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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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scher Besatzung, wie sich von selbst versteht" -- "Diese kleinen Potentaten
von Coburg und Weimar regieren wohl , aber sie haben nichts zu befehlen;
der preußische Adler ist überall angebracht, und unter dem Vorwande des
deutschen Bundes genießen die Regimenter Bismarck's ihr Leben in dieser
schönen Gegend." Es kann durchaus nicht als Entschuldigung gelten, daß
alles dies schon 1870 geschrieben ist; genug, daß es 1876 in einer vom
Verfasser "autorisirten" Uebersetzung in Deutschland gedruckt und dem deut¬
schen Volke geboten wird. Das ist eine Abgeschmacktheit ohne gleichen.
Seine übrigen Plattheiten mag Herr Filippo Dr. Filippi zum Besten geben,
wo er will und so oft er will. Die politische Neugestaltung unseres Vater¬
landes aber lassen wir uns nicht von dem ersten besten hergelaufenen Kunst¬
narren benörgeln. Versucht er es, so klopfen wir ihn auf den Mund und
jagen ihn zum Tempel hinaus. Verstanden?

Die Verlagshandlung hat die "Musikalische Reise" des Herrn Filippo
Dr. Filippi als eine Art Festgabe zu dem epochemachenden Kunstereignis; in
Bayreuth gebracht. Hoffentlich wird sie es verzeihen, wenn unsre Anzeige
desselben im eigentlichen Wortsinne xost echon kommt. Die "Grenzboten"
haben sich aber nun einmal damit begnügt, bei dem großen "Bühnenfestspiel"
aus der Ferne den stillen Beobachter zu spielen, und eine der dabei gemachten
Beobachtungen wenigstens möge bei dieser Gelegenheit noch ausgesprochen
werden. Wir haben in einem früheren Artikel einmal gelegentlich ein hartes
Urtheil gefällt über die wissenschaftliche Werthlosigkeit der meisten unsrer
musikalischen Zeitschriften. Das "Bühnenfestspiel" hat die Richtigkeit dieses
Urtheils glänzend bestätigt. Die wenigen, wirklich ernsten, ehrlichen, sach¬
kundigen Besprechungen, die darüber geschrieben worden sind, haben sich in
die Feuilletons politischer Zeitungen flüchten müssen -- ich meine die von
Ehrlich (Gegenwart), HansM (N. Fr. Presse) und Naumann (National¬
zeitung). In den musikalischen Zeitschriften fast überall die bunteste Ver¬
götterung des "Meisters". Nun, in zwanzig Jahren, -- was sage ich? --
in zehn, in fünf Jahren schon wird keine Menschenseele mehr nach diesem
"Kunstwerk der Zukunft" fragen. Wäre es da nicht rühmlich, wenn jemand
das Gericht, das die Zeit früher oder später darüber halten wird, in einer
gründlichen musikwissenschaftlichen Arbeit schon jetzt anticipirte? In zwei
Jahrzehnten wird es kein Kunststück mehr sein, zu beweisen, daß Wagner's
letzte Schöpfung eine, wenn auch großartige, künstlerische Verirrung war.
Wer aber heute schon an der Hand der Kunstgeschichte und Aesthetik in
einer auf den Grund gehenden Schrift diesen Beweis führte, der könnte sich
Ruhm erwerben für alle Zeiten. Mit ein paar Feuilletons oder einem
Broschürchen läßt sich eine Erscheinung wie das "Kunstwerk der Zukunft"
nicht abthun. Wer will den Lorbeer sich pflücken?




scher Besatzung, wie sich von selbst versteht" — „Diese kleinen Potentaten
von Coburg und Weimar regieren wohl , aber sie haben nichts zu befehlen;
der preußische Adler ist überall angebracht, und unter dem Vorwande des
deutschen Bundes genießen die Regimenter Bismarck's ihr Leben in dieser
schönen Gegend." Es kann durchaus nicht als Entschuldigung gelten, daß
alles dies schon 1870 geschrieben ist; genug, daß es 1876 in einer vom
Verfasser „autorisirten" Uebersetzung in Deutschland gedruckt und dem deut¬
schen Volke geboten wird. Das ist eine Abgeschmacktheit ohne gleichen.
Seine übrigen Plattheiten mag Herr Filippo Dr. Filippi zum Besten geben,
wo er will und so oft er will. Die politische Neugestaltung unseres Vater¬
landes aber lassen wir uns nicht von dem ersten besten hergelaufenen Kunst¬
narren benörgeln. Versucht er es, so klopfen wir ihn auf den Mund und
jagen ihn zum Tempel hinaus. Verstanden?

Die Verlagshandlung hat die „Musikalische Reise" des Herrn Filippo
Dr. Filippi als eine Art Festgabe zu dem epochemachenden Kunstereignis; in
Bayreuth gebracht. Hoffentlich wird sie es verzeihen, wenn unsre Anzeige
desselben im eigentlichen Wortsinne xost echon kommt. Die „Grenzboten"
haben sich aber nun einmal damit begnügt, bei dem großen „Bühnenfestspiel"
aus der Ferne den stillen Beobachter zu spielen, und eine der dabei gemachten
Beobachtungen wenigstens möge bei dieser Gelegenheit noch ausgesprochen
werden. Wir haben in einem früheren Artikel einmal gelegentlich ein hartes
Urtheil gefällt über die wissenschaftliche Werthlosigkeit der meisten unsrer
musikalischen Zeitschriften. Das „Bühnenfestspiel" hat die Richtigkeit dieses
Urtheils glänzend bestätigt. Die wenigen, wirklich ernsten, ehrlichen, sach¬
kundigen Besprechungen, die darüber geschrieben worden sind, haben sich in
die Feuilletons politischer Zeitungen flüchten müssen — ich meine die von
Ehrlich (Gegenwart), HansM (N. Fr. Presse) und Naumann (National¬
zeitung). In den musikalischen Zeitschriften fast überall die bunteste Ver¬
götterung des „Meisters". Nun, in zwanzig Jahren, — was sage ich? —
in zehn, in fünf Jahren schon wird keine Menschenseele mehr nach diesem
„Kunstwerk der Zukunft" fragen. Wäre es da nicht rühmlich, wenn jemand
das Gericht, das die Zeit früher oder später darüber halten wird, in einer
gründlichen musikwissenschaftlichen Arbeit schon jetzt anticipirte? In zwei
Jahrzehnten wird es kein Kunststück mehr sein, zu beweisen, daß Wagner's
letzte Schöpfung eine, wenn auch großartige, künstlerische Verirrung war.
Wer aber heute schon an der Hand der Kunstgeschichte und Aesthetik in
einer auf den Grund gehenden Schrift diesen Beweis führte, der könnte sich
Ruhm erwerben für alle Zeiten. Mit ein paar Feuilletons oder einem
Broschürchen läßt sich eine Erscheinung wie das „Kunstwerk der Zukunft"
nicht abthun. Wer will den Lorbeer sich pflücken?




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/527>, abgerufen am 27.09.2024.