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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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liebe Element, an dem Ungarn ohnehin so arm sei, bedenklich geschwächt
werde, daß ferner der ungarische Staat wahrhaftig nicht wohl thue, die
Rechtscontinuität, die er selbst Oesterreich gegenüber behauptet, den Sachsen
gegenüber zu verletzen. Was vom Minister Tisza gegen diese Argumente
vorgebracht wurde, war ein schwächlicher Versuch, die Uebereinstimmung seines
Entwurfs mit den Bestimmungen von 1848 und 1868 zu erweisen; da ihm
diese aber offenbar selbst etwas zweifelhaft schien, wies er emphatisch darauf
hin, daß die Gesetze ändern nicht heiße die Gesetze verletzen und -- am
26. März -- daß über der parlamentarischen Gewalt kein Recht stehe, nur die
ewige Gerechtigkeit, ein Grundsatz würdig des Convents. Der Unterstaatssekretär
Kenn,my bekämpfte namentlich die sächsische Anschauung vom bilateralen Ver¬
trage, erklärte überdies, was dem Vertreter des 1849 empörten und mit
Gewalt zu Boden geschlagenen und doch 1867 wieder in allen seinen
Rechten hergestellten Ungarn sehr wohl anstand! -- die Sachsen selbst
hätten durch ihre Haltung seit 1848 ihre Rechte verwirkt, hob endlich --
dies mit einigem Rechte -- die praktische Schwierigkeit hervor, den viel¬
fach zerstückelten Königsboten als einen einheitlichen Verwaltungsbezirk
bestehen zu lassen. Was die Vertreter der Regierung vorbrachten, das
wurde diesmal, da es gegen die Deutschen ging, von allen Parteien
des Hauses unterstützt; die Redner der Regierungspartei, wie Matray,
Fabritius (ein Sachse!), Bereczky, Scathmary gingen Hand in Hand
mit den Sprechern der äußersten Linken, Helfy, Orban, Ragaly und
mit dem Vertreter der Romanen, Gurban. sachlichen Argumenten wird
man freilich in diesen haßerfüllten Auslassungen von Männern, die fast alle
nur die oberflächlichste Kenntniß der einschlagenden Verhältnisse besaßen, wenig
begegnen. Sie donnerten gegen die sächsichen "Privilegien", die als aus
dem Mittelalter stammend der modernen Rechtsgleichheit zuwiderliefen und
einen "Staat im Staate" begründeten, als ob nicht längst -- seit 1848 --
die Romanen und Magyaren auf Sachsenboden privatrechtlich den Sachsen
völlig gleichstünden, und nicht ihre Gymnasien in Kronstäbe und Broos be¬
trächtliche Subventionen aus dem sächsischen Nationalvermögen erhielten,
als ob nicht auch die ungarische Verfassung auf mittelalterlicher Grund¬
lage beruhte und als ob die Sachsen für ihre "Universität" nicht vollständig
zufrieden wären mit den Rechten, die jedem ungarischen Municipium (Coaita!)
zustehen; Ragaly wandte auch auf diesen Fall den Grundsatz an: Latus
röixudlieak suxreina lex esto, um die offenbare Gesetzwidrigkeit der Vorlage zu
bemänteln; in wüsten Ausfällen erging sich endlich Ignaz Helfy, ein jüdisch¬
deutscher Apostat, der früher Heller hieß, gegen die Beweggründe der sächsi¬
schen Abgeordneten, die er der Eitelkeit und Skandalsucht verdächtigte; ja er
wagte es, die großartige Culturarbeit der Sachsen in Siebenbürgen abzu-


liebe Element, an dem Ungarn ohnehin so arm sei, bedenklich geschwächt
werde, daß ferner der ungarische Staat wahrhaftig nicht wohl thue, die
Rechtscontinuität, die er selbst Oesterreich gegenüber behauptet, den Sachsen
gegenüber zu verletzen. Was vom Minister Tisza gegen diese Argumente
vorgebracht wurde, war ein schwächlicher Versuch, die Uebereinstimmung seines
Entwurfs mit den Bestimmungen von 1848 und 1868 zu erweisen; da ihm
diese aber offenbar selbst etwas zweifelhaft schien, wies er emphatisch darauf
hin, daß die Gesetze ändern nicht heiße die Gesetze verletzen und — am
26. März — daß über der parlamentarischen Gewalt kein Recht stehe, nur die
ewige Gerechtigkeit, ein Grundsatz würdig des Convents. Der Unterstaatssekretär
Kenn,my bekämpfte namentlich die sächsische Anschauung vom bilateralen Ver¬
trage, erklärte überdies, was dem Vertreter des 1849 empörten und mit
Gewalt zu Boden geschlagenen und doch 1867 wieder in allen seinen
Rechten hergestellten Ungarn sehr wohl anstand! — die Sachsen selbst
hätten durch ihre Haltung seit 1848 ihre Rechte verwirkt, hob endlich —
dies mit einigem Rechte — die praktische Schwierigkeit hervor, den viel¬
fach zerstückelten Königsboten als einen einheitlichen Verwaltungsbezirk
bestehen zu lassen. Was die Vertreter der Regierung vorbrachten, das
wurde diesmal, da es gegen die Deutschen ging, von allen Parteien
des Hauses unterstützt; die Redner der Regierungspartei, wie Matray,
Fabritius (ein Sachse!), Bereczky, Scathmary gingen Hand in Hand
mit den Sprechern der äußersten Linken, Helfy, Orban, Ragaly und
mit dem Vertreter der Romanen, Gurban. sachlichen Argumenten wird
man freilich in diesen haßerfüllten Auslassungen von Männern, die fast alle
nur die oberflächlichste Kenntniß der einschlagenden Verhältnisse besaßen, wenig
begegnen. Sie donnerten gegen die sächsichen „Privilegien", die als aus
dem Mittelalter stammend der modernen Rechtsgleichheit zuwiderliefen und
einen „Staat im Staate" begründeten, als ob nicht längst — seit 1848 —
die Romanen und Magyaren auf Sachsenboden privatrechtlich den Sachsen
völlig gleichstünden, und nicht ihre Gymnasien in Kronstäbe und Broos be¬
trächtliche Subventionen aus dem sächsischen Nationalvermögen erhielten,
als ob nicht auch die ungarische Verfassung auf mittelalterlicher Grund¬
lage beruhte und als ob die Sachsen für ihre „Universität" nicht vollständig
zufrieden wären mit den Rechten, die jedem ungarischen Municipium (Coaita!)
zustehen; Ragaly wandte auch auf diesen Fall den Grundsatz an: Latus
röixudlieak suxreina lex esto, um die offenbare Gesetzwidrigkeit der Vorlage zu
bemänteln; in wüsten Ausfällen erging sich endlich Ignaz Helfy, ein jüdisch¬
deutscher Apostat, der früher Heller hieß, gegen die Beweggründe der sächsi¬
schen Abgeordneten, die er der Eitelkeit und Skandalsucht verdächtigte; ja er
wagte es, die großartige Culturarbeit der Sachsen in Siebenbürgen abzu-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/495>, abgerufen am 27.09.2024.