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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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sten gegen die Byzantiner: sie sind uns verständlicher, weil sie einer hochent¬
wickelten Culturwelt angehören, und klarer, weil wir positiv mehr von ihnen
wissen. Bei den Gothen verbindet sich mit unstreitig Echten auch sehr
Modernes. Echt ist ihre gewaltige Leidenschaft, ihr unerschüttertes Heiden-
thum, ihre Heldenfreundschaft und Heldentreue. In Scenen, wo diese Züge
hervortreten, weht etwas von der Luft der Nibelungen. Modern dagegen
muß man ohne Weiteres die starke Betonung und sentimentale Aus¬
malung der Liebesverhältnisse nennen, namentlich aber das Hervortreten der
Reflexion, die z. B. in Teja sich geradezu bis zum philosophischen Pessimis¬
mus steigert. Man darf hier dreist behaupten: wir wissen nicht, wie die
Gothen in derlei Dingen empfunden haben, aber so wie Dahn es darstellt,
haben sie keinesfalls empfunden.

Eine nicht geringere Schwierigkeit hatte der Dichter in der Gestaltung
der Sprache seiner Helden zu überwinden, eine Schwierigkeit freilich, der man
bei jedem historischen Romane mehr oder weniger begegnet. Die Sprache
soll die Farbe der Zeit tragen und doch uns nicht gar zu fremdartig an-
muthen. Sicherlich war es nun im vorliegenden Falle leichter, Italiener und
Byzantiner annähernd wahrheitsgetreu reden zu lassen, als Germanen. Von
jenen steht uns eine ausgebreitete Literatur zur Verfügung, von diesen so
gut wie nichts, woraus sich auf ihre Ausdrucksweise schließen ließe. Dahn
hat sich dadurch zu helfen versucht, daß er die Gothen besonders eine durch¬
aus poetische Sprache reden läßt, in kurzen, scharfen, oft epigrammatisch zu¬
gespitzten Sätzen, und in der That ist mancher seiner Dialoge meisterhaft,
von dramatischen Leben erfüllt, den Leser athemlos fortreißend von Wendung
zu Wendung. Aber man hat nicht den Eindruck, so wenig wie bei Freytags
"Jngo" --: so können die Personen wirklich gesprochen haben; man em¬
pfindet die Sprache fast stets als ein idealisirt und oft verkünstelt poetische,
selten als recht der Zeit und dem Volke entsprechend.

Lassen sich so manche Bedenken gegen die historische Treue in der Zeich¬
nung der Charaktere und in der Sprache nicht abweisen, so wird um so
rückhaltloser die wunderbare Beherrschung des Materials in allem, was die
Zustände jener Epoche betrifft, anzuerkennen sein. Hier verfügt Dahn, wie
zu erwarten, mit souveräner Sicherheit über zahllose Einzelheiten und so
detaillirt muß er in sich das Bild dieser Verhältnisse reflectirt haben,
daß seine Darstellung mit fesselnder Lebendigkeit und Anschaulichkeit wirkt.
Wie oft ist ein römisches Gastmahl in seinem raffinirten Luxus, seiner
Sinnenlust, seiner aus Frivolität und feinster gesellschaftlicher Bildung wun¬
derbar gemischten geistigen Athmosphäre dargestellt worden. Und doch hat
Dahn in seinem Gastmahl gerade ein unübertreffliches Meisterstück geliefert,
so anschaulich in allem Detail, so wahrhaft dramatisch in seinem Dialcig und in


sten gegen die Byzantiner: sie sind uns verständlicher, weil sie einer hochent¬
wickelten Culturwelt angehören, und klarer, weil wir positiv mehr von ihnen
wissen. Bei den Gothen verbindet sich mit unstreitig Echten auch sehr
Modernes. Echt ist ihre gewaltige Leidenschaft, ihr unerschüttertes Heiden-
thum, ihre Heldenfreundschaft und Heldentreue. In Scenen, wo diese Züge
hervortreten, weht etwas von der Luft der Nibelungen. Modern dagegen
muß man ohne Weiteres die starke Betonung und sentimentale Aus¬
malung der Liebesverhältnisse nennen, namentlich aber das Hervortreten der
Reflexion, die z. B. in Teja sich geradezu bis zum philosophischen Pessimis¬
mus steigert. Man darf hier dreist behaupten: wir wissen nicht, wie die
Gothen in derlei Dingen empfunden haben, aber so wie Dahn es darstellt,
haben sie keinesfalls empfunden.

Eine nicht geringere Schwierigkeit hatte der Dichter in der Gestaltung
der Sprache seiner Helden zu überwinden, eine Schwierigkeit freilich, der man
bei jedem historischen Romane mehr oder weniger begegnet. Die Sprache
soll die Farbe der Zeit tragen und doch uns nicht gar zu fremdartig an-
muthen. Sicherlich war es nun im vorliegenden Falle leichter, Italiener und
Byzantiner annähernd wahrheitsgetreu reden zu lassen, als Germanen. Von
jenen steht uns eine ausgebreitete Literatur zur Verfügung, von diesen so
gut wie nichts, woraus sich auf ihre Ausdrucksweise schließen ließe. Dahn
hat sich dadurch zu helfen versucht, daß er die Gothen besonders eine durch¬
aus poetische Sprache reden läßt, in kurzen, scharfen, oft epigrammatisch zu¬
gespitzten Sätzen, und in der That ist mancher seiner Dialoge meisterhaft,
von dramatischen Leben erfüllt, den Leser athemlos fortreißend von Wendung
zu Wendung. Aber man hat nicht den Eindruck, so wenig wie bei Freytags
„Jngo" —: so können die Personen wirklich gesprochen haben; man em¬
pfindet die Sprache fast stets als ein idealisirt und oft verkünstelt poetische,
selten als recht der Zeit und dem Volke entsprechend.

