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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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gesetzt werde, die Freiheiten der Unterthanen zu vernichten." So offen und
ehrlich standen sich Lord North und die Colonisten gegenüber.

Shelburne blieb Handelsminister, aber an seiner Statt erhielt das
Departement der Colonien Lord Hillsborough und alle Minister waren für
die strenge Aufrechthaltung der englischen Autorität über Amerika. Hillsborough
forderte die Vernichtung des Freibriefes von Connecticut, weil er zu sehr die
Unabhängigkeit der Colonie begünstige, und während er noch verhältni߬
mäßig milde sprach, agitirte er gegen die Vorrechte der Colonisten. Die
Generalversammlung von Massachusetts verwahrte sich gegen jede Vergewalti¬
gung, Samuel Adams entwarf ihr Programm und theilte es in einem Cirkulare
allen Coloniallegislaturen mit, bei denen es begeisterte Aufnahme erlangte
(17K8). Zugleich gingen Vorstellungen an Georg III. und die Minister mit
Copien des Cirkulars ab -- somit war der Vorwurf heimlichen Widerstandes
oder heimlicher Conspiration vermieden. Die englischen Zollbeamten in
Boston und Gouverneur Bernard verlangten jetzt Regimenter, aber Bernard
belog die Bostoner, seine Schreiben verträten ihr Interesse. In England
funden diese Briefe die gereizteste Stimmung vor; hier begehrte man die Ver¬
nichtung des Beschlüsse von Massachusetts und die dauernde Verlegung eines
Regiments nach Boston, wohin einige Schiffe abgingen. Dies war der erste
Akt offener bewaffneter Feindseligkeit. Am 10. Juni folgte ein zweiter. John
Hancock, ein patriotischer Bostoner, wurde als "Zolldefraudant" seiner
Schaluppe Liberty beraubt und diese unter die Kanonen des Kriegsschiffs
Romney geschleppt -- hierüber erbost, warf der Pöbel Steine nach den Zoll¬
beamten und verbrannte einen englischen Nachen; bei der Vernehmung wurde
er dann freigesprochen. Bernard und die entflohenen Zollbeamten bauschten
nun den Vorfall aus, machten in ihren Berichten daraus eine Art sieilischer
Vesper und forderten von neuem Regimenter. Als die Legislatur von Massa¬
chusetts mit 92 gegen 17 Stimmen die Widerrufung ihrer Beschlüsse ab¬
lehnte, wurde sie am 1. Juli von Bernard aufgelöst, was natürlich die Ver¬
bitterung schärfte. Noch festlicher als im vergangenen Jahre beging man
den 14. August, allerorten ertönten Freiheitslieder. Auch andererwärts waren
nämlich Legislaturen, weil sie den Beschlüssen von Massachusetts beigetreten
waren und dabei verharrten, aufgelöst worden. Die daraus resultirende Ver¬
stimmung förderte die französische Regierung aus Leibeskräften, nicht ahnend,
was die Befreiung Amerikas den Bourbonen bereiten sollte; übrigens war
sie auch voll Groll über die Unterstützung, die England Pasquale Paoli in
Korsika lieh. Choiseul's Herz schlug höher, als er die Nöthe Englands be¬
merkte, und der französische Gesandte in London, Graf du ClMelet, der
glaubte, England könne nie die Colonien durch Truppen zum Gehorsam
zwingen, schrieb ihm: "Eine große Menge von Zufällen kann die Revolution


gesetzt werde, die Freiheiten der Unterthanen zu vernichten." So offen und
ehrlich standen sich Lord North und die Colonisten gegenüber.

