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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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sammenhängenden Zustände, die in den Jahren kurz vor dem letzten Kriege
und in allen wesentlichen Stücken zweifelsohne bis heute in Konstantinopel
herrschten. Wir werden dabei inne werden, daß man in dieser Beziehung
selbst in Japan in anderthalb Jahrzehnten weiter gekommen ist, als unter
den apathischen, uncivilifirbaren Osmanlis in hundert Jahren.

Dicht beim Sahaf-Thor des alten Besestan in Stambul und zwischen
jenem und dem Kumaschchilar Tscharschiffi, wo Griechen und Armenier allerlei
Tuche und halbseidne Stoffe feil haben, ist der Büchermarkt der türkischen
Hauptstadt, der aus einigen vierzig Läden besteht. Dieselben haben das
schlechteste Aussehen von allen, denen man in den Basars begegnet. Sie
sind offen, die Bücher stehen auf Gestellen und in Schränken an den Wänden
und sehen sehr unscheinbar aus. Kein Buchhändler hat in seinem Gewölbe
mehr als einige hundert Bände, der ganze Basar enthält deren wohl nicht
viel über 20,000. Die Effendis, die mit diesen literarischen Schätzen handeln,
sitzen grämlich auf ihren Kissen und scheinen nur ein negatives Dasein zu
führen, indem sie weder Kunden anlocken noch zurückweisen. Sie bilden eine
Zunft und erfreuen sich keines guten Rufes; denn will man einen Kaufmann
als recht habsüchtig bezeichnen, so sagt man: "Er ist schlimmer als ein
Sahaf." Kataloge giebt es nicht und ebenso wenig feste Preise. Jeder Sahaf
hat ein Verzeichnis^ von seinen Waaren und den Preisen derselben im Kopfe
Manuscripte sind sehr theuer, und die gewöhnlichsten gedruckten Bücher kosten
verhältnißmäßig noch einmal so viel als im Nordwesten Europas, eine Folge
des Druckermonopols und der geringen Anzahl von Abdrücken. Wenn ein
gedrucktes Buch vom Herausgeber entweder auf Commission oder auf Ver¬
langen in den Handel gegeben wird, so erhält er von den Sahafs eine be¬
stimmte Summe für das Exemplar; dann aber ist der Preis des Buches auf
dem Markte so ungewiß, wie bei unsern Bücherauetionen.

Die Druckereien, in denen türkisch gedruckt wird, sind großherrliche An¬
stalten, und das in ihnen befolgte Verfahren dient dazu, die Preise auch
der gedruckten Bücher in der Höhe zu halten, es lähmt die Literatur und
vereitelt fast ganz den Zweck des Drückens. Kommt z. B. Jemand mit einem
Manuscript in die Officin, um es durch die Presse vervielfältigen zu lassen,
so werden 600 bis 1200 Abzüge angeordnet, der gewöhnliche Betrag einer
schwachen oder starken Auflage. Sodann berechnet der Drucker die Kosten
für Papier und Schwärze (etwa 10 Piaster für jedes Exemplar), diesem fügt
er eine gleiche Summe für Arbeitslohn. Abgabe an die Regierung und Ge¬
winn hinzu. Ist das Werk ausgedruckt, so nimmt der Herausgeber die
Bogen mit fort und übergiebt sie dem Buchbinder, der dann auch seine
Kosten berechnet. Sind die Bücher gebunden, so fügt der Herausgeber sein
Honorar hinzu, welches gewöhnlich das Vierfache der Kosten jedes Bandes


sammenhängenden Zustände, die in den Jahren kurz vor dem letzten Kriege
und in allen wesentlichen Stücken zweifelsohne bis heute in Konstantinopel
herrschten. Wir werden dabei inne werden, daß man in dieser Beziehung
selbst in Japan in anderthalb Jahrzehnten weiter gekommen ist, als unter
den apathischen, uncivilifirbaren Osmanlis in hundert Jahren.

Dicht beim Sahaf-Thor des alten Besestan in Stambul und zwischen
jenem und dem Kumaschchilar Tscharschiffi, wo Griechen und Armenier allerlei
Tuche und halbseidne Stoffe feil haben, ist der Büchermarkt der türkischen
Hauptstadt, der aus einigen vierzig Läden besteht. Dieselben haben das
schlechteste Aussehen von allen, denen man in den Basars begegnet. Sie
sind offen, die Bücher stehen auf Gestellen und in Schränken an den Wänden
und sehen sehr unscheinbar aus. Kein Buchhändler hat in seinem Gewölbe
mehr als einige hundert Bände, der ganze Basar enthält deren wohl nicht
viel über 20,000. Die Effendis, die mit diesen literarischen Schätzen handeln,
sitzen grämlich auf ihren Kissen und scheinen nur ein negatives Dasein zu
führen, indem sie weder Kunden anlocken noch zurückweisen. Sie bilden eine
Zunft und erfreuen sich keines guten Rufes; denn will man einen Kaufmann
als recht habsüchtig bezeichnen, so sagt man: „Er ist schlimmer als ein
Sahaf." Kataloge giebt es nicht und ebenso wenig feste Preise. Jeder Sahaf
hat ein Verzeichnis^ von seinen Waaren und den Preisen derselben im Kopfe
Manuscripte sind sehr theuer, und die gewöhnlichsten gedruckten Bücher kosten
verhältnißmäßig noch einmal so viel als im Nordwesten Europas, eine Folge
des Druckermonopols und der geringen Anzahl von Abdrücken. Wenn ein
gedrucktes Buch vom Herausgeber entweder auf Commission oder auf Ver¬
langen in den Handel gegeben wird, so erhält er von den Sahafs eine be¬
stimmte Summe für das Exemplar; dann aber ist der Preis des Buches auf
dem Markte so ungewiß, wie bei unsern Bücherauetionen.

