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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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daß er für einen geschickten Setzer galt. In seiner Heimath litt es ihn nicht
lange, wanderte er zunächst von einer größeren Stadt Neuenglands zur andern,
indem er fleißig den Winkelhaken handhabte, und verweilte dann längere Zeit
in Boston, wo er sich zuerst mit literarischen Arbeiten humoristischer Art
versuchte und Beifall damit fand. Auch Boston genügte indeß seinem Erz-
geiz auf die Dauer nicht, und so packte er seinen Reisesack und wanderte nach
Ohio aus, wo er in dem Städtchen Toledo am Südwestrande des Eriesees
ein kleines Blatt herausgab. Von hier lenkte er seine Schritte nach der
größeren Nachbarstadt Cleveland, wo er eine Stelle als Unterredacteur des
"Plaindealer" annahm, in den er eine Anzahl komischer Geschichtchen, schwanke
und Skizzen schrieb, denen wir zu Anfang des zweiten Bandes unsrer Ueber¬
setzung begegnen.

Auch in Cleveland war seines Bleibens nicht lange. Er war auf den
Gedanken gekommen, daß er sein Glück herumwandernd mit komischen Vor¬
trägen machen könne, und obwohl seine College" bei der Zeitung ihm von
dem damals noch unversuchten Unternehmen als von einer "Narrheit" ab-
riethen, wagte er die Sache, und stehe da, der Versuch gelang. Nachdem er
zuerst in Norwich in Connecticut, dann in verschiedenen anderen Orten des
Ostens und Westens reichlich Beifall geerntet, kam er im Herbst 1860 nach
Neuyork, wo er Mitredacteur des Witzblatts "Vanity Fair" wurde, und von
wo aus er von Zeit zu Zeit, jetzt als "Artemus Ward, der Schaubudenmann"
seine humoristischen Vorträge auch in andern Städten mit steigendem Erfolg
fortsetzte. Der Ruf seines Talents drang in immer weitere Kreise. Clubs,
literarische und gelehrte Gesellschaften ließen sich ihn kommen um sich an
seiner Komik zu erfreuen, und seine Kasse stand sich dabei so gut, daß er
als getreuer Patriot während des Kriegs einen Betrag von fast 5000 Dollars
zur Pflege der Verwundeten des Uniönsheeres beizusteuern im Stande war.

Im Oktober 1863 ging er nach Californien, in das uns von M. Twain
so anschaulich geschilderte Silberlaut Nevada und zu den Mormonen am
Salzsee der Felsengebirge, von wo er, nachdem seine Vorträge hier allent¬
halben mit unerhörtem Beifall aufgenommen worden und von reichem pecu-
niären Ertrag begleitet gewesen waren, unter allerlei Gefahren und Abenteuern
auf dem Landwege nach Osten zurückkehrte.

Im April 1864 wieder in Neuyork eingetroffen, hielt er vor der Elite
der Stadt neue Vorträge, bei welchen er die Beobachtungen und Ersahrungen
jener Reise in seiner burlesken Manier erzählte. Er pflegte dabei auf ein
grobgemaltes Panorama hinzuweisen, welches er sich zu diesem Zwecke hatte
anfertigen lassen, und gelegentlich ließ er sich während der Rede von Musik
begleiten. Er war also in gewissem Sinne wirklich ein Schaubudenmann, nur


daß er für einen geschickten Setzer galt. In seiner Heimath litt es ihn nicht
lange, wanderte er zunächst von einer größeren Stadt Neuenglands zur andern,
indem er fleißig den Winkelhaken handhabte, und verweilte dann längere Zeit
in Boston, wo er sich zuerst mit literarischen Arbeiten humoristischer Art
versuchte und Beifall damit fand. Auch Boston genügte indeß seinem Erz-
geiz auf die Dauer nicht, und so packte er seinen Reisesack und wanderte nach
Ohio aus, wo er in dem Städtchen Toledo am Südwestrande des Eriesees
ein kleines Blatt herausgab. Von hier lenkte er seine Schritte nach der
größeren Nachbarstadt Cleveland, wo er eine Stelle als Unterredacteur des
„Plaindealer" annahm, in den er eine Anzahl komischer Geschichtchen, schwanke
und Skizzen schrieb, denen wir zu Anfang des zweiten Bandes unsrer Ueber¬
setzung begegnen.

