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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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sorgt, daß man in der Richtung auf Riesenbauten oder auf den Pyramiden-
bau verfallen könnte, daß ein gigantisch schaffender Maler nächstens ein Bild
auf einem Quadrat-Kilometer Leinwand schaffen könnte, zu dessen müheloser
und doch eingehender Betrachtung ein kleiner Schienenweg mit Rollstühlen
längs des Bildes angelegt werden müßte, und so kommt er weiterhin auf
den in Aussicht stehenden Bildhauer, mit der Bemerkung: die Überschreitung
eines gewissen Maßes hat für jeden etwas Bedrückendes, Beängstigendes.

Der krankhafte Größentrieb muß allerdings von jeher mit einem an dem
Associationswesen sich nährenden Größenwahn zusammengehangen haben.
Die tiefer liegende Ursache dieser Krankheit liegt aber wohl darin, daß der
menschlichen Denkweise bei diesem Hange der Sinn für die innere Menschen¬
art, für die schöne, in ihrer Idealität erfaßte, auf religiösem Urgründe be¬
ruhende Menschlichkeit im Zuge der äußerlichen Erscheinungssucht immer
mehr abhanden kommt. Wenn wir nun hier den Satz aufstellen: es gibt
eine wunderschöne Landschaft, innere Welt genannt, es gibt ein wunder¬
herrliches Dasein, inneres Leben genannt, es gibt einen innersten Kern des
Daseins, mit einem Dichterworte ungefähr umrissen: "zierlich Denken
und süß Erinnern ist das Leben im tiefsten Innern," so könnte man wohl
fragen: was weiß Er, der mittelalterliche Hochmeister, von innerem Menschen¬
verhältnisse und was wissen diese und jene von dieser inneren Welt, von
diesem inneren Leben? Nach der entgegengesetzten Seite hin wird wohl
die Quelle des Größenwahns liegen. Der hypochondrische Amyntor hat
uns manche seiner Erzeugnisse schon genannt. Wir könnten wohl hinzusetzen:
was soll eine Glocke, welche der Zug von 30 bis 40 Menschen nicht einmal
im Schwung bringen kann? Die Ehrfurcht vor dem Namen, den man ihr
(im wohlgemeinten Enthusiasmus) gegeben hat und die Anerkennung der
schönen Absicht, welche sie gestiftet, verhindert uns, weiter von ihr zu reden.
Noch weniger verweilen wir bei dem Weiterbau des Doms, dessen Aufnahme
auf hochherzige Voraussetzung des religiösen Friedens und Wohlvernehmens
gegründet war, wie sie jetzt leider zu einer sehr ernsten Frage an die Zukunft
geworden ist. Unter den Liedern der Dichterin Annette von Droste-Hülshof
findet sich eins, welches gegen die Verwandlung einer geweihten Culturstätte
in ein ästhetisches Nationaldenkmal entschieden Verwahrung einlegt. Wir
lassen diesen Protest hier auf sich beruhn. Zuletzt aber tritt ein Unternehmen
ein, welches für sich allein zum Beleg für unsre Ueberschrift dienen könnte: eine
Torhalle als Musikpalast für die ganze deutsche singende und klingende
Nation, zugleich als Monument des Stifters! Wem möchte dabei das verein¬
samte Grab von Mozart, das schlichte Klavier von Beethoven nicht ein¬
fallen. Uebrigens ist doch auch eine patriotische Gefahr dabei nicht zu ver¬
schweigen. Man sagt, es komme mitunter vor, daß evangelische Prediger


sorgt, daß man in der Richtung auf Riesenbauten oder auf den Pyramiden-
bau verfallen könnte, daß ein gigantisch schaffender Maler nächstens ein Bild
auf einem Quadrat-Kilometer Leinwand schaffen könnte, zu dessen müheloser
und doch eingehender Betrachtung ein kleiner Schienenweg mit Rollstühlen
längs des Bildes angelegt werden müßte, und so kommt er weiterhin auf
den in Aussicht stehenden Bildhauer, mit der Bemerkung: die Überschreitung
eines gewissen Maßes hat für jeden etwas Bedrückendes, Beängstigendes.

Der krankhafte Größentrieb muß allerdings von jeher mit einem an dem
Associationswesen sich nährenden Größenwahn zusammengehangen haben.
Die tiefer liegende Ursache dieser Krankheit liegt aber wohl darin, daß der
menschlichen Denkweise bei diesem Hange der Sinn für die innere Menschen¬
art, für die schöne, in ihrer Idealität erfaßte, auf religiösem Urgründe be¬
ruhende Menschlichkeit im Zuge der äußerlichen Erscheinungssucht immer
mehr abhanden kommt. Wenn wir nun hier den Satz aufstellen: es gibt
eine wunderschöne Landschaft, innere Welt genannt, es gibt ein wunder¬
herrliches Dasein, inneres Leben genannt, es gibt einen innersten Kern des
Daseins, mit einem Dichterworte ungefähr umrissen: „zierlich Denken
und süß Erinnern ist das Leben im tiefsten Innern," so könnte man wohl
fragen: was weiß Er, der mittelalterliche Hochmeister, von innerem Menschen¬
verhältnisse und was wissen diese und jene von dieser inneren Welt, von
diesem inneren Leben? Nach der entgegengesetzten Seite hin wird wohl
die Quelle des Größenwahns liegen. Der hypochondrische Amyntor hat
uns manche seiner Erzeugnisse schon genannt. Wir könnten wohl hinzusetzen:
was soll eine Glocke, welche der Zug von 30 bis 40 Menschen nicht einmal
im Schwung bringen kann? Die Ehrfurcht vor dem Namen, den man ihr
(im wohlgemeinten Enthusiasmus) gegeben hat und die Anerkennung der
schönen Absicht, welche sie gestiftet, verhindert uns, weiter von ihr zu reden.
Noch weniger verweilen wir bei dem Weiterbau des Doms, dessen Aufnahme
auf hochherzige Voraussetzung des religiösen Friedens und Wohlvernehmens
gegründet war, wie sie jetzt leider zu einer sehr ernsten Frage an die Zukunft
geworden ist. Unter den Liedern der Dichterin Annette von Droste-Hülshof
findet sich eins, welches gegen die Verwandlung einer geweihten Culturstätte
in ein ästhetisches Nationaldenkmal entschieden Verwahrung einlegt. Wir
lassen diesen Protest hier auf sich beruhn. Zuletzt aber tritt ein Unternehmen
ein, welches für sich allein zum Beleg für unsre Ueberschrift dienen könnte: eine
Torhalle als Musikpalast für die ganze deutsche singende und klingende
Nation, zugleich als Monument des Stifters! Wem möchte dabei das verein¬
samte Grab von Mozart, das schlichte Klavier von Beethoven nicht ein¬
fallen. Uebrigens ist doch auch eine patriotische Gefahr dabei nicht zu ver¬
schweigen. Man sagt, es komme mitunter vor, daß evangelische Prediger


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/85>, abgerufen am 27.09.2024.