Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.sein Feldherrntalent und seine diplomatische Kunst, dabei nicht ohne Sinn Neben den historischen Figuren, von denen wir eben die wichtigsten zu sein Feldherrntalent und seine diplomatische Kunst, dabei nicht ohne Sinn Neben den historischen Figuren, von denen wir eben die wichtigsten zu <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0130" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136769"/> <p xml:id="ID_349" prev="#ID_348"> sein Feldherrntalent und seine diplomatische Kunst, dabei nicht ohne Sinn<lb/> für Heldengröße: er rettet Belisar und ehrt Teja. — Ein ganz besonders<lb/> gelungenes Characterbild scheint uns auch das zu sein, das Dahn von<lb/> Procop, dem Geheimschreiber Belisars und Historiker des Gothenkrieges, ent¬<lb/> wirft. Hier hat er freilich weniger frei erfunden, als vielmehr aus seinen<lb/> Werken den Charakter des Schriftstellers erschlossen und den so gewonnenen<lb/> Rohstoff kunstvoll modellirt zum plastischen Gebilde. So mag er gewesen<lb/> sein, dieser Byzantiner; an sich ein trefflicher Mensch, aber ein Sohn seiner<lb/> Zeit und Nation, von ihren Schwächen und Fehlern nicht frei und sich dessen<lb/> auch bewußt, ein Verehrer Belisars und Bewunderer der Gothen, ein Ver¬<lb/> ächter seiner Landsleute und Feind der Kaiserin, dabei vorsichtig geschmeidig,<lb/> unterthänig, zu schwach, um ganz ehrlich, und zu ehrlich, um ganz Höfling<lb/> zu sein. Dem entsprechen seine Werke: er schreibt den gothischen Krieg ge¬<lb/> wissermaßen officiös, aber für ein byzantinisch - officiöses Werk zu ehrlich; er<lb/> läßt sich deshalb von der Kaiserin als Buße die Pflicht auferlegen, die Bau¬<lb/> werke Justinians in den Provinzen zu schildern, oder was dasselbe ist, mit<lb/> Lob zu überschütten, und er rächt sich für diesen Zwang, indem er die<lb/> „Geheimgeschichte" schreibt, jene Lästerchronik des byzantinischen Hofes, die<lb/> kaum ihres Gleichen hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_350" next="#ID_351"> Neben den historischen Figuren, von denen wir eben die wichtigsten zu<lb/> charakterisiren versuchten, steht noch eine ganze Reihe frei erfundener Ge¬<lb/> stalten auf gothischer Seite: außer der schon erwähnten Rauthgundis, Adal-<lb/> goth und Goedo, Harald und Haralds, besonders aber der alte Waffenmeister<lb/> Theodorichs, Hildebrand, für den allerdings die Figur der Heldensage vorlag,<lb/> der Hauptführer der streng gothischen Partei, noch Heide durch und durch, in<lb/> allen Kämpfen bewährt und sie alle überlebend, bis er mit nach dem Norden<lb/> zieht. Die bedeutendsten poetischen Mittel aber hat Dahn verwendet in der<lb/> Darstellung des Cethegus Cäsarius. Damit tritt zwischen Gothen und<lb/> Byzantinern die dritte Macht auf, die Italiener. Dieser Römer, der für die<lb/> Wiederherstellung der Weltherrschaft von Rom aus kämpft, betrachtet sich<lb/> selbst als Nachkomme Cäsars, vor dessen Statue ihm der verwegene Gedanke<lb/> aufsteigt, an den er sein Leben setzt, und in der That hat der erste Monarch<lb/> Roms wohl zu diesem Bilde des „letzten Römers" gesessen, so weit dieser<lb/> auch hinter dem Vorbilde zurückbleibt, denn Cethegus ist ein Mann schneidig<lb/> und biegsam wie Stahl, alles, auch die schlechtesten Mittel: Heimtücke, Ver¬<lb/> rath, Mord unbedenklich daransetzend an die Durchführung seines Planes,<lb/> in jeder Intrigue Meister, jeden Gegenspieler durchschauert und jeden über¬<lb/> trumpfend, , die Menschen beherrschend und leitend mit dämonischer — ja<lb/> sagen wir es offen — mit übermenschlicher, oft unbegreiflicher Macht, zu<lb/> Boden gerungen immer wieder ausschreitend, und doch auch kämpfend, wie</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0130]