Auch in Cleveland war seines Bleibens nicht lange. Er war auf den
Gedanken gekommen, daß er sein Glück herumwandernd mit komischen Vor¬
trägen machen könne, und obwohl seine College» bei der Zeitung ihm von
dem damals noch unversuchten Unternehmen als von einer „Narrheit" ab-
riethen, wagte er die Sache, und stehe da, der Versuch gelang. Nachdem er
zuerst in Norwich in Connecticut, dann in verschiedenen anderen Orten des
Ostens und Westens reichlich Beifall geerntet, kam er im Herbst 1860 nach
Neuyork, wo er Mitredacteur des Witzblatts „Vanity Fair" wurde, und von
wo aus er von Zeit zu Zeit, jetzt als „Artemus Ward, der Schaubudenmann"
seine humoristischen Vorträge auch in andern Städten mit steigendem Erfolg
fortsetzte. Der Ruf seines Talents drang in immer weitere Kreise. Clubs,
literarische und gelehrte Gesellschaften ließen sich ihn kommen um sich an
seiner Komik zu erfreuen, und seine Kasse stand sich dabei so gut, daß er
als getreuer Patriot während des Kriegs einen Betrag von fast 5000 Dollars
zur Pflege der Verwundeten des Uniönsheeres beizusteuern im Stande war.

Im Oktober 1863 ging er nach Californien, in das uns von M. Twain
so anschaulich geschilderte Silberlaut Nevada und zu den Mormonen am
Salzsee der Felsengebirge, von wo er, nachdem seine Vorträge hier allent¬
halben mit unerhörtem Beifall aufgenommen worden und von reichem pecu-
niären Ertrag begleitet gewesen waren, unter allerlei Gefahren und Abenteuern
auf dem Landwege nach Osten zurückkehrte.

Im April 1864 wieder in Neuyork eingetroffen, hielt er vor der Elite
der Stadt neue Vorträge, bei welchen er die Beobachtungen und Ersahrungen
jener Reise in seiner burlesken Manier erzählte. Er pflegte dabei auf ein
grobgemaltes Panorama hinzuweisen, welches er sich zu diesem Zwecke hatte
anfertigen lassen, und gelegentlich ließ er sich während der Rede von Musik
begleiten. Er war also in gewissem Sinne wirklich ein Schaubudenmann, nur


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[0518] daß er für einen geschickten Setzer galt. In seiner Heimath litt es ihn nicht lange, wanderte er zunächst von einer größeren Stadt Neuenglands zur andern, indem er fleißig den Winkelhaken handhabte, und verweilte dann längere Zeit in Boston, wo er sich zuerst mit literarischen Arbeiten humoristischer Art versuchte und Beifall damit fand. Auch Boston genügte indeß seinem Erz- geiz auf die Dauer nicht, und so packte er seinen Reisesack und wanderte nach Ohio aus, wo er in dem Städtchen Toledo am Südwestrande des Eriesees ein kleines Blatt herausgab. Von hier lenkte er seine Schritte nach der größeren Nachbarstadt Cleveland, wo er eine Stelle als Unterredacteur des „Plaindealer" annahm, in den er eine Anzahl komischer Geschichtchen, schwanke und Skizzen schrieb, denen wir zu Anfang des zweiten Bandes unsrer Ueber¬ setzung begegnen. Auch in Cleveland war seines Bleibens nicht lange. Er war auf den Gedanken gekommen, daß er sein Glück herumwandernd mit komischen Vor¬ trägen machen könne, und obwohl seine College» bei der Zeitung ihm von dem damals noch unversuchten Unternehmen als von einer „Narrheit" ab- riethen, wagte er die Sache, und stehe da, der Versuch gelang. Nachdem er zuerst in Norwich in Connecticut, dann in verschiedenen anderen Orten des Ostens und Westens reichlich Beifall geerntet, kam er im Herbst 1860 nach Neuyork, wo er Mitredacteur des Witzblatts „Vanity Fair" wurde, und von wo aus er von Zeit zu Zeit, jetzt als „Artemus Ward, der Schaubudenmann" seine humoristischen Vorträge auch in andern Städten mit steigendem Erfolg fortsetzte. Der Ruf seines Talents drang in immer weitere Kreise. Clubs, literarische und gelehrte Gesellschaften ließen sich ihn kommen um sich an seiner Komik zu erfreuen, und seine Kasse stand sich dabei so gut, daß er als getreuer Patriot während des Kriegs einen Betrag von fast 5000 Dollars zur Pflege der Verwundeten des Uniönsheeres beizusteuern im Stande war. Im Oktober 1863 ging er nach Californien, in das uns von M. Twain so anschaulich geschilderte Silberlaut Nevada und zu den Mormonen am Salzsee der Felsengebirge, von wo er, nachdem seine Vorträge hier allent¬ halben mit unerhörtem Beifall aufgenommen worden und von reichem pecu- niären Ertrag begleitet gewesen waren, unter allerlei Gefahren und Abenteuern auf dem Landwege nach Osten zurückkehrte. Im April 1864 wieder in Neuyork eingetroffen, hielt er vor der Elite der Stadt neue Vorträge, bei welchen er die Beobachtungen und Ersahrungen jener Reise in seiner burlesken Manier erzählte. Er pflegte dabei auf ein grobgemaltes Panorama hinzuweisen, welches er sich zu diesem Zwecke hatte anfertigen lassen, und gelegentlich ließ er sich während der Rede von Musik begleiten. Er war also in gewissem Sinne wirklich ein Schaubudenmann, nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/518>, abgerufen am 27.09.2024.