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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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sie zuletzt noch ihr Volk vor dem Verrathe Theodahads. -- Sehr selbständig
schildert sodann Decbr Persönlichkeit und Charakter des Vitiges, der Belisar
erliegt. Wir wissen wenig von ihm, bei Decbr wird er zu einem lebendigen
Menschen: ein tapfrer Krieger, schlicht gerade, unfähig zur List, ohne Ehrgeiz,
auch ohne besondere Begabung, aber voll Entschlossenheit. Er lebt, ehe er
König wird, in glücklichster Ehe mit Rauthgundis. die Dahn frei erfunden,
aber höchst sympathisch dargestellt, auf einem Gute bei Florenz, selbst freilich
meist am Königshofe, wo man von seiner Ehe kaum etwas weiß; nach
Theodahads Entsetzung erhebt ihn die Volksversammlung zum König und
verwickelt ihn damit in einen furchtbaren persönlichen Conflikt. Denn da die
entschiedenen Anhänger des Königshauses der Arnalungen nur Mataswintha,
den letzten Sproß des alten Stammes, die Tochter Amalaswinthas, als Königin
anerkennen wollen, so zwingen ihn, um Spaltung zu verhüten, seine Anhänger,
sein geliebtes Weib zu verstoßen; er thut es, im Innersten gebrochen, aber
in der Brautnacht erklärt er Mataswintha, sie sei seine Königin, nie werde
sie sein Weib, und legt zwischen sich und sie das blanke Schwert. Da erwacht
in dem tödtlich beleidigten Weibe der Haß um so grimmiger, als er nur die
umgewandelte Liebe ist; denn Mataswintha hat, ohne zu wissen, daß er vermählt,
in Vitiges, seitdem sie denken kann.das Ideal eines Mannes verehrt. Unmittelbar
am Ziele ihrer heißen Wünsche zurückgestoßen, verschmäht, kennt sie seitdem kein
anderes Interesse, als Vitiges zu vernichten; als er Rom belagert, verräth sie
jeden seiner Pläne; als er in Ravenna eingeschlossen ist, zündet sie die Getreide
Speicher an und vernichtet so die letzte Hoffnung der Gothen, die Stadt zu
halten. So erlebt sie den Triumph, Vitiges gestürzt und gefangen in den
Händen der Byzantiner zu sehen. Aber schon quält sie die Reue, und als
der byzantinische Prinz Germanus um sie wirbt, da giebt sie sich selbst den
Tod. In Vitiges' Gefängniß aber tritt sein treues Weib Rauthgundis; sie
verschafft ihm die Mittel zur Flucht, sie entkommt mit ihm, doch verfolgt
von den byzantinischen Reitern finden sie beide in den Wellen des Po ihren
Tod. -- Das Ganze ist fast vollständig Dahn's Eigenthum; Rauthgundis
hat er ganz erfunden ; von Mataswintha ist nur bekannt, daß sie, mit Vitiges.
aber gegen ihren Willen, vermählt, in der That verrätherisch handelte und
dann, nach seinem Sturze wirklich das Weib des Germanus wurde. Ab¬
weichend von der Wirklichkeit wird auch das Ende des Vitiges erzählt.

Auch bei der Schilderung Teja's, des letzten Königs der Gothen, hat
die historische Ueberlieferung Dahn wenig geboten: Teja führt den letzten
Heldenkampf seines Volkes heldenmüthig durch und fällt, das ist im Grunde
Alles, was wir von ihm wissen. Bei Dahn erscheint er als eine düstere
Gestalt, in frühester Jugend unselig, da er seine Geliebte unwissentlich ge-
tödtet, ein entschiedener Pessimist -- nur die blinde, eiserne Nothwendigkeit


sie zuletzt noch ihr Volk vor dem Verrathe Theodahads. — Sehr selbständig
schildert sodann Decbr Persönlichkeit und Charakter des Vitiges, der Belisar
erliegt. Wir wissen wenig von ihm, bei Decbr wird er zu einem lebendigen
Menschen: ein tapfrer Krieger, schlicht gerade, unfähig zur List, ohne Ehrgeiz,
auch ohne besondere Begabung, aber voll Entschlossenheit. Er lebt, ehe er
König wird, in glücklichster Ehe mit Rauthgundis. die Dahn frei erfunden,
aber höchst sympathisch dargestellt, auf einem Gute bei Florenz, selbst freilich
meist am Königshofe, wo man von seiner Ehe kaum etwas weiß; nach
Theodahads Entsetzung erhebt ihn die Volksversammlung zum König und
verwickelt ihn damit in einen furchtbaren persönlichen Conflikt. Denn da die
entschiedenen Anhänger des Königshauses der Arnalungen nur Mataswintha,
den letzten Sproß des alten Stammes, die Tochter Amalaswinthas, als Königin
anerkennen wollen, so zwingen ihn, um Spaltung zu verhüten, seine Anhänger,
sein geliebtes Weib zu verstoßen; er thut es, im Innersten gebrochen, aber
in der Brautnacht erklärt er Mataswintha, sie sei seine Königin, nie werde
sie sein Weib, und legt zwischen sich und sie das blanke Schwert. Da erwacht
in dem tödtlich beleidigten Weibe der Haß um so grimmiger, als er nur die
umgewandelte Liebe ist; denn Mataswintha hat, ohne zu wissen, daß er vermählt,
in Vitiges, seitdem sie denken kann.das Ideal eines Mannes verehrt. Unmittelbar
am Ziele ihrer heißen Wünsche zurückgestoßen, verschmäht, kennt sie seitdem kein
anderes Interesse, als Vitiges zu vernichten; als er Rom belagert, verräth sie
jeden seiner Pläne; als er in Ravenna eingeschlossen ist, zündet sie die Getreide
Speicher an und vernichtet so die letzte Hoffnung der Gothen, die Stadt zu
halten. So erlebt sie den Triumph, Vitiges gestürzt und gefangen in den
Händen der Byzantiner zu sehen. Aber schon quält sie die Reue, und als
der byzantinische Prinz Germanus um sie wirbt, da giebt sie sich selbst den
Tod. In Vitiges' Gefängniß aber tritt sein treues Weib Rauthgundis; sie
verschafft ihm die Mittel zur Flucht, sie entkommt mit ihm, doch verfolgt
von den byzantinischen Reitern finden sie beide in den Wellen des Po ihren
Tod. — Das Ganze ist fast vollständig Dahn's Eigenthum; Rauthgundis
hat er ganz erfunden ; von Mataswintha ist nur bekannt, daß sie, mit Vitiges.
aber gegen ihren Willen, vermählt, in der That verrätherisch handelte und
dann, nach seinem Sturze wirklich das Weib des Germanus wurde. Ab¬
weichend von der Wirklichkeit wird auch das Ende des Vitiges erzählt.

Auch bei der Schilderung Teja's, des letzten Königs der Gothen, hat
die historische Ueberlieferung Dahn wenig geboten: Teja führt den letzten
Heldenkampf seines Volkes heldenmüthig durch und fällt, das ist im Grunde
Alles, was wir von ihm wissen. Bei Dahn erscheint er als eine düstere
Gestalt, in frühester Jugend unselig, da er seine Geliebte unwissentlich ge-
tödtet, ein entschiedener Pessimist — nur die blinde, eiserne Nothwendigkeit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/128>, abgerufen am 27.09.2024.