Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

"Was ist ein Phänomen?" fragt ein amerikanischer Zeitungsphilosoph.
"Ein Zwetschenvaum ist mit nichten ein Phänomen. Eine Kuh ist auch kein
Phänomen. Aber wenn die Kuh auf den Zwetschenvaum steigt und die
Zwetschen mit dem Schwänze frißt, so ist das ein Phänomen." Der echte
eingeborene amerikanische Humor gleicht dieser Kuh fast wie ein El
dem andern.

Artemus Ward's Schriften sind nur theilweise eine Sammlung de^
Späße und Schwänke, die unter dem niedern Volke der Vereinigten Staaten
im Umlaufe sind. Sie gruppiren sich hier um eine halb wirkliche, halb er¬
fundene Persönlichkeit, den Schaubudenmann und dessen Erlebnisse. Derselbe
erscheint als ein gemüthlicher alter Bursch, der es aber faustdick hinter den
Ohren hat, was jedoch nicht hindert, daß er gelegentlich einem Geriebneren
begegnet, und daß er unter dem Pantoffel seiner Frau steht. Er ist voll
derben Humors, aber ohne Erziehung, wenn wir auch aus seinen Briefen
und Maueranschlägen ersehen, daß er neben dem Schaubudengeschäft auch
als Zeitungscorrespondent, Redner und Politiker thätig ist. Natürlich sind
dem Charakter desselben der höhern komischen Wirkung halber allerlei Lichter
aufgesetzt. Aber das Porträt des biedern Artemus, wie es uns im ersten
Bande in verschiedensten Beleuchtungen entgegentritt, ist ähnlich wie Reuter's
Onkel Brästg, mit dem er verwandt ist, keineswegs Erfindung eines Kari¬
katurenzeichners.

"In allen Theilen der Vereinigten Staaten", sagt Hollen, "trifft man
solche wunderliche Käuze. Auf den Dampfbooten der westlichen Ströme, in
den Eisenbahnwagen, im Hinterwalde finden wir Brüder und Schwestern
Ward's. Das Land scheint seine Freude an ihnen zu haben, und sicherlich
mangelt es ihm nicht an immer neuer Zufuhr. Vor einigen Jahren war
der beste Spaßmacher am Mtsstsippi ein Mann "drunten aus dem Osten",
der seinen Heimathsstaat verlassen hatte, um im fernen Tennessee eines Holz¬
haufens zu warten, an dem sich die Dampfboote mit Feuerung versorgten.
Er lebte mutterseelenallein. Ich glaube nicht, daß im Umkreise von zwanzig
oder dreißig Meilen um seine Wohnung sich ein Haus befand. Aber er
steckte voll Späße und Neuigkeiten, als ob er sich sein Brot als nach der"'
Zeile bezahlter Mitarbeiter an einem Witzblatt in einer großen Stadt ver¬
diente. Seine Blockhütte befand sich dicht neben seinem Holzhaufen, und
sein ganzer Schutz vor den ziemlich unbequemen reißenden Thieren in dieser
Wildniß war eine alte Büchse, die über seiner Thür hing. Er erbat sich
Zeitungen von allen Dampfern, die bet ihm anlegten, um Holz einzunehmen,
und in witzigen Geplänkel war er den Passagieren und der Mannschaft mehr
als gewachsen. Gleich vielen andern Amerikanern hatte er es vorher beinahe
mit allen andern Erwerbszweigen versucht, indem er Schulmeister, Krämer,


„Was ist ein Phänomen?" fragt ein amerikanischer Zeitungsphilosoph.
„Ein Zwetschenvaum ist mit nichten ein Phänomen. Eine Kuh ist auch kein
Phänomen. Aber wenn die Kuh auf den Zwetschenvaum steigt und die
Zwetschen mit dem Schwänze frißt, so ist das ein Phänomen." Der echte
eingeborene amerikanische Humor gleicht dieser Kuh fast wie ein El
dem andern.

Artemus Ward's Schriften sind nur theilweise eine Sammlung de^
Späße und Schwänke, die unter dem niedern Volke der Vereinigten Staaten
im Umlaufe sind. Sie gruppiren sich hier um eine halb wirkliche, halb er¬
fundene Persönlichkeit, den Schaubudenmann und dessen Erlebnisse. Derselbe
erscheint als ein gemüthlicher alter Bursch, der es aber faustdick hinter den
Ohren hat, was jedoch nicht hindert, daß er gelegentlich einem Geriebneren
begegnet, und daß er unter dem Pantoffel seiner Frau steht. Er ist voll
derben Humors, aber ohne Erziehung, wenn wir auch aus seinen Briefen
und Maueranschlägen ersehen, daß er neben dem Schaubudengeschäft auch
als Zeitungscorrespondent, Redner und Politiker thätig ist. Natürlich sind
dem Charakter desselben der höhern komischen Wirkung halber allerlei Lichter
aufgesetzt. Aber das Porträt des biedern Artemus, wie es uns im ersten
Bande in verschiedensten Beleuchtungen entgegentritt, ist ähnlich wie Reuter's
Onkel Brästg, mit dem er verwandt ist, keineswegs Erfindung eines Kari¬
katurenzeichners.

