Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Werthes eines landläufigen politischen Humbugs Verdacht schöpften, desto
besser, aber die Hauptsache war es nicht für ihn.

"Artemus Ward's erste Vorlesung", so erzählt uns Hingston, einer der
Freunde und Biographen Browne's, "führte den Titel: Die verirrten Kinder
im Walde (wie sich ein in England und Amerika allgemein bekanntes und
vielfach auch von der Kunst behandeltes Kindermärchen nennt). Ich fragte
ihn, warum er diesen Titel gewählt habe, da im Vortrage selbst nicht das
Geringste vorkäme, was irgendwie Bezug auf diese Erzählung nähme. Dieser
Titel, erwiederte er, schien mir am besten zu klingen. Ich dachte einmal daran,
den Vortrag "Meine sieben Großmütter" zu taufen. Glauben Sie nicht, daß
das hübsch gewesen wäre. -- Er würde in der -That ebenso schön dazu ge¬
paßt haben. Ungereimtheit, als Element des Scherzes war in der Seele
dieses westlichen Humoristen immer der leitende und vorwiegende Gedanke.
Die Kinder im Walde waren nichts als Witz und Drolligkeit auf Drolligkeit
ohne irgend welchen sie verbindenden Faden , ein Feuerwerk, das die Hälfte
seines Glanzes und mehr als die Hälfte seiner Wirkung dem Geschicke des
Mannes verdankte, der diese Schwärmer, Frösche. Racketen gruppirte und auf¬
steigen ließ. Die Kinder des Märchens wurden nie mehr als zwei Mal in
dem ganzen Vortrage erwähnt: Zuerst, wo der Vortragende seinen Zuhörern
sagte, daß die Kinderchen den Gegenstand selner Rede bilden sollten, worauf
er sofort zu völlig andern Dingen überging, dann gegen das Ende einer
langen Reihe von Possen und Schwanken der buntesten Art, wo er seinen
Vortrag in folgender Weise zu schließen pflegte: "Ich komme jetzt zu meinem
Thema -- die verirrten Kinder im Walde." Hier zog er seine Uhr heraus
-- sah sie überrascht an, nahm eine Miene an, als ob er aufs Aeußerste
verblüfft und bestürzt wäre und fuhr unter donnerndem Beifall des Publi¬
kums tiefernst fort: "Aber ich sehe soeben, daß ich mich verspätet habe, und
will deshalb nur bemerken, daß es meines Wissens gute Kinderchen waren
-- so gut wie die Kinder gewöhnlich sind. Ich habe wirklich keine Zeit,
mich über ihre Erlebnisse zu verbreiten. Sie werden sie ganz vollständig in
den Märchenbüchern finden. Sie sterben im Walde, indem sie dem Specht
zuhörten, wie er an die hohle Buche klopfte. Es war ein trauriges Schicksal
für sie, und ich bemittelte sie. Hoffentlich thun Sie das ebenfalls. Gute
Nacht!"

Aehnlich verfuhr bei einem Vortrage, zu dem ihn die nach der Schlacht
bei Bull Rum zur Tagesfrage gewordene Negeremaneipation anregte. Er
zeigte an. daß er demnächst über einen Gegenstand sprechen werde, den er
"Sechzig Minuten in Afrika" nenne. Natürlich war er nie in Afrika ge¬
wesen, und wahrscheinlich hatte er auch nie ein Buch über diesen Welttheil
gelesen. Er wußte nichts von ihm, aber das war gerade der Grund, wes-


Werthes eines landläufigen politischen Humbugs Verdacht schöpften, desto
besser, aber die Hauptsache war es nicht für ihn.

