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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Massachusetts. Freilich mißbilligten die bessern Stände in Boston solche
Auftritte, die auch anderwärts vorkamen, in Providence und Rhode-Island
wie in New-York, in New-Jersey wie in Maryland und Connecticut; überall
regte sich der gleiche Haß gegen die Stempelakte und gleicher Widerstand; die
Bilder der Stempelbeamten kamen an den Galgen oder aus den Scheiter¬
haufen, die Beamten mußten restgniren und "Freiheit und Eigenthum" an¬
rufen , das Stempelpapier wurde verbrannt oder nach England eingepackt,
das Stempelgesetz und seine Eltern verfielen der Feder der Pamphletisten
und Carrikaturenzeichner, Besondere Unterstützung fand diese Opposition bei
den calvinistischen Geistlichen; in ihren Predigten kehrte jetzt immer wieder
das Lob und der Segen bürgerlicher Freiheit. So ließ Stephen Johnson von
der Kanzel das Wort ertönen: "Derartige Rathschläge endeten in Israel mit
einer Empörung und mit einem niemals wieder zu heilenden Bruche. Daß
diese Angelegenheit ähnlich ende, ist der Vorsehung Gottes nicht unmöglich
und für die Briten auch nicht unwahrscheinlicher als die Stempeltaxe vor
fünf Jahren für die Amerikaner war." Wenn dann die bischöfliche Geist¬
lichkeit, der Krone verbündet, vom Gehorsame gegen die von Gott gesetzte
Obrigkeit und vom Könige als dem gesalbten Haupte des Herrn sprach, so
entgegneten die Söhne der Freiheit: "Wie? das Volk ist das gesalbte Haupt
des Herrn, wir Alle sind von Gottes Gnaden."

Während nun die Presse in Amerika das Besteuerungsrecht des Parla¬
mentes über die Colonien und seine legislative Autorität in ihnen angriff
und leugnete, während seit 21. Sept. "der konstitutionelle Courant" mit dem
Motto "Einigkeit oder Tod" ausgegeben wurde, wählten die Colonien zum
ersten allgemeinen amerikanischen Congresse, und zwar stellten sich alle, ob
groß oder klein, dünn oder stark bevölkert, einander gleich und stimmten als
Colonie ab, jede an ihrer Eigenartigkeit festhaltend. Am 7. Okt. traten in
New-York zusammen Repräsentanten von Massachusetts, Rhode-Jsland,
Pennsylvanien, Connecticut, Maryland, Südcarolina, New-Jersey, New-York
und Delaware, das nicht vertretene Nerv - Hampshire erklärte sich im voraus
mit den zu fassenden Beschlüssen einverstanden und Georgia erbat sich
Abschrift der Verhandlungen. Bald zeigte sich eine einmüthige Auf¬
fassung der Situation. Anfangs leiteten die Redner die Colonialfreiheit aus
den Freibriefen der Könige her, dann aber verwies diese Herkunft als un¬
würdig der ungestüme hochsinnige Christopher Gadsden aus Südcarolina,
und man sprach jetzt nicht mehr von königlicher Gnade; gleichzeitig beschloß
man Alles gemeinsam zu vollführen, Nichts separat zu besprechen. "Es darf
auf dem Continente keinen Neu - Engländer und keinen New-Yorker geben,
sondern nur Amerikaner --" ein Gedanke, den Frankreich in seiner Nacht
des 4. August wiederholte.

Die Forderungen des Congresses betonen fortwährend das gleiche Recht der


Massachusetts. Freilich mißbilligten die bessern Stände in Boston solche
Auftritte, die auch anderwärts vorkamen, in Providence und Rhode-Island
wie in New-York, in New-Jersey wie in Maryland und Connecticut; überall
regte sich der gleiche Haß gegen die Stempelakte und gleicher Widerstand; die
Bilder der Stempelbeamten kamen an den Galgen oder aus den Scheiter¬
haufen, die Beamten mußten restgniren und „Freiheit und Eigenthum" an¬
rufen , das Stempelpapier wurde verbrannt oder nach England eingepackt,
das Stempelgesetz und seine Eltern verfielen der Feder der Pamphletisten
und Carrikaturenzeichner, Besondere Unterstützung fand diese Opposition bei
den calvinistischen Geistlichen; in ihren Predigten kehrte jetzt immer wieder
das Lob und der Segen bürgerlicher Freiheit. So ließ Stephen Johnson von
der Kanzel das Wort ertönen: „Derartige Rathschläge endeten in Israel mit
einer Empörung und mit einem niemals wieder zu heilenden Bruche. Daß
diese Angelegenheit ähnlich ende, ist der Vorsehung Gottes nicht unmöglich
und für die Briten auch nicht unwahrscheinlicher als die Stempeltaxe vor
fünf Jahren für die Amerikaner war." Wenn dann die bischöfliche Geist¬
lichkeit, der Krone verbündet, vom Gehorsame gegen die von Gott gesetzte
Obrigkeit und vom Könige als dem gesalbten Haupte des Herrn sprach, so
entgegneten die Söhne der Freiheit: „Wie? das Volk ist das gesalbte Haupt
des Herrn, wir Alle sind von Gottes Gnaden."