sein Feldherrntalent und seine diplomatische Kunst, dabei nicht ohne Sinn
für Heldengröße: er rettet Belisar und ehrt Teja. — Ein ganz besonders
gelungenes Characterbild scheint uns auch das zu sein, das Dahn von
Procop, dem Geheimschreiber Belisars und Historiker des Gothenkrieges, ent¬
wirft. Hier hat er freilich weniger frei erfunden, als vielmehr aus seinen
Werken den Charakter des Schriftstellers erschlossen und den so gewonnenen
Rohstoff kunstvoll modellirt zum plastischen Gebilde. So mag er gewesen
sein, dieser Byzantiner; an sich ein trefflicher Mensch, aber ein Sohn seiner
Zeit und Nation, von ihren Schwächen und Fehlern nicht frei und sich dessen
auch bewußt, ein Verehrer Belisars und Bewunderer der Gothen, ein Ver¬
ächter seiner Landsleute und Feind der Kaiserin, dabei vorsichtig geschmeidig,
unterthänig, zu schwach, um ganz ehrlich, und zu ehrlich, um ganz Höfling
zu sein. Dem entsprechen seine Werke: er schreibt den gothischen Krieg ge¬
wissermaßen officiös, aber für ein byzantinisch - officiöses Werk zu ehrlich; er
läßt sich deshalb von der Kaiserin als Buße die Pflicht auferlegen, die Bau¬
werke Justinians in den Provinzen zu schildern, oder was dasselbe ist, mit
Lob zu überschütten, und er rächt sich für diesen Zwang, indem er die
„Geheimgeschichte" schreibt, jene Lästerchronik des byzantinischen Hofes, die
kaum ihres Gleichen hat.
Neben den historischen Figuren, von denen wir eben die wichtigsten zu
charakterisiren versuchten, steht noch eine ganze Reihe frei erfundener Ge¬
stalten auf gothischer Seite: außer der schon erwähnten Rauthgundis, Adal-
goth und Goedo, Harald und Haralds, besonders aber der alte Waffenmeister
Theodorichs, Hildebrand, für den allerdings die Figur der Heldensage vorlag,
der Hauptführer der streng gothischen Partei, noch Heide durch und durch, in
allen Kämpfen bewährt und sie alle überlebend, bis er mit nach dem Norden
zieht. Die bedeutendsten poetischen Mittel aber hat Dahn verwendet in der
Darstellung des Cethegus Cäsarius. Damit tritt zwischen Gothen und
Byzantinern die dritte Macht auf, die Italiener. Dieser Römer, der für die
Wiederherstellung der Weltherrschaft von Rom aus kämpft, betrachtet sich
selbst als Nachkomme Cäsars, vor dessen Statue ihm der verwegene Gedanke
aufsteigt, an den er sein Leben setzt, und in der That hat der erste Monarch
Roms wohl zu diesem Bilde des „letzten Römers" gesessen, so weit dieser
auch hinter dem Vorbilde zurückbleibt, denn Cethegus ist ein Mann schneidig
und biegsam wie Stahl, alles, auch die schlechtesten Mittel: Heimtücke, Ver¬
rath, Mord unbedenklich daransetzend an die Durchführung seines Planes,
in jeder Intrigue Meister, jeden Gegenspieler durchschauert und jeden über¬
trumpfend, , die Menschen beherrschend und leitend mit dämonischer — ja
sagen wir es offen — mit übermenschlicher, oft unbegreiflicher Macht, zu
Boden gerungen immer wieder ausschreitend, und doch auch kämpfend, wie
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