„Artemus Ward's erste Vorlesung", so erzählt uns Hingston, einer der
Freunde und Biographen Browne's, „führte den Titel: Die verirrten Kinder
im Walde (wie sich ein in England und Amerika allgemein bekanntes und
vielfach auch von der Kunst behandeltes Kindermärchen nennt). Ich fragte
ihn, warum er diesen Titel gewählt habe, da im Vortrage selbst nicht das
Geringste vorkäme, was irgendwie Bezug auf diese Erzählung nähme. Dieser
Titel, erwiederte er, schien mir am besten zu klingen. Ich dachte einmal daran,
den Vortrag „Meine sieben Großmütter" zu taufen. Glauben Sie nicht, daß
das hübsch gewesen wäre. — Er würde in der -That ebenso schön dazu ge¬
paßt haben. Ungereimtheit, als Element des Scherzes war in der Seele
dieses westlichen Humoristen immer der leitende und vorwiegende Gedanke.
Die Kinder im Walde waren nichts als Witz und Drolligkeit auf Drolligkeit
ohne irgend welchen sie verbindenden Faden , ein Feuerwerk, das die Hälfte
seines Glanzes und mehr als die Hälfte seiner Wirkung dem Geschicke des
Mannes verdankte, der diese Schwärmer, Frösche. Racketen gruppirte und auf¬
steigen ließ. Die Kinder des Märchens wurden nie mehr als zwei Mal in
dem ganzen Vortrage erwähnt: Zuerst, wo der Vortragende seinen Zuhörern
sagte, daß die Kinderchen den Gegenstand selner Rede bilden sollten, worauf
er sofort zu völlig andern Dingen überging, dann gegen das Ende einer
langen Reihe von Possen und Schwanken der buntesten Art, wo er seinen
Vortrag in folgender Weise zu schließen pflegte: „Ich komme jetzt zu meinem
Thema — die verirrten Kinder im Walde." Hier zog er seine Uhr heraus
— sah sie überrascht an, nahm eine Miene an, als ob er aufs Aeußerste
verblüfft und bestürzt wäre und fuhr unter donnerndem Beifall des Publi¬
kums tiefernst fort: „Aber ich sehe soeben, daß ich mich verspätet habe, und
will deshalb nur bemerken, daß es meines Wissens gute Kinderchen waren
— so gut wie die Kinder gewöhnlich sind. Ich habe wirklich keine Zeit,
mich über ihre Erlebnisse zu verbreiten. Sie werden sie ganz vollständig in
den Märchenbüchern finden. Sie sterben im Walde, indem sie dem Specht
zuhörten, wie er an die hohle Buche klopfte. Es war ein trauriges Schicksal
für sie, und ich bemittelte sie. Hoffentlich thun Sie das ebenfalls. Gute
Nacht!"