Während nun die Presse in Amerika das Besteuerungsrecht des Parla¬
mentes über die Colonien und seine legislative Autorität in ihnen angriff
und leugnete, während seit 21. Sept. „der konstitutionelle Courant" mit dem
Motto „Einigkeit oder Tod" ausgegeben wurde, wählten die Colonien zum
ersten allgemeinen amerikanischen Congresse, und zwar stellten sich alle, ob
groß oder klein, dünn oder stark bevölkert, einander gleich und stimmten als
Colonie ab, jede an ihrer Eigenartigkeit festhaltend. Am 7. Okt. traten in
New-York zusammen Repräsentanten von Massachusetts, Rhode-Jsland,
Pennsylvanien, Connecticut, Maryland, Südcarolina, New-Jersey, New-York
und Delaware, das nicht vertretene Nerv - Hampshire erklärte sich im voraus
mit den zu fassenden Beschlüssen einverstanden und Georgia erbat sich
Abschrift der Verhandlungen. Bald zeigte sich eine einmüthige Auf¬
fassung der Situation. Anfangs leiteten die Redner die Colonialfreiheit aus
den Freibriefen der Könige her, dann aber verwies diese Herkunft als un¬
würdig der ungestüme hochsinnige Christopher Gadsden aus Südcarolina,
und man sprach jetzt nicht mehr von königlicher Gnade; gleichzeitig beschloß
man Alles gemeinsam zu vollführen, Nichts separat zu besprechen. „Es darf
auf dem Continente keinen Neu - Engländer und keinen New-Yorker geben,
sondern nur Amerikaner —" ein Gedanke, den Frankreich in seiner Nacht
des 4. August wiederholte.

Die Forderungen des Congresses betonen fortwährend das gleiche Recht der


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[0058] Massachusetts. Freilich mißbilligten die bessern Stände in Boston solche Auftritte, die auch anderwärts vorkamen, in Providence und Rhode-Island wie in New-York, in New-Jersey wie in Maryland und Connecticut; überall regte sich der gleiche Haß gegen die Stempelakte und gleicher Widerstand; die Bilder der Stempelbeamten kamen an den Galgen oder aus den Scheiter¬ haufen, die Beamten mußten restgniren und „Freiheit und Eigenthum" an¬ rufen , das Stempelpapier wurde verbrannt oder nach England eingepackt, das Stempelgesetz und seine Eltern verfielen der Feder der Pamphletisten und Carrikaturenzeichner, Besondere Unterstützung fand diese Opposition bei den calvinistischen Geistlichen; in ihren Predigten kehrte jetzt immer wieder das Lob und der Segen bürgerlicher Freiheit. So ließ Stephen Johnson von der Kanzel das Wort ertönen: „Derartige Rathschläge endeten in Israel mit einer Empörung und mit einem niemals wieder zu heilenden Bruche. Daß diese Angelegenheit ähnlich ende, ist der Vorsehung Gottes nicht unmöglich und für die Briten auch nicht unwahrscheinlicher als die Stempeltaxe vor fünf Jahren für die Amerikaner war." Wenn dann die bischöfliche Geist¬ lichkeit, der Krone verbündet, vom Gehorsame gegen die von Gott gesetzte Obrigkeit und vom Könige als dem gesalbten Haupte des Herrn sprach, so entgegneten die Söhne der Freiheit: „Wie? das Volk ist das gesalbte Haupt des Herrn, wir Alle sind von Gottes Gnaden." Während nun die Presse in Amerika das Besteuerungsrecht des Parla¬ mentes über die Colonien und seine legislative Autorität in ihnen angriff und leugnete, während seit 21. Sept. „der konstitutionelle Courant" mit dem Motto „Einigkeit oder Tod" ausgegeben wurde, wählten die Colonien zum ersten allgemeinen amerikanischen Congresse, und zwar stellten sich alle, ob groß oder klein, dünn oder stark bevölkert, einander gleich und stimmten als Colonie ab, jede an ihrer Eigenartigkeit festhaltend. Am 7. Okt. traten in New-York zusammen Repräsentanten von Massachusetts, Rhode-Jsland, Pennsylvanien, Connecticut, Maryland, Südcarolina, New-Jersey, New-York und Delaware, das nicht vertretene Nerv - Hampshire erklärte sich im voraus mit den zu fassenden Beschlüssen einverstanden und Georgia erbat sich Abschrift der Verhandlungen. Bald zeigte sich eine einmüthige Auf¬ fassung der Situation. Anfangs leiteten die Redner die Colonialfreiheit aus den Freibriefen der Könige her, dann aber verwies diese Herkunft als un¬ würdig der ungestüme hochsinnige Christopher Gadsden aus Südcarolina, und man sprach jetzt nicht mehr von königlicher Gnade; gleichzeitig beschloß man Alles gemeinsam zu vollführen, Nichts separat zu besprechen. „Es darf auf dem Continente keinen Neu - Engländer und keinen New-Yorker geben, sondern nur Amerikaner —" ein Gedanke, den Frankreich in seiner Nacht des 4. August wiederholte. Die Forderungen des Congresses betonen fortwährend das gleiche Recht der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/58>, abgerufen am 27.09.2024.