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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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er den Kranz wieder. Auf diese Weise bildeten diese Lieder eine fortlaufende
Kette und das junge Volk konnte ihrer nicht müde werden.

Mitunter ging das Kranzstngen direct in den Tanz über. Große Vor¬
bereitungen waren hierzu nicht nöthig. -- Geige, Leier, Pfeife, Trommel oder
Tambourin fanden sich bald, doch ein gesungenes Lied that ganz dieselben
Dienste. Vortänzer und Vortänzerin begannen und die ihnen nachfolgenden
Paare wiederholten den Refrain des Liedes. Arm in Arm geschlungen, be¬
wegten sich dann ganze Reihen, nach dem Takte der Melodie, die Straßen
herab und hinauf, schlangen sich um die Brunnen und bildeten auf den
Plätzen tanzende, jubelnde Kreise.

Sowohl das Kranzsingen wie diese Tänze sind in ihrer Eigenthümlichkeit
längst aus dem Volke verschwunden und nur in Schweden hat sich noch ein
Rest hiervon bis auf unsere Tage erhalten. In dem mehr oder minder
großen Kreise der Tanzenden steht ein junger Mann oder ein Mädchen und
windet einen Blumenkranz. Die Tanzenden singen:


"Das Mägdlein steht hier mitten im Tanz
Und pflückt sich Nosen wunderfein.
Es windet d'raus den schönsten Kranz
Wohl für den Herzgeliebten sein".

Das Mädchen setzt darauf einem Burschen den Kranz auf und die
andern singen:


"Komm' du mein Geliebter her
Den ich mir hier ausersah
Willst du dies und wohl noch mehr
Reich die Hand und sprich ein Ja."

Das Paar tanzt in dem Kreise herum und das Spiel beginnt von
Neuem. --

Als die Entsittlichung im Mittelalter immer mehr und mehr zunahm,
überwucherte sie leider auch diese einfachen, bis dahin nur harmlosen Volks¬
spiele, wie man sie in ihrer Ursprünglichkeit doch nur nennen konnte. Aus
dem Kranzliede wurde ein mit den unsittlichsten Zweideutigkeiten angehäufter
wüster Gesang und die Tänze verletzten in ihrer rohen Weise den Anstand
dergestalt, daß die Behörden dagegen einschreiten mußten. Eine tief einge¬
wurzelte Volksseele ist aber sehr schwer auszurotten. So war es auch hier:
Kanzel, Gesetz und Reichstagsbeschlüsse konnten wenig dagegen thun. Die
Alten drückten nur zu gern ein Auge zu, ihrer eignen Jugend dabei gedenkend
und trotz aller Verbote erhielten sich diese Vergnügungen fast bis in die
Neuzeit hinein. Was aber der Kraft des Gesetzes unmöglich wurde zu zer-



') Weinhold, die deutschen Frauen im Mittelalter S. 381.

er den Kranz wieder. Auf diese Weise bildeten diese Lieder eine fortlaufende
Kette und das junge Volk konnte ihrer nicht müde werden.

Mitunter ging das Kranzstngen direct in den Tanz über. Große Vor¬
bereitungen waren hierzu nicht nöthig. — Geige, Leier, Pfeife, Trommel oder
Tambourin fanden sich bald, doch ein gesungenes Lied that ganz dieselben
Dienste. Vortänzer und Vortänzerin begannen und die ihnen nachfolgenden
Paare wiederholten den Refrain des Liedes. Arm in Arm geschlungen, be¬
wegten sich dann ganze Reihen, nach dem Takte der Melodie, die Straßen
herab und hinauf, schlangen sich um die Brunnen und bildeten auf den
Plätzen tanzende, jubelnde Kreise.

Sowohl das Kranzsingen wie diese Tänze sind in ihrer Eigenthümlichkeit
längst aus dem Volke verschwunden und nur in Schweden hat sich noch ein
Rest hiervon bis auf unsere Tage erhalten. In dem mehr oder minder
großen Kreise der Tanzenden steht ein junger Mann oder ein Mädchen und
windet einen Blumenkranz. Die Tanzenden singen:


„Das Mägdlein steht hier mitten im Tanz
Und pflückt sich Nosen wunderfein.
Es windet d'raus den schönsten Kranz
Wohl für den Herzgeliebten sein".

Das Mädchen setzt darauf einem Burschen den Kranz auf und die
andern singen:


„Komm' du mein Geliebter her
Den ich mir hier ausersah
Willst du dies und wohl noch mehr
Reich die Hand und sprich ein Ja."

Das Paar tanzt in dem Kreise herum und das Spiel beginnt von
Neuem. —

Als die Entsittlichung im Mittelalter immer mehr und mehr zunahm,
überwucherte sie leider auch diese einfachen, bis dahin nur harmlosen Volks¬
spiele, wie man sie in ihrer Ursprünglichkeit doch nur nennen konnte. Aus
dem Kranzliede wurde ein mit den unsittlichsten Zweideutigkeiten angehäufter
wüster Gesang und die Tänze verletzten in ihrer rohen Weise den Anstand
dergestalt, daß die Behörden dagegen einschreiten mußten. Eine tief einge¬
wurzelte Volksseele ist aber sehr schwer auszurotten. So war es auch hier:
Kanzel, Gesetz und Reichstagsbeschlüsse konnten wenig dagegen thun. Die
Alten drückten nur zu gern ein Auge zu, ihrer eignen Jugend dabei gedenkend
und trotz aller Verbote erhielten sich diese Vergnügungen fast bis in die
Neuzeit hinein. Was aber der Kraft des Gesetzes unmöglich wurde zu zer-



') Weinhold, die deutschen Frauen im Mittelalter S. 381.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/118>, abgerufen am 27.09.2024.