Shelburne blieb Handelsminister, aber an seiner Statt erhielt das
Departement der Colonien Lord Hillsborough und alle Minister waren für
die strenge Aufrechthaltung der englischen Autorität über Amerika. Hillsborough
forderte die Vernichtung des Freibriefes von Connecticut, weil er zu sehr die
Unabhängigkeit der Colonie begünstige, und während er noch verhältni߬
mäßig milde sprach, agitirte er gegen die Vorrechte der Colonisten. Die
Generalversammlung von Massachusetts verwahrte sich gegen jede Vergewalti¬
gung, Samuel Adams entwarf ihr Programm und theilte es in einem Cirkulare
allen Coloniallegislaturen mit, bei denen es begeisterte Aufnahme erlangte
(17K8). Zugleich gingen Vorstellungen an Georg III. und die Minister mit
Copien des Cirkulars ab — somit war der Vorwurf heimlichen Widerstandes
oder heimlicher Conspiration vermieden. Die englischen Zollbeamten in
Boston und Gouverneur Bernard verlangten jetzt Regimenter, aber Bernard
belog die Bostoner, seine Schreiben verträten ihr Interesse. In England
funden diese Briefe die gereizteste Stimmung vor; hier begehrte man die Ver¬
nichtung des Beschlüsse von Massachusetts und die dauernde Verlegung eines
Regiments nach Boston, wohin einige Schiffe abgingen. Dies war der erste
Akt offener bewaffneter Feindseligkeit. Am 10. Juni folgte ein zweiter. John
Hancock, ein patriotischer Bostoner, wurde als „Zolldefraudant" seiner
Schaluppe Liberty beraubt und diese unter die Kanonen des Kriegsschiffs
Romney geschleppt — hierüber erbost, warf der Pöbel Steine nach den Zoll¬
beamten und verbrannte einen englischen Nachen; bei der Vernehmung wurde
er dann freigesprochen. Bernard und die entflohenen Zollbeamten bauschten
nun den Vorfall aus, machten in ihren Berichten daraus eine Art sieilischer
Vesper und forderten von neuem Regimenter. Als die Legislatur von Massa¬
chusetts mit 92 gegen 17 Stimmen die Widerrufung ihrer Beschlüsse ab¬
lehnte, wurde sie am 1. Juli von Bernard aufgelöst, was natürlich die Ver¬
bitterung schärfte. Noch festlicher als im vergangenen Jahre beging man
den 14. August, allerorten ertönten Freiheitslieder. Auch andererwärts waren
nämlich Legislaturen, weil sie den Beschlüssen von Massachusetts beigetreten
waren und dabei verharrten, aufgelöst worden. Die daraus resultirende Ver¬
stimmung förderte die französische Regierung aus Leibeskräften, nicht ahnend,
was die Befreiung Amerikas den Bourbonen bereiten sollte; übrigens war
sie auch voll Groll über die Unterstützung, die England Pasquale Paoli in
Korsika lieh. Choiseul's Herz schlug höher, als er die Nöthe Englands be¬
merkte, und der französische Gesandte in London, Graf du ClMelet, der
glaubte, England könne nie die Colonien durch Truppen zum Gehorsam
zwingen, schrieb ihm: „Eine große Menge von Zufällen kann die Revolution


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[0064] gesetzt werde, die Freiheiten der Unterthanen zu vernichten." So offen und ehrlich standen sich Lord North und die Colonisten gegenüber. Shelburne blieb Handelsminister, aber an seiner Statt erhielt das Departement der Colonien Lord Hillsborough und alle Minister waren für die strenge Aufrechthaltung der englischen Autorität über Amerika. Hillsborough forderte die Vernichtung des Freibriefes von Connecticut, weil er zu sehr die Unabhängigkeit der Colonie begünstige, und während er noch verhältni߬ mäßig milde sprach, agitirte er gegen die Vorrechte der Colonisten. Die Generalversammlung von Massachusetts verwahrte sich gegen jede Vergewalti¬ gung, Samuel Adams entwarf ihr Programm und theilte es in einem Cirkulare allen Coloniallegislaturen mit, bei denen es begeisterte Aufnahme erlangte (17K8). Zugleich gingen Vorstellungen an Georg III. und die Minister mit Copien des Cirkulars ab — somit war der Vorwurf heimlichen Widerstandes oder heimlicher Conspiration vermieden. Die englischen Zollbeamten in Boston und Gouverneur Bernard verlangten jetzt Regimenter, aber Bernard belog die Bostoner, seine Schreiben verträten ihr Interesse. In England funden diese Briefe die gereizteste Stimmung vor; hier begehrte man die Ver¬ nichtung des Beschlüsse von Massachusetts und die dauernde Verlegung eines Regiments nach Boston, wohin einige Schiffe abgingen. Dies war der erste Akt offener bewaffneter Feindseligkeit. Am 10. Juni folgte ein zweiter. John Hancock, ein patriotischer Bostoner, wurde als „Zolldefraudant" seiner Schaluppe Liberty beraubt und diese unter die Kanonen des Kriegsschiffs Romney geschleppt — hierüber erbost, warf der Pöbel Steine nach den Zoll¬ beamten und verbrannte einen englischen Nachen; bei der Vernehmung wurde er dann freigesprochen. Bernard und die entflohenen Zollbeamten bauschten nun den Vorfall aus, machten in ihren Berichten daraus eine Art sieilischer Vesper und forderten von neuem Regimenter. Als die Legislatur von Massa¬ chusetts mit 92 gegen 17 Stimmen die Widerrufung ihrer Beschlüsse ab¬ lehnte, wurde sie am 1. Juli von Bernard aufgelöst, was natürlich die Ver¬ bitterung schärfte. Noch festlicher als im vergangenen Jahre beging man den 14. August, allerorten ertönten Freiheitslieder. Auch andererwärts waren nämlich Legislaturen, weil sie den Beschlüssen von Massachusetts beigetreten waren und dabei verharrten, aufgelöst worden. Die daraus resultirende Ver¬ stimmung förderte die französische Regierung aus Leibeskräften, nicht ahnend, was die Befreiung Amerikas den Bourbonen bereiten sollte; übrigens war sie auch voll Groll über die Unterstützung, die England Pasquale Paoli in Korsika lieh. Choiseul's Herz schlug höher, als er die Nöthe Englands be¬ merkte, und der französische Gesandte in London, Graf du ClMelet, der glaubte, England könne nie die Colonien durch Truppen zum Gehorsam zwingen, schrieb ihm: „Eine große Menge von Zufällen kann die Revolution

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/64>, abgerufen am 27.09.2024.