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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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jeder Deutsche ist unbeschränkt in der gemeinsamen, häuslichen und öffentlichen
Uebung seiner Religion. Verbrechen und Vergehen, welche bei Ausübung
dieser Freiheit begangen werden, sind nach dem Gesetz zu bestrafen. Jede
Neligionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig,
bleibt aber den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen. Neue Religionsge-
sellschaften dürfen sich bilden; einer Anerkennung durch den Staat bedarf es
nicht". Bedeutungsvoll war dagegen die Beseitigung alles Unterschiedes der
Confessionen in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Hinsicht, welche ebenfalls
im Art. V der Grundrechte verheißen ward. Die Gesetzgebung des nord¬
deutschen Bundes und des jetzigen deutschen Reichs hat inzwischen diese Idee
praktisch verwirklicht. Schon das Freizügigkeitsgesetz vom 1. November 1867
(§. 1) hatte nämlich bestimmt, daß keinem Bundesangehörigen um des
Glaubensbekenntnisses willen der Aufenthalt, die Niederlassung, der Gewerbe¬
betrieb oder der Erwerb von Grundeigenthum verweigert werden solle. Das
Vundes-(Reichs-)Gesetz vom 3. Juli 1869 aber hob alle noch bestehenden Be¬
schränkungen der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte auf, welche aus
der Verschiedenheit des religiösen Bekenntnisses hergeleitet waren. Wie aber
die Frankfurter Nationalversammlung, wohl erkennend, daß volle Glaubens¬
freiheit ohne das Institut der Ctvilehe und der Civilstandsregister nicht
denkbar sei, Beides im Art. V der Grundrechte einführte, so hat dies auch
unsere dermalige Reichsgesetzgebung durch das Gesetz vom 6. Februar 1875
über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung gethan;
und zwar ist es, ebenso wie in den Frankfurter Grundrechten, die obligato¬
rische Civilehe, die nunmehr für das ganze Reichsgebiet eingeführt worden
ist. Mit diesem Gesetz ist denn auch der im Art. V aufgestellte Grundsatz:
"Niemand soll zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit gezwungen
werden", verwirklicht worden. Zu wett gingen dagegen die Grundrechte,
wenn sie erklärten, daß keine Religionsgesellschaft vor der anderen fernerhin
Vorrechte durch den Staat genießen solle, so daß also die Zuschüsse, welche
von dem Staat bislang den seit Jahrhunderten anerkannten christlichen Lan¬
deskirchen gewährt wurden, entweder in Wegfall oder allen Religions¬
gesellschaften gleichmäßig hätten zu Gute kommen müssen, wozu denn doch
für unsere wesentlich christlichen Staaten eine Veranlassung kaum vorhanden
sein dürfte.

Wenn übrigens im Art. V noch bestimmt war, daß die Formel des
Eides künftighin einfach lauten solle: "So wahr mir Gott helfe", so mag
hier nicht unerwähnt bleiben, daß auch der Entwurf einer allgemeinen deutschen
Civilvrvceßordnung (§. 419) diese Form adoptirt hat, wie dies auch mehrfach
bereits seitens der deutschen Particulargesetzgebung geschehen ist.


jeder Deutsche ist unbeschränkt in der gemeinsamen, häuslichen und öffentlichen
Uebung seiner Religion. Verbrechen und Vergehen, welche bei Ausübung
dieser Freiheit begangen werden, sind nach dem Gesetz zu bestrafen. Jede
Neligionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig,
bleibt aber den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen. Neue Religionsge-
sellschaften dürfen sich bilden; einer Anerkennung durch den Staat bedarf es
nicht". Bedeutungsvoll war dagegen die Beseitigung alles Unterschiedes der
Confessionen in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Hinsicht, welche ebenfalls
im Art. V der Grundrechte verheißen ward. Die Gesetzgebung des nord¬
deutschen Bundes und des jetzigen deutschen Reichs hat inzwischen diese Idee
praktisch verwirklicht. Schon das Freizügigkeitsgesetz vom 1. November 1867
(§. 1) hatte nämlich bestimmt, daß keinem Bundesangehörigen um des
Glaubensbekenntnisses willen der Aufenthalt, die Niederlassung, der Gewerbe¬
betrieb oder der Erwerb von Grundeigenthum verweigert werden solle. Das
Vundes-(Reichs-)Gesetz vom 3. Juli 1869 aber hob alle noch bestehenden Be¬
schränkungen der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte auf, welche aus
der Verschiedenheit des religiösen Bekenntnisses hergeleitet waren. Wie aber
die Frankfurter Nationalversammlung, wohl erkennend, daß volle Glaubens¬
freiheit ohne das Institut der Ctvilehe und der Civilstandsregister nicht
denkbar sei, Beides im Art. V der Grundrechte einführte, so hat dies auch
unsere dermalige Reichsgesetzgebung durch das Gesetz vom 6. Februar 1875
über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung gethan;
und zwar ist es, ebenso wie in den Frankfurter Grundrechten, die obligato¬
rische Civilehe, die nunmehr für das ganze Reichsgebiet eingeführt worden
ist. Mit diesem Gesetz ist denn auch der im Art. V aufgestellte Grundsatz:
„Niemand soll zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit gezwungen
werden", verwirklicht worden. Zu wett gingen dagegen die Grundrechte,
wenn sie erklärten, daß keine Religionsgesellschaft vor der anderen fernerhin
Vorrechte durch den Staat genießen solle, so daß also die Zuschüsse, welche
von dem Staat bislang den seit Jahrhunderten anerkannten christlichen Lan¬
deskirchen gewährt wurden, entweder in Wegfall oder allen Religions¬
gesellschaften gleichmäßig hätten zu Gute kommen müssen, wozu denn doch
für unsere wesentlich christlichen Staaten eine Veranlassung kaum vorhanden
sein dürfte.

Wenn übrigens im Art. V noch bestimmt war, daß die Formel des
Eides künftighin einfach lauten solle: „So wahr mir Gott helfe", so mag
hier nicht unerwähnt bleiben, daß auch der Entwurf einer allgemeinen deutschen
Civilvrvceßordnung (§. 419) diese Form adoptirt hat, wie dies auch mehrfach
bereits seitens der deutschen Particulargesetzgebung geschehen ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/462>, abgerufen am 27.09.2024.