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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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war seine Bude die prächtige Dodworth Hall, und sein Begleiter war statt
eines Drehorgelspielers ein Pianist.

Schon einige Jahre hat er den Plan gehegt, auch den Bettern in Eng¬
land, unter denen sich inzwischen sein Ruf ebenfalls ausgebreitet hatte, einen
längern Besuch abzustatten. Im Sommer des Jahres 1866 begab er sich
in Folge dessen nach London, wo er im folgenden Herbste einen Cyklus von
Vorträgen eröffnete. Die Eghptian Hall öffnete ihm ihre stattlichen Räume,
alle Welt, auch die vornehmen Stände waren von seinem sprudelnden Humor
entzückt, und zugleich hatte er die schon längst von ihm im Geheimen er¬
sehnte Ehre, zu Beiträgen für den "Punch" aufgefordert zu werden. Er kam
dieser Aufforderung nach, und seiner Mttarbeiterschaft an dem ersten Witz¬
blatte der Engländer verdanken wir die Reihe von Schwänken, die in der
letzten Hälfte des zweiten Bandes der hier vorliegenden Uebersetzung wieder¬
gegeben worden sind. Der Aufsatz "Ein Besuch im Britischen Museum"
war seine letzte Arbeit. Wenige Monate später machte die Kehlkopfsschwind-
sucht, an der er schon geraume Zeit gelitten hatte, seinem Leben ein Ende.
Wie der Uebersetzer berichtet, starb er mit einem Scherz auf der Zunge.
Die Zeitungen hatten gemeldet, daß ein reicher Amerikaner dem Prinzen von
Wales mit einer prächtigen Pacht ein Geschenk gemacht habe. "Es scheint",
sagte der Kranke, "heutzutage Mode geworden zu sein, daß jedermann dem
Prinzen von Wales etwas schenkt. Ich denke, ich werde ihm -- mein Pa¬
norama hinterlassen."

Die Art, wie Artemus Ward seine Borträge einrichtete, war ungemein
originell. Nachdem er sich eine Anzahl wunderlicher Einfälle, grotesker Ge¬
danken und drolliger Anekdoten zurecht gelegt hatte, dachte er daran, dem
Dinge einen Titel zu geben, und das war nicht schwierig, jeder genügte;
denn einen zusammenhängenden Inhalt hatten die Vorträge, mit Ausnahme
einiger wenigen, z. B. der über die Mormonen, nicht. Der Vortragende
wollte nichts lehren, nichts schildern, nichts beweisen oder empfehlen, er wollte
ledig sich ergötzen, die Zuhörer wo möglich eine Stunde oder 80 Minuten (das
letztere war seiner Ansicht nach das Maß, innerhalb dessen der Mensch amü-
sirbar ist) in unaufhörlichem Lachen erhalten. Sie sollten vergnügt nach Hause
gehen, aber ohne eine klare Vorstellung von dem mitzunehmen, was sie ge¬
hört, um nicht ein Jota klüger als sie gekommen waren. Die trockne Leb¬
haftigkeit der gewöhnlichen Lectüre war ihm "schlimmer als Gift." Konnte
er die Leute, die ihm zuhörten und sich über seine "wie ein Schauer von
Sternschnuppen auf sie herabregnenden" Scherze vor Lachen ausschütten woll¬
ten, zugleich dahin bringen, daß sie durch einen faulen Schwindel hindurch
sahen, sich über ein weitverbreitetes Vorurtheil schämten und in Betreff des


war seine Bude die prächtige Dodworth Hall, und sein Begleiter war statt
eines Drehorgelspielers ein Pianist.

Schon einige Jahre hat er den Plan gehegt, auch den Bettern in Eng¬
land, unter denen sich inzwischen sein Ruf ebenfalls ausgebreitet hatte, einen
längern Besuch abzustatten. Im Sommer des Jahres 1866 begab er sich
in Folge dessen nach London, wo er im folgenden Herbste einen Cyklus von
Vorträgen eröffnete. Die Eghptian Hall öffnete ihm ihre stattlichen Räume,
alle Welt, auch die vornehmen Stände waren von seinem sprudelnden Humor
entzückt, und zugleich hatte er die schon längst von ihm im Geheimen er¬
sehnte Ehre, zu Beiträgen für den „Punch" aufgefordert zu werden. Er kam
dieser Aufforderung nach, und seiner Mttarbeiterschaft an dem ersten Witz¬
blatte der Engländer verdanken wir die Reihe von Schwänken, die in der
letzten Hälfte des zweiten Bandes der hier vorliegenden Uebersetzung wieder¬
gegeben worden sind. Der Aufsatz „Ein Besuch im Britischen Museum"
war seine letzte Arbeit. Wenige Monate später machte die Kehlkopfsschwind-
sucht, an der er schon geraume Zeit gelitten hatte, seinem Leben ein Ende.
Wie der Uebersetzer berichtet, starb er mit einem Scherz auf der Zunge.
Die Zeitungen hatten gemeldet, daß ein reicher Amerikaner dem Prinzen von
Wales mit einer prächtigen Pacht ein Geschenk gemacht habe. „Es scheint",
sagte der Kranke, „heutzutage Mode geworden zu sein, daß jedermann dem
Prinzen von Wales etwas schenkt. Ich denke, ich werde ihm — mein Pa¬
norama hinterlassen."

Die Art, wie Artemus Ward seine Borträge einrichtete, war ungemein
originell. Nachdem er sich eine Anzahl wunderlicher Einfälle, grotesker Ge¬
danken und drolliger Anekdoten zurecht gelegt hatte, dachte er daran, dem
Dinge einen Titel zu geben, und das war nicht schwierig, jeder genügte;
denn einen zusammenhängenden Inhalt hatten die Vorträge, mit Ausnahme
einiger wenigen, z. B. der über die Mormonen, nicht. Der Vortragende
wollte nichts lehren, nichts schildern, nichts beweisen oder empfehlen, er wollte
ledig sich ergötzen, die Zuhörer wo möglich eine Stunde oder 80 Minuten (das
letztere war seiner Ansicht nach das Maß, innerhalb dessen der Mensch amü-
sirbar ist) in unaufhörlichem Lachen erhalten. Sie sollten vergnügt nach Hause
gehen, aber ohne eine klare Vorstellung von dem mitzunehmen, was sie ge¬
hört, um nicht ein Jota klüger als sie gekommen waren. Die trockne Leb¬
haftigkeit der gewöhnlichen Lectüre war ihm „schlimmer als Gift." Konnte
er die Leute, die ihm zuhörten und sich über seine „wie ein Schauer von
Sternschnuppen auf sie herabregnenden" Scherze vor Lachen ausschütten woll¬
ten, zugleich dahin bringen, daß sie durch einen faulen Schwindel hindurch
sahen, sich über ein weitverbreitetes Vorurtheil schämten und in Betreff des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/519>, abgerufen am 27.09.2024.