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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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hat in der That eine starke komische Ader. Dennoch haben den Uebersetzer
weniger ästhetische Gründe bewogen, eine Auswahl seiner schwanke ins
Deutsche zu übertragen, als die Absicht, gewisse Züge im Wesen der Anglo¬
amerikaner anschaulich zu machen, von denen unsre Reisebeschreibungen in
der Regel nichts und, wo es geschieht, nur Oberflächliches berichten. Vieles
wird den Lesern der vorliegenden beiden Bände platt, Manches sogar ein
wenig ordinär vorkommen. Unser Autor verschmäht auch die gewöhnlichen
Mittel des Hanswursts nicht, um die Lachmuskeln in Bewegung zu setzen:
er wirkt auf dieselben auch durch Nachahmung der Sprache des gemeinen
Mannes, durch häufige Verstöße gegen die Grammatik, die Rechtschreibung
und die Logik sowie nicht selten durch Wortspiele, die sich von unsern Ka¬
lauern nicht wesentlich unterscheiden. Dahinter aber liegt, wie der Uebersetzer
richtig hervorhebt, ein Etwas, dem wir unter den früheren Autoren der
Sammlung nur hin und wieder bei Mark Twain und bei Adeler (hier in
den possenhaften Gedichten) begegneten, und was man als den spezifisch
amerikanischen Humor bezeichnen kann.

Das Wesen dieses Humors ist nicht leicht zu definiren. Der Uebersetzer
meint ihm am nächsten zu kommen, wenn er ihn eine Stimmung oder eine
Auffassung der Dinge nennt, welche naiv und nüchtern die ungeheuerlichsten
Ungereimtheiten als selbstverständlich ausspricht. Uns scheint das nicht ganz
genügen, d. h. nicht auf alles, was uns hier geboten ist, zu passen. Doch
trifft die Definition im Großen und Ganzen zu.

D. Bl. hat vor Kurzem eine Anzahl von Artikeln über die seltsame
burleske Kanzelberedsamkeit gewisser alter deutscher Pastoren gebracht. Im
Vorwort zu unserem Buche begegnen wir einer Ergänzung hierzu. Es
heißt hier:

"Sehr viel von der Wunderlichkeit, die der amerikanische Humor zeigt,
stammt von den alten Puritanern, deren ernste Behandlung komischer und
deren komische Behandlung ernster Gegenstände, ihrer Ausdrucksweise in
gegenwärtiger Zeit eine ganz andere Wirkung geben als die, welche beab¬
sichtigt war. Wir treffen in den Predigtsammlungen aus dem ersten Jahr¬
hundert Neuenglands solche Ungereimtheiten und Lächerlichkeiten in Fülle an.
Man erwartet Erbauliches und Beschauliches, und man begegnet Possen
und Schwänken, man fürchtet einen trockenen finstern Kanzelheiligen, und man
möchte vor Lachen bersten über den Clown, der in dem schwarzen Rocke steckt.
Statt gelangweilt zu werden, wird man ergötzt, obwohl die Prediger ganz
und gar ohne Bewußtsein über die hochkomischen Züge waren, die sie ihren
Ergüssen beimischten". Es wird dann darauf hingewiesen, daß wir Deutschen
derartige geistliche Redner ebenfalls gehabt haben. "Aber ihre Wirkung auf
die Auffassungsweise und die Sprache des Volkes ist nicht so tiefgehend ge-


Grenzboten III. 1876. 64

hat in der That eine starke komische Ader. Dennoch haben den Uebersetzer
weniger ästhetische Gründe bewogen, eine Auswahl seiner schwanke ins
Deutsche zu übertragen, als die Absicht, gewisse Züge im Wesen der Anglo¬
amerikaner anschaulich zu machen, von denen unsre Reisebeschreibungen in
der Regel nichts und, wo es geschieht, nur Oberflächliches berichten. Vieles
wird den Lesern der vorliegenden beiden Bände platt, Manches sogar ein
wenig ordinär vorkommen. Unser Autor verschmäht auch die gewöhnlichen
Mittel des Hanswursts nicht, um die Lachmuskeln in Bewegung zu setzen:
er wirkt auf dieselben auch durch Nachahmung der Sprache des gemeinen
Mannes, durch häufige Verstöße gegen die Grammatik, die Rechtschreibung
und die Logik sowie nicht selten durch Wortspiele, die sich von unsern Ka¬
lauern nicht wesentlich unterscheiden. Dahinter aber liegt, wie der Uebersetzer
richtig hervorhebt, ein Etwas, dem wir unter den früheren Autoren der
Sammlung nur hin und wieder bei Mark Twain und bei Adeler (hier in
den possenhaften Gedichten) begegneten, und was man als den spezifisch
amerikanischen Humor bezeichnen kann.

Das Wesen dieses Humors ist nicht leicht zu definiren. Der Uebersetzer
meint ihm am nächsten zu kommen, wenn er ihn eine Stimmung oder eine
Auffassung der Dinge nennt, welche naiv und nüchtern die ungeheuerlichsten
Ungereimtheiten als selbstverständlich ausspricht. Uns scheint das nicht ganz
genügen, d. h. nicht auf alles, was uns hier geboten ist, zu passen. Doch
trifft die Definition im Großen und Ganzen zu.

D. Bl. hat vor Kurzem eine Anzahl von Artikeln über die seltsame
burleske Kanzelberedsamkeit gewisser alter deutscher Pastoren gebracht. Im
Vorwort zu unserem Buche begegnen wir einer Ergänzung hierzu. Es
heißt hier:

„Sehr viel von der Wunderlichkeit, die der amerikanische Humor zeigt,
stammt von den alten Puritanern, deren ernste Behandlung komischer und
deren komische Behandlung ernster Gegenstände, ihrer Ausdrucksweise in
gegenwärtiger Zeit eine ganz andere Wirkung geben als die, welche beab¬
sichtigt war. Wir treffen in den Predigtsammlungen aus dem ersten Jahr¬
hundert Neuenglands solche Ungereimtheiten und Lächerlichkeiten in Fülle an.
Man erwartet Erbauliches und Beschauliches, und man begegnet Possen
und Schwänken, man fürchtet einen trockenen finstern Kanzelheiligen, und man
möchte vor Lachen bersten über den Clown, der in dem schwarzen Rocke steckt.
Statt gelangweilt zu werden, wird man ergötzt, obwohl die Prediger ganz
und gar ohne Bewußtsein über die hochkomischen Züge waren, die sie ihren
Ergüssen beimischten". Es wird dann darauf hingewiesen, daß wir Deutschen
derartige geistliche Redner ebenfalls gehabt haben. „Aber ihre Wirkung auf
die Auffassungsweise und die Sprache des Volkes ist nicht so tiefgehend ge-


Grenzboten III. 1876. 64
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/513>, abgerufen am 27.09.2024.