Lassen sich so manche Bedenken gegen die historische Treue in der Zeich¬
nung der Charaktere und in der Sprache nicht abweisen, so wird um so
rückhaltloser die wunderbare Beherrschung des Materials in allem, was die
Zustände jener Epoche betrifft, anzuerkennen sein. Hier verfügt Dahn, wie
zu erwarten, mit souveräner Sicherheit über zahllose Einzelheiten und so
detaillirt muß er in sich das Bild dieser Verhältnisse reflectirt haben,
daß seine Darstellung mit fesselnder Lebendigkeit und Anschaulichkeit wirkt.
Wie oft ist ein römisches Gastmahl in seinem raffinirten Luxus, seiner
Sinnenlust, seiner aus Frivolität und feinster gesellschaftlicher Bildung wun¬
derbar gemischten geistigen Athmosphäre dargestellt worden. Und doch hat
Dahn in seinem Gastmahl gerade ein unübertreffliches Meisterstück geliefert,
so anschaulich in allem Detail, so wahrhaft dramatisch in seinem Dialcig und in


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[0132] sten gegen die Byzantiner: sie sind uns verständlicher, weil sie einer hochent¬ wickelten Culturwelt angehören, und klarer, weil wir positiv mehr von ihnen wissen. Bei den Gothen verbindet sich mit unstreitig Echten auch sehr Modernes. Echt ist ihre gewaltige Leidenschaft, ihr unerschüttertes Heiden- thum, ihre Heldenfreundschaft und Heldentreue. In Scenen, wo diese Züge hervortreten, weht etwas von der Luft der Nibelungen. Modern dagegen muß man ohne Weiteres die starke Betonung und sentimentale Aus¬ malung der Liebesverhältnisse nennen, namentlich aber das Hervortreten der Reflexion, die z. B. in Teja sich geradezu bis zum philosophischen Pessimis¬ mus steigert. Man darf hier dreist behaupten: wir wissen nicht, wie die Gothen in derlei Dingen empfunden haben, aber so wie Dahn es darstellt, haben sie keinesfalls empfunden. Eine nicht geringere Schwierigkeit hatte der Dichter in der Gestaltung der Sprache seiner Helden zu überwinden, eine Schwierigkeit freilich, der man bei jedem historischen Romane mehr oder weniger begegnet. Die Sprache soll die Farbe der Zeit tragen und doch uns nicht gar zu fremdartig an- muthen. Sicherlich war es nun im vorliegenden Falle leichter, Italiener und Byzantiner annähernd wahrheitsgetreu reden zu lassen, als Germanen. Von jenen steht uns eine ausgebreitete Literatur zur Verfügung, von diesen so gut wie nichts, woraus sich auf ihre Ausdrucksweise schließen ließe. Dahn hat sich dadurch zu helfen versucht, daß er die Gothen besonders eine durch¬ aus poetische Sprache reden läßt, in kurzen, scharfen, oft epigrammatisch zu¬ gespitzten Sätzen, und in der That ist mancher seiner Dialoge meisterhaft, von dramatischen Leben erfüllt, den Leser athemlos fortreißend von Wendung zu Wendung. Aber man hat nicht den Eindruck, so wenig wie bei Freytags „Jngo" —: so können die Personen wirklich gesprochen haben; man em¬ pfindet die Sprache fast stets als ein idealisirt und oft verkünstelt poetische, selten als recht der Zeit und dem Volke entsprechend. Lassen sich so manche Bedenken gegen die historische Treue in der Zeich¬ nung der Charaktere und in der Sprache nicht abweisen, so wird um so rückhaltloser die wunderbare Beherrschung des Materials in allem, was die Zustände jener Epoche betrifft, anzuerkennen sein. Hier verfügt Dahn, wie zu erwarten, mit souveräner Sicherheit über zahllose Einzelheiten und so detaillirt muß er in sich das Bild dieser Verhältnisse reflectirt haben, daß seine Darstellung mit fesselnder Lebendigkeit und Anschaulichkeit wirkt. Wie oft ist ein römisches Gastmahl in seinem raffinirten Luxus, seiner Sinnenlust, seiner aus Frivolität und feinster gesellschaftlicher Bildung wun¬ derbar gemischten geistigen Athmosphäre dargestellt worden. Und doch hat Dahn in seinem Gastmahl gerade ein unübertreffliches Meisterstück geliefert, so anschaulich in allem Detail, so wahrhaft dramatisch in seinem Dialcig und in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/132>, abgerufen am 27.09.2024.