Die Druckereien, in denen türkisch gedruckt wird, sind großherrliche An¬
stalten, und das in ihnen befolgte Verfahren dient dazu, die Preise auch
der gedruckten Bücher in der Höhe zu halten, es lähmt die Literatur und
vereitelt fast ganz den Zweck des Drückens. Kommt z. B. Jemand mit einem
Manuscript in die Officin, um es durch die Presse vervielfältigen zu lassen,
so werden 600 bis 1200 Abzüge angeordnet, der gewöhnliche Betrag einer
schwachen oder starken Auflage. Sodann berechnet der Drucker die Kosten
für Papier und Schwärze (etwa 10 Piaster für jedes Exemplar), diesem fügt
er eine gleiche Summe für Arbeitslohn. Abgabe an die Regierung und Ge¬
winn hinzu. Ist das Werk ausgedruckt, so nimmt der Herausgeber die
Bogen mit fort und übergiebt sie dem Buchbinder, der dann auch seine
Kosten berechnet. Sind die Bücher gebunden, so fügt der Herausgeber sein
Honorar hinzu, welches gewöhnlich das Vierfache der Kosten jedes Bandes


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[0472] sammenhängenden Zustände, die in den Jahren kurz vor dem letzten Kriege und in allen wesentlichen Stücken zweifelsohne bis heute in Konstantinopel herrschten. Wir werden dabei inne werden, daß man in dieser Beziehung selbst in Japan in anderthalb Jahrzehnten weiter gekommen ist, als unter den apathischen, uncivilifirbaren Osmanlis in hundert Jahren. Dicht beim Sahaf-Thor des alten Besestan in Stambul und zwischen jenem und dem Kumaschchilar Tscharschiffi, wo Griechen und Armenier allerlei Tuche und halbseidne Stoffe feil haben, ist der Büchermarkt der türkischen Hauptstadt, der aus einigen vierzig Läden besteht. Dieselben haben das schlechteste Aussehen von allen, denen man in den Basars begegnet. Sie sind offen, die Bücher stehen auf Gestellen und in Schränken an den Wänden und sehen sehr unscheinbar aus. Kein Buchhändler hat in seinem Gewölbe mehr als einige hundert Bände, der ganze Basar enthält deren wohl nicht viel über 20,000. Die Effendis, die mit diesen literarischen Schätzen handeln, sitzen grämlich auf ihren Kissen und scheinen nur ein negatives Dasein zu führen, indem sie weder Kunden anlocken noch zurückweisen. Sie bilden eine Zunft und erfreuen sich keines guten Rufes; denn will man einen Kaufmann als recht habsüchtig bezeichnen, so sagt man: „Er ist schlimmer als ein Sahaf." Kataloge giebt es nicht und ebenso wenig feste Preise. Jeder Sahaf hat ein Verzeichnis^ von seinen Waaren und den Preisen derselben im Kopfe Manuscripte sind sehr theuer, und die gewöhnlichsten gedruckten Bücher kosten verhältnißmäßig noch einmal so viel als im Nordwesten Europas, eine Folge des Druckermonopols und der geringen Anzahl von Abdrücken. Wenn ein gedrucktes Buch vom Herausgeber entweder auf Commission oder auf Ver¬ langen in den Handel gegeben wird, so erhält er von den Sahafs eine be¬ stimmte Summe für das Exemplar; dann aber ist der Preis des Buches auf dem Markte so ungewiß, wie bei unsern Bücherauetionen. Die Druckereien, in denen türkisch gedruckt wird, sind großherrliche An¬ stalten, und das in ihnen befolgte Verfahren dient dazu, die Preise auch der gedruckten Bücher in der Höhe zu halten, es lähmt die Literatur und vereitelt fast ganz den Zweck des Drückens. Kommt z. B. Jemand mit einem Manuscript in die Officin, um es durch die Presse vervielfältigen zu lassen, so werden 600 bis 1200 Abzüge angeordnet, der gewöhnliche Betrag einer schwachen oder starken Auflage. Sodann berechnet der Drucker die Kosten für Papier und Schwärze (etwa 10 Piaster für jedes Exemplar), diesem fügt er eine gleiche Summe für Arbeitslohn. Abgabe an die Regierung und Ge¬ winn hinzu. Ist das Werk ausgedruckt, so nimmt der Herausgeber die Bogen mit fort und übergiebt sie dem Buchbinder, der dann auch seine Kosten berechnet. Sind die Bücher gebunden, so fügt der Herausgeber sein Honorar hinzu, welches gewöhnlich das Vierfache der Kosten jedes Bandes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/472>, abgerufen am 27.09.2024.