intriguen des Cethegus gegen Amalaswintha und Athalarich, und man wird diesem Urtheile beistimmen. Auf der andern Seite ist nicht Zu verkennen, daß der Verfasser bisweilen der Phantasie und dem Glauben seiner Leser etwas zuviel zumuthet. So lebendig z. B. die Beschreibung des ersten Zusammenstoßes der Gothen und Byzantiner vor Rom oder des gothischen Sturmes auf Rom gehalten ist, es ist kaum möglich, sich bei dem raschen Wechsel der Schauplätze ein klares Bild zu machen, und zugleich legen diese Helden Proben von Ausdauer und Körperkraft ab, die über das Menschen¬ mögliche hinausgehen. Zu bewundern bleibt freilich auch hier die wahrhaft üppige Phantasie des Dichters, die immer neue Situationen zu erfinden weiß, aber er hat ihr doch etwas zu sehr die Zügel schießen lassen. Wir kommen zum Schlüsse. Unzweifelhaft ist der Roman ein Werk von nicht gewöhnlicher Bedeutung, im Einzelnen voll wunderbarer Schön¬ heiten, stets fesselnd durch die Anschaulichkeit und das pulsirende Leben seiner Darstellung, die auch über manche historisch nicht unbedenkliche Dinge hin¬ weghelfen. Wenn der Eindruck doch kein ganz harmonischer, befriedigender ^r, so liegt das weniger in der zu großen Ausdehnung, als in dem über- schwänglichen Reichthums der Handlung und in der allzugroßen Zahl der Personen, nicht weniger am Schlüsse. So vielen Erfolg man deshalb dem ^nahe auch wünschen mag, wir möchten doch zweifeln, daß es in seiner gegenwärtigen Gestalt dauernde Bedeutung gewinnen werde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/135>, abgerufen am 27.09.2024.