Aehnlich verfuhr bei einem Vortrage, zu dem ihn die nach der Schlacht
bei Bull Rum zur Tagesfrage gewordene Negeremaneipation anregte. Er
zeigte an. daß er demnächst über einen Gegenstand sprechen werde, den er
„Sechzig Minuten in Afrika" nenne. Natürlich war er nie in Afrika ge¬
wesen, und wahrscheinlich hatte er auch nie ein Buch über diesen Welttheil
gelesen. Er wußte nichts von ihm, aber das war gerade der Grund, wes-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0520" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136631"/>
          <p xml:id="ID_1378" prev="#ID_1377"> Werthes eines landläufigen politischen Humbugs Verdacht schöpften, desto<lb/>
besser, aber die Hauptsache war es nicht für ihn.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1379"> &#x201E;Artemus Ward's erste Vorlesung", so erzählt uns Hingston, einer der<lb/>
Freunde und Biographen Browne's, &#x201E;führte den Titel: Die verirrten Kinder<lb/>
im Walde (wie sich ein in England und Amerika allgemein bekanntes und<lb/>
vielfach auch von der Kunst behandeltes Kindermärchen nennt). Ich fragte<lb/>
ihn, warum er diesen Titel gewählt habe, da im Vortrage selbst nicht das<lb/>
Geringste vorkäme, was irgendwie Bezug auf diese Erzählung nähme. Dieser<lb/>
Titel, erwiederte er, schien mir am besten zu klingen. Ich dachte einmal daran,<lb/>
den Vortrag &#x201E;Meine sieben Großmütter" zu taufen. Glauben Sie nicht, daß<lb/>
das hübsch gewesen wäre. &#x2014; Er würde in der -That ebenso schön dazu ge¬<lb/>
paßt haben. Ungereimtheit, als Element des Scherzes war in der Seele<lb/>
dieses westlichen Humoristen immer der leitende und vorwiegende Gedanke.<lb/>
Die Kinder im Walde waren nichts als Witz und Drolligkeit auf Drolligkeit<lb/>
ohne irgend welchen sie verbindenden Faden , ein Feuerwerk, das die Hälfte<lb/>
seines Glanzes und mehr als die Hälfte seiner Wirkung dem Geschicke des<lb/>
Mannes verdankte, der diese Schwärmer, Frösche. Racketen gruppirte und auf¬<lb/>
steigen ließ. Die Kinder des Märchens wurden nie mehr als zwei Mal in<lb/>
dem ganzen Vortrage erwähnt: Zuerst, wo der Vortragende seinen Zuhörern<lb/>
sagte, daß die Kinderchen den Gegenstand selner Rede bilden sollten, worauf<lb/>
er sofort zu völlig andern Dingen überging, dann gegen das Ende einer<lb/>
langen Reihe von Possen und Schwanken der buntesten Art, wo er seinen<lb/>
Vortrag in folgender Weise zu schließen pflegte: &#x201E;Ich komme jetzt zu meinem<lb/>
Thema &#x2014; die verirrten Kinder im Walde."  Hier zog er seine Uhr heraus<lb/>
&#x2014; sah sie überrascht an, nahm eine Miene an, als ob er aufs Aeußerste<lb/>
verblüfft und bestürzt wäre und fuhr unter donnerndem Beifall des Publi¬<lb/>
kums tiefernst fort: &#x201E;Aber ich sehe soeben, daß ich mich verspätet habe, und<lb/>
will deshalb nur bemerken, daß es meines Wissens gute Kinderchen waren<lb/>
&#x2014; so gut wie die Kinder gewöhnlich sind. Ich habe wirklich keine Zeit,<lb/>
mich über ihre Erlebnisse zu verbreiten. Sie werden sie ganz vollständig in<lb/>
den Märchenbüchern finden. Sie sterben im Walde, indem sie dem Specht<lb/>
zuhörten, wie er an die hohle Buche klopfte. Es war ein trauriges Schicksal<lb/>
für sie, und ich bemittelte sie. Hoffentlich thun Sie das ebenfalls. Gute<lb/>
Nacht!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1380" next="#ID_1381"> Aehnlich verfuhr bei einem Vortrage, zu dem ihn die nach der Schlacht<lb/>
bei Bull Rum zur Tagesfrage gewordene Negeremaneipation anregte. Er<lb/>
zeigte an. daß er demnächst über einen Gegenstand sprechen werde, den er<lb/>
&#x201E;Sechzig Minuten in Afrika" nenne. Natürlich war er nie in Afrika ge¬<lb/>
wesen, und wahrscheinlich hatte er auch nie ein Buch über diesen Welttheil<lb/>
gelesen.  Er wußte nichts von ihm, aber das war gerade der Grund, wes-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0520] Werthes eines landläufigen politischen Humbugs Verdacht schöpften, desto besser, aber die Hauptsache war es nicht für ihn. „Artemus Ward's erste Vorlesung", so erzählt uns Hingston, einer der Freunde und Biographen Browne's, „führte den Titel: Die verirrten Kinder im Walde (wie sich ein in England und Amerika allgemein bekanntes und vielfach auch von der Kunst behandeltes Kindermärchen nennt). Ich fragte ihn, warum er diesen Titel gewählt habe, da im Vortrage selbst nicht das Geringste vorkäme, was irgendwie Bezug auf diese Erzählung nähme. Dieser Titel, erwiederte er, schien mir am besten zu klingen. Ich dachte einmal daran, den Vortrag „Meine sieben Großmütter" zu taufen. Glauben Sie nicht, daß das hübsch gewesen wäre. — Er würde in der -That ebenso schön dazu ge¬ paßt haben. Ungereimtheit, als Element des Scherzes war in der Seele dieses westlichen Humoristen immer der leitende und vorwiegende Gedanke. Die Kinder im Walde waren nichts als Witz und Drolligkeit auf Drolligkeit ohne irgend welchen sie verbindenden Faden , ein Feuerwerk, das die Hälfte seines Glanzes und mehr als die Hälfte seiner Wirkung dem Geschicke des Mannes verdankte, der diese Schwärmer, Frösche. Racketen gruppirte und auf¬ steigen ließ. Die Kinder des Märchens wurden nie mehr als zwei Mal in dem ganzen Vortrage erwähnt: Zuerst, wo der Vortragende seinen Zuhörern sagte, daß die Kinderchen den Gegenstand selner Rede bilden sollten, worauf er sofort zu völlig andern Dingen überging, dann gegen das Ende einer langen Reihe von Possen und Schwanken der buntesten Art, wo er seinen Vortrag in folgender Weise zu schließen pflegte: „Ich komme jetzt zu meinem Thema — die verirrten Kinder im Walde." Hier zog er seine Uhr heraus — sah sie überrascht an, nahm eine Miene an, als ob er aufs Aeußerste verblüfft und bestürzt wäre und fuhr unter donnerndem Beifall des Publi¬ kums tiefernst fort: „Aber ich sehe soeben, daß ich mich verspätet habe, und will deshalb nur bemerken, daß es meines Wissens gute Kinderchen waren — so gut wie die Kinder gewöhnlich sind. Ich habe wirklich keine Zeit, mich über ihre Erlebnisse zu verbreiten. Sie werden sie ganz vollständig in den Märchenbüchern finden. Sie sterben im Walde, indem sie dem Specht zuhörten, wie er an die hohle Buche klopfte. Es war ein trauriges Schicksal für sie, und ich bemittelte sie. Hoffentlich thun Sie das ebenfalls. Gute Nacht!" Aehnlich verfuhr bei einem Vortrage, zu dem ihn die nach der Schlacht bei Bull Rum zur Tagesfrage gewordene Negeremaneipation anregte. Er zeigte an. daß er demnächst über einen Gegenstand sprechen werde, den er „Sechzig Minuten in Afrika" nenne. Natürlich war er nie in Afrika ge¬ wesen, und wahrscheinlich hatte er auch nie ein Buch über diesen Welttheil gelesen. Er wußte nichts von ihm, aber das war gerade der Grund, wes-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/520
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/520>, abgerufen am 27.09.2024.