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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Katholiken, theils Angehörige der eben genannten Kirche, die Bosnier
und Herzegowiner endlich gehören in starker Zahl gleichfalls dieser Glau¬
bensgemeinschaft an; nur etwa 200,000 von ihnen sind katholisch, und circa
480.000 sind Muhamedaner, indem beim Eindringen der Türken in das
Land der dortige serbische Adel, um seine Privilegien und seine Güter zu
retten, zum Islam übertrat, und ein Theil seiner Unterthanen dabei folgte.

Bei verschiedener Regierung und verschiedenem Cultus fühlt sich der
südslavische Stamm, soweit er zum Bewußtsein erwacht ist, jetzt als nationale
Einheit. Aus dem Zusammenhange mit den übrigen Slaven sind sie durch
fremde Nachbarn gelöst. Im Nordwesten gehen sie allmählich in ein anderes
slavisches Volk, die in Jllyrien. Kärnthen und Krain wohnenden Slovenen
oder Winden über. Im Norden begrenzt den Serben der Ungar und der
Deutsche, oft in engem Durcheinanderwohnen. Im Osten schiebt sich zwischen
sie und die russischen Vettern das Volk der Rumänen, ein Mischgeschlecht aus
Slaven und altrömischen Colonisten, welches außer der jetzt vereinigten
Moldau und Walachei auch einen großen Theil Siebenbürgens bewohnt.
Im Westen empfindet Montenegro und im Osten Serbien das Bedürfniß,
sein Gebiet über das stammverwandte Bosnien auszudehnen, und zu diesem
Zwecke wird jeder hier ausbrechende Aufstand der christlichen Bevölkerung mehr
oder minder offen von dorther unterstützt.

Bosnien ist ein weiter Landstrich, geformt aus mäßig hohen Bergzügen
und breiten Thälern, dessen Flüsse dem Stromgebiete der Donau angehören.
Es ist fruchtbar in den Niederungen, aber wenig angebaut. Still, abge¬
schlossen von der übrigen Welt liegt die waldreiche Landschaft, wenn nicht
einer der Aufstände tobt, die in den letzten dreißig Jahren der Pforte so viel
Verdruß bereiteten, wie im Schlummer. Von Straßen, wie sie in civilisirten
Ländern bestehen, ist nirgends die Rede, von einem regen, gewerblichen Leben, von
lebhaftem Handel, Ausfuhr nach den Nachbargegenden u. tgi. ebenso wenig. Nur
starke Viehtransporte gehen auf den schlechten Wegen des Gebirges nach der dalma¬
tinischen Seeküste, und nach Norden werden viel getrocknete Zwetschen ausgeführt.

Es ist ein sonderbares, verkümmertes Geschlecht, welches in dem einsamen
Lande dahinvegetirt. Seit die Enkel des Serbenkönigs Stephan Duschan zu
Ende des vierzehnten Jahrhunderts den Türken erlagen und Bosnien Provinz
des Reiches der Osmanli wurde, hat sich dort türkisches Wesen in eigen¬
thümlicher Weise mit serbischen vermischt. Der zahlreiche Adel des Landes
ging allmählich zur Religion der Sieger über, aber ohne seine Nationalität,
deren Erinnerungen in Sage und Lied und deren Sprache aufzugeben. Die
Anhänger der katholischen Bogumilenseete folgten diesem Beispiel, wogegen
die der griechisch-orthodoxen Kirche Angehörigen dem alten Glauben fast ohne
Ausnahme treu blieben. Wie das Volk, so erstarrte auch der Adel unter der


Katholiken, theils Angehörige der eben genannten Kirche, die Bosnier
und Herzegowiner endlich gehören in starker Zahl gleichfalls dieser Glau¬
bensgemeinschaft an; nur etwa 200,000 von ihnen sind katholisch, und circa
480.000 sind Muhamedaner, indem beim Eindringen der Türken in das
Land der dortige serbische Adel, um seine Privilegien und seine Güter zu
retten, zum Islam übertrat, und ein Theil seiner Unterthanen dabei folgte.

Bei verschiedener Regierung und verschiedenem Cultus fühlt sich der
südslavische Stamm, soweit er zum Bewußtsein erwacht ist, jetzt als nationale
Einheit. Aus dem Zusammenhange mit den übrigen Slaven sind sie durch
fremde Nachbarn gelöst. Im Nordwesten gehen sie allmählich in ein anderes
slavisches Volk, die in Jllyrien. Kärnthen und Krain wohnenden Slovenen
oder Winden über. Im Norden begrenzt den Serben der Ungar und der
Deutsche, oft in engem Durcheinanderwohnen. Im Osten schiebt sich zwischen
sie und die russischen Vettern das Volk der Rumänen, ein Mischgeschlecht aus
Slaven und altrömischen Colonisten, welches außer der jetzt vereinigten
Moldau und Walachei auch einen großen Theil Siebenbürgens bewohnt.
Im Westen empfindet Montenegro und im Osten Serbien das Bedürfniß,
sein Gebiet über das stammverwandte Bosnien auszudehnen, und zu diesem
Zwecke wird jeder hier ausbrechende Aufstand der christlichen Bevölkerung mehr
oder minder offen von dorther unterstützt.