„In allen Theilen der Vereinigten Staaten", sagt Hollen, „trifft man
solche wunderliche Käuze. Auf den Dampfbooten der westlichen Ströme, in
den Eisenbahnwagen, im Hinterwalde finden wir Brüder und Schwestern
Ward's. Das Land scheint seine Freude an ihnen zu haben, und sicherlich
mangelt es ihm nicht an immer neuer Zufuhr. Vor einigen Jahren war
der beste Spaßmacher am Mtsstsippi ein Mann „drunten aus dem Osten",
der seinen Heimathsstaat verlassen hatte, um im fernen Tennessee eines Holz¬
haufens zu warten, an dem sich die Dampfboote mit Feuerung versorgten.
Er lebte mutterseelenallein. Ich glaube nicht, daß im Umkreise von zwanzig
oder dreißig Meilen um seine Wohnung sich ein Haus befand. Aber er
steckte voll Späße und Neuigkeiten, als ob er sich sein Brot als nach der"'
Zeile bezahlter Mitarbeiter an einem Witzblatt in einer großen Stadt ver¬
diente. Seine Blockhütte befand sich dicht neben seinem Holzhaufen, und
sein ganzer Schutz vor den ziemlich unbequemen reißenden Thieren in dieser
Wildniß war eine alte Büchse, die über seiner Thür hing. Er erbat sich
Zeitungen von allen Dampfern, die bet ihm anlegten, um Holz einzunehmen,
und in witzigen Geplänkel war er den Passagieren und der Mannschaft mehr
als gewachsen. Gleich vielen andern Amerikanern hatte er es vorher beinahe
mit allen andern Erwerbszweigen versucht, indem er Schulmeister, Krämer,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0516" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136627"/>
          <p xml:id="ID_1364"> &#x201E;Was ist ein Phänomen?" fragt ein amerikanischer Zeitungsphilosoph.<lb/>
&#x201E;Ein Zwetschenvaum ist mit nichten ein Phänomen. Eine Kuh ist auch kein<lb/>
Phänomen. Aber wenn die Kuh auf den Zwetschenvaum steigt und die<lb/>
Zwetschen mit dem Schwänze frißt, so ist das ein Phänomen." Der echte<lb/>
eingeborene amerikanische Humor gleicht dieser Kuh fast wie ein El<lb/>
dem andern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1365"> Artemus Ward's Schriften sind nur theilweise eine Sammlung de^<lb/>
Späße und Schwänke, die unter dem niedern Volke der Vereinigten Staaten<lb/>
im Umlaufe sind. Sie gruppiren sich hier um eine halb wirkliche, halb er¬<lb/>
fundene Persönlichkeit, den Schaubudenmann und dessen Erlebnisse. Derselbe<lb/>
erscheint als ein gemüthlicher alter Bursch, der es aber faustdick hinter den<lb/>
Ohren hat, was jedoch nicht hindert, daß er gelegentlich einem Geriebneren<lb/>
begegnet, und daß er unter dem Pantoffel seiner Frau steht. Er ist voll<lb/>
derben Humors, aber ohne Erziehung, wenn wir auch aus seinen Briefen<lb/>
und Maueranschlägen ersehen, daß er neben dem Schaubudengeschäft auch<lb/>
als Zeitungscorrespondent, Redner und Politiker thätig ist. Natürlich sind<lb/>
dem Charakter desselben der höhern komischen Wirkung halber allerlei Lichter<lb/>
aufgesetzt. Aber das Porträt des biedern Artemus, wie es uns im ersten<lb/>
Bande in verschiedensten Beleuchtungen entgegentritt, ist ähnlich wie Reuter's<lb/>
Onkel Brästg, mit dem er verwandt ist, keineswegs Erfindung eines Kari¬<lb/>
katurenzeichners.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1366" next="#ID_1367"> &#x201E;In allen Theilen der Vereinigten Staaten", sagt Hollen, &#x201E;trifft man<lb/>
solche wunderliche Käuze. Auf den Dampfbooten der westlichen Ströme, in<lb/>
den Eisenbahnwagen, im Hinterwalde finden wir Brüder und Schwestern<lb/>
Ward's. Das Land scheint seine Freude an ihnen zu haben, und sicherlich<lb/>
mangelt es ihm nicht an immer neuer Zufuhr. Vor einigen Jahren war<lb/>
der beste Spaßmacher am Mtsstsippi ein Mann &#x201E;drunten aus dem Osten",<lb/>
der seinen Heimathsstaat verlassen hatte, um im fernen Tennessee eines Holz¬<lb/>
haufens zu warten, an dem sich die Dampfboote mit Feuerung versorgten.<lb/>
