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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Wer hatte in Deutschland bisher eine Ahnung von der "wirklichen" Berühmtheit
der Ouvertüre zu "Struensee"?

Mit Recht macht aber die Verlagshandlung darauf aufmerksam, daß
es nicht blos "die gehabten (!) großen Eindrücke" und die "ausführlichen Ana¬
lysen der dargestellten Musikdramen" sind, welche dem Buche des Herrn Fe-
lippo Dr. Filippi seinen Werth verleihen, -- sondern daß der Verfasser auch
"eine Fülle pikanter Kleinigkeiten über Personen und Dinge beizumischen
und Ergötzliches von Land und Leuten zu erzählen gewußt hat". In der
That, welche pikante Schilderung entwirft er z. B. vom echten Lißtianer im
Gegensatz zum echten Wagnerianer! "Die unverfälschten Wagnerianer", sagt
er, "tragen lange, ziemlich zerzauste Haare, einen langen, spärlichen, ungepflegten
Bart und lange, ditto ungepflegte Nägel; die Lißtianer hingegen haben ihr
langes Haar sorgfältig gekämmt, gescheitelt und mit einer gewissen Eitelkeit
hinter das Ohr gestrichen; auch pflegen sie, um den priesterlichen Velleitäten
des berühmten Abbe's gerecht zu werden, jede Spur von Haar aus ihren
Gesichtern zu entfernen, und, wenn möglich, eine Brille zu tragen; diese
seraphischen Antlitze sind so glatt, so reinlich, so sauber, daß man glauben
könnte, sie machten wenigstens zweimal täglich die Bekanntschaft des Nasir-
messers; einige, deren Bart um jeden Preis wachsen will, haben ganz violette
Wangen, die noch von frisch cipplieirter Seife glänzen. Die Vertreter Lißt's
verwenden auch viel Sorgfalt auf ihre Hände, lassen sie, gleich dem Meister,
gerne sehen und erheben sie von Zeit zu Zeit wie zum Segen". Es ist kein
Zweifel, Herr Filippo or. Filippi ist ein äußerst feiner Beobachter, ja man
möchte sagen ein Sapperloter, vor dem man sich in Acht nehmen muß. Den¬
selben Scharfblick aber verräth er auch in der Schilderung von Land und
Leuten. Wie kurz und schlagend charakterisirt er z. B. Nürnberg, wenn er
sagt: "Zwischen München und Lichtenfels liegt jener Theil Baierns, welcher
die bizarre, aber reizende Stadt Nürnberg zum Centrum hat, berühmt durch
ihre Spielwaaren und die Giebeldächer ihrer Häuser", und diese treffende
Charakteristik trotzdem, daß er die Stadt gar nicht betreten hat, sondern
blos vorbeigefahren ist und lieber in der "Goldner Krone" in Lichtenfels
übernachtet hat, wo er zu seiner Verwunderung "französisch redende Kellner
und Zahnstocher" vorfand. Man denke, französisch redende Zahnstocher! --
Das Leben in Weimar hat er natürlich am zweiten Tage bereits vollständig
durchschaut. "Man athmet hier eine poesievolle, künstlerische Luft, die Geist
und Seele für das Erhabene empfänglich macht; man möchte fast sagen,
daß Goethe, Schiller, Wieland und Herder hier einen Hauch ihres Geistes
zurückgelassen haben, so sehr scheint Alles in Weimar sich dem strengsten
Cultus, der aufrichtigsten und eifrigsten Verehrung der Kunst zuzuneigen".
"Wenn man tagsüber durch die menschenleeren Straßen schlendert, würde


Wer hatte in Deutschland bisher eine Ahnung von der „wirklichen" Berühmtheit
der Ouvertüre zu „Struensee"?

Mit Recht macht aber die Verlagshandlung darauf aufmerksam, daß
es nicht blos „die gehabten (!) großen Eindrücke" und die „ausführlichen Ana¬
lysen der dargestellten Musikdramen" sind, welche dem Buche des Herrn Fe-
lippo Dr. Filippi seinen Werth verleihen, — sondern daß der Verfasser auch
„eine Fülle pikanter Kleinigkeiten über Personen und Dinge beizumischen
und Ergötzliches von Land und Leuten zu erzählen gewußt hat". In der
That, welche pikante Schilderung entwirft er z. B. vom echten Lißtianer im
Gegensatz zum echten Wagnerianer! „Die unverfälschten Wagnerianer", sagt
er, „tragen lange, ziemlich zerzauste Haare, einen langen, spärlichen, ungepflegten
Bart und lange, ditto ungepflegte Nägel; die Lißtianer hingegen haben ihr
langes Haar sorgfältig gekämmt, gescheitelt und mit einer gewissen Eitelkeit
hinter das Ohr gestrichen; auch pflegen sie, um den priesterlichen Velleitäten
des berühmten Abbe's gerecht zu werden, jede Spur von Haar aus ihren
Gesichtern zu entfernen, und, wenn möglich, eine Brille zu tragen; diese
seraphischen Antlitze sind so glatt, so reinlich, so sauber, daß man glauben
könnte, sie machten wenigstens zweimal täglich die Bekanntschaft des Nasir-
messers; einige, deren Bart um jeden Preis wachsen will, haben ganz violette
Wangen, die noch von frisch cipplieirter Seife glänzen. Die Vertreter Lißt's
verwenden auch viel Sorgfalt auf ihre Hände, lassen sie, gleich dem Meister,
gerne sehen und erheben sie von Zeit zu Zeit wie zum Segen". Es ist kein
Zweifel, Herr Filippo or. Filippi ist ein äußerst feiner Beobachter, ja man
möchte sagen ein Sapperloter, vor dem man sich in Acht nehmen muß. Den¬
selben Scharfblick aber verräth er auch in der Schilderung von Land und
Leuten. Wie kurz und schlagend charakterisirt er z. B. Nürnberg, wenn er
sagt: „Zwischen München und Lichtenfels liegt jener Theil Baierns, welcher
die bizarre, aber reizende Stadt Nürnberg zum Centrum hat, berühmt durch
ihre Spielwaaren und die Giebeldächer ihrer Häuser", und diese treffende
Charakteristik trotzdem, daß er die Stadt gar nicht betreten hat, sondern
blos vorbeigefahren ist und lieber in der „Goldner Krone" in Lichtenfels
übernachtet hat, wo er zu seiner Verwunderung „französisch redende Kellner
und Zahnstocher" vorfand. Man denke, französisch redende Zahnstocher! —
Das Leben in Weimar hat er natürlich am zweiten Tage bereits vollständig
durchschaut. „Man athmet hier eine poesievolle, künstlerische Luft, die Geist
und Seele für das Erhabene empfänglich macht; man möchte fast sagen,
daß Goethe, Schiller, Wieland und Herder hier einen Hauch ihres Geistes
zurückgelassen haben, so sehr scheint Alles in Weimar sich dem strengsten
Cultus, der aufrichtigsten und eifrigsten Verehrung der Kunst zuzuneigen".
„Wenn man tagsüber durch die menschenleeren Straßen schlendert, würde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/525>, abgerufen am 27.09.2024.