Bosnien ist ein weiter Landstrich, geformt aus mäßig hohen Bergzügen
und breiten Thälern, dessen Flüsse dem Stromgebiete der Donau angehören.
Es ist fruchtbar in den Niederungen, aber wenig angebaut. Still, abge¬
schlossen von der übrigen Welt liegt die waldreiche Landschaft, wenn nicht
einer der Aufstände tobt, die in den letzten dreißig Jahren der Pforte so viel
Verdruß bereiteten, wie im Schlummer. Von Straßen, wie sie in civilisirten
Ländern bestehen, ist nirgends die Rede, von einem regen, gewerblichen Leben, von
lebhaftem Handel, Ausfuhr nach den Nachbargegenden u. tgi. ebenso wenig. Nur
starke Viehtransporte gehen auf den schlechten Wegen des Gebirges nach der dalma¬
tinischen Seeküste, und nach Norden werden viel getrocknete Zwetschen ausgeführt.

Es ist ein sonderbares, verkümmertes Geschlecht, welches in dem einsamen
Lande dahinvegetirt. Seit die Enkel des Serbenkönigs Stephan Duschan zu
Ende des vierzehnten Jahrhunderts den Türken erlagen und Bosnien Provinz
des Reiches der Osmanli wurde, hat sich dort türkisches Wesen in eigen¬
thümlicher Weise mit serbischen vermischt. Der zahlreiche Adel des Landes
ging allmählich zur Religion der Sieger über, aber ohne seine Nationalität,
deren Erinnerungen in Sage und Lied und deren Sprache aufzugeben. Die
Anhänger der katholischen Bogumilenseete folgten diesem Beispiel, wogegen
die der griechisch-orthodoxen Kirche Angehörigen dem alten Glauben fast ohne
Ausnahme treu blieben. Wie das Volk, so erstarrte auch der Adel unter der


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[0067] Katholiken, theils Angehörige der eben genannten Kirche, die Bosnier und Herzegowiner endlich gehören in starker Zahl gleichfalls dieser Glau¬ bensgemeinschaft an; nur etwa 200,000 von ihnen sind katholisch, und circa 480.000 sind Muhamedaner, indem beim Eindringen der Türken in das Land der dortige serbische Adel, um seine Privilegien und seine Güter zu retten, zum Islam übertrat, und ein Theil seiner Unterthanen dabei folgte. Bei verschiedener Regierung und verschiedenem Cultus fühlt sich der südslavische Stamm, soweit er zum Bewußtsein erwacht ist, jetzt als nationale Einheit. Aus dem Zusammenhange mit den übrigen Slaven sind sie durch fremde Nachbarn gelöst. Im Nordwesten gehen sie allmählich in ein anderes slavisches Volk, die in Jllyrien. Kärnthen und Krain wohnenden Slovenen oder Winden über. Im Norden begrenzt den Serben der Ungar und der Deutsche, oft in engem Durcheinanderwohnen. Im Osten schiebt sich zwischen sie und die russischen Vettern das Volk der Rumänen, ein Mischgeschlecht aus Slaven und altrömischen Colonisten, welches außer der jetzt vereinigten Moldau und Walachei auch einen großen Theil Siebenbürgens bewohnt. Im Westen empfindet Montenegro und im Osten Serbien das Bedürfniß, sein Gebiet über das stammverwandte Bosnien auszudehnen, und zu diesem Zwecke wird jeder hier ausbrechende Aufstand der christlichen Bevölkerung mehr oder minder offen von dorther unterstützt. Bosnien ist ein weiter Landstrich, geformt aus mäßig hohen Bergzügen und breiten Thälern, dessen Flüsse dem Stromgebiete der Donau angehören. Es ist fruchtbar in den Niederungen, aber wenig angebaut. Still, abge¬ schlossen von der übrigen Welt liegt die waldreiche Landschaft, wenn nicht einer der Aufstände tobt, die in den letzten dreißig Jahren der Pforte so viel Verdruß bereiteten, wie im Schlummer. Von Straßen, wie sie in civilisirten Ländern bestehen, ist nirgends die Rede, von einem regen, gewerblichen Leben, von lebhaftem Handel, Ausfuhr nach den Nachbargegenden u. tgi. ebenso wenig. Nur starke Viehtransporte gehen auf den schlechten Wegen des Gebirges nach der dalma¬ tinischen Seeküste, und nach Norden werden viel getrocknete Zwetschen ausgeführt. Es ist ein sonderbares, verkümmertes Geschlecht, welches in dem einsamen Lande dahinvegetirt. Seit die Enkel des Serbenkönigs Stephan Duschan zu Ende des vierzehnten Jahrhunderts den Türken erlagen und Bosnien Provinz des Reiches der Osmanli wurde, hat sich dort türkisches Wesen in eigen¬ thümlicher Weise mit serbischen vermischt. Der zahlreiche Adel des Landes ging allmählich zur Religion der Sieger über, aber ohne seine Nationalität, deren Erinnerungen in Sage und Lied und deren Sprache aufzugeben. Die Anhänger der katholischen Bogumilenseete folgten diesem Beispiel, wogegen die der griechisch-orthodoxen Kirche Angehörigen dem alten Glauben fast ohne Ausnahme treu blieben. Wie das Volk, so erstarrte auch der Adel unter der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/67>, abgerufen am 27.09.2024.