Er lebte mutterseelenallein. Ich glaube nicht, daß im Umkreise von zwanzig<lb/>
oder dreißig Meilen um seine Wohnung sich ein Haus befand. Aber er<lb/>
steckte voll Späße und Neuigkeiten, als ob er sich sein Brot als nach der"'<lb/>
Zeile bezahlter Mitarbeiter an einem Witzblatt in einer großen Stadt ver¬<lb/>
diente. Seine Blockhütte befand sich dicht neben seinem Holzhaufen, und<lb/>
sein ganzer Schutz vor den ziemlich unbequemen reißenden Thieren in dieser<lb/>
Wildniß war eine alte Büchse, die über seiner Thür hing. Er erbat sich<lb/>
Zeitungen von allen Dampfern, die bet ihm anlegten, um Holz einzunehmen,<lb/>
und in witzigen Geplänkel war er den Passagieren und der Mannschaft mehr<lb/>
als gewachsen. Gleich vielen andern Amerikanern hatte er es vorher beinahe<lb/>
mit allen andern Erwerbszweigen versucht, indem er Schulmeister, Krämer,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0516] „Was ist ein Phänomen?" fragt ein amerikanischer Zeitungsphilosoph. „Ein Zwetschenvaum ist mit nichten ein Phänomen. Eine Kuh ist auch kein Phänomen. Aber wenn die Kuh auf den Zwetschenvaum steigt und die Zwetschen mit dem Schwänze frißt, so ist das ein Phänomen." Der echte eingeborene amerikanische Humor gleicht dieser Kuh fast wie ein El dem andern. Artemus Ward's Schriften sind nur theilweise eine Sammlung de^ Späße und Schwänke, die unter dem niedern Volke der Vereinigten Staaten im Umlaufe sind. Sie gruppiren sich hier um eine halb wirkliche, halb er¬ fundene Persönlichkeit, den Schaubudenmann und dessen Erlebnisse. Derselbe erscheint als ein gemüthlicher alter Bursch, der es aber faustdick hinter den Ohren hat, was jedoch nicht hindert, daß er gelegentlich einem Geriebneren begegnet, und daß er unter dem Pantoffel seiner Frau steht. Er ist voll derben Humors, aber ohne Erziehung, wenn wir auch aus seinen Briefen und Maueranschlägen ersehen, daß er neben dem Schaubudengeschäft auch als Zeitungscorrespondent, Redner und Politiker thätig ist. Natürlich sind dem Charakter desselben der höhern komischen Wirkung halber allerlei Lichter aufgesetzt. Aber das Porträt des biedern Artemus, wie es uns im ersten Bande in verschiedensten Beleuchtungen entgegentritt, ist ähnlich wie Reuter's Onkel Brästg, mit dem er verwandt ist, keineswegs Erfindung eines Kari¬ katurenzeichners. „In allen Theilen der Vereinigten Staaten", sagt Hollen, „trifft man solche wunderliche Käuze. Auf den Dampfbooten der westlichen Ströme, in den Eisenbahnwagen, im Hinterwalde finden wir Brüder und Schwestern Ward's. Das Land scheint seine Freude an ihnen zu haben, und sicherlich mangelt es ihm nicht an immer neuer Zufuhr. Vor einigen Jahren war der beste Spaßmacher am Mtsstsippi ein Mann „drunten aus dem Osten", der seinen Heimathsstaat verlassen hatte, um im fernen Tennessee eines Holz¬ haufens zu warten, an dem sich die Dampfboote mit Feuerung versorgten. Er lebte mutterseelenallein. Ich glaube nicht, daß im Umkreise von zwanzig oder dreißig Meilen um seine Wohnung sich ein Haus befand. Aber er steckte voll Späße und Neuigkeiten, als ob er sich sein Brot als nach der"' Zeile bezahlter Mitarbeiter an einem Witzblatt in einer großen Stadt ver¬ diente. Seine Blockhütte befand sich dicht neben seinem Holzhaufen, und sein ganzer Schutz vor den ziemlich unbequemen reißenden Thieren in dieser Wildniß war eine alte Büchse, die über seiner Thür hing. Er erbat sich Zeitungen von allen Dampfern, die bet ihm anlegten, um Holz einzunehmen, und in witzigen Geplänkel war er den Passagieren und der Mannschaft mehr als gewachsen. Gleich vielen andern Amerikanern hatte er es vorher beinahe mit allen andern Erwerbszweigen versucht, indem er Schulmeister, Krämer,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/516
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/516>, abgerufen am 27.09.2024.