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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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darauf ausgehen, sich selbst und ihre Freunde in Gunst zu erhalten, bekennen
sich zu keinem politischen System und sind ohne den geringsten Patriotismus.
All' ihr Sinnen, Thun und Trachten dreht sich um ihr eigenes Interesse.
Jedes der Departements des großherrlichen Hofhalts hat sein eigenes Budget,
und allenthalben werden Scheine verlangt. Aber nie fehlt es an Entschul¬
digungen, wenn die vorgeschriebenen Ausgaben überschritten werden. Unter¬
nehmer, Lieferanten, Architekten, Aufseher, Diener und Handwerker, mit einem
Worte, Jedermann, Hoch und Niedrig ist gegen die Geldkasten des Schatz¬
meisters verschworen und sucht sich kleinere oder größere Summen zu er¬
schwindeln. Der einzige Ehrgeiz der Nichtangestellten geht dahin, die Ange¬
stellten zu verdrängen, wie groß auch deren Fähigkeiten sein mögen.

Schwer ist es, wie White klagt, sich über die Zahl der Personen beiderlei
Geschlechts, welche den großherrlichen Hofhalt bilden, sowie über die Kosten
desselben genaue Angaben zu verschaffen. Es gab unter Abdul Meschid und es gab
auch unter dessen Nachfolger streng genommen keine Civilliste, doch wurde jähr¬
lich eine Summe von 30 Millionen Piaster ^ circa 52/j Millionen Mark,
wenigstens nominell aus den öffentlichen Einkünften für den Sultan abgezogen.
Außerdem ist er aber noch Besitzer von ungeheuren Domänen und hat über
den Ertrag mehrerer Wakufs zu verfügen. "Aber alle diese Summen zu¬
sammengenommen (White spricht von der Regierung Abdul Medschid's, aber
von seinem Nachfolger gilt dies allen Berichten zufolge in demselben, wo
nicht in höherem Maße) sollen kaum hinreichen, um die unzähligen Ansprüche,
die an seine Börse gemacht werden, zu befriedigen. Nach den Versicherungen
von Personen, die mit dem Schatzamt Seiner Hoheit in Verbindung stehen,
beläuft sich die Gesammtheit der Personen, welche auf großherrliche Kosten
genährt, besoldet und gekleidet werden, auf mehr als 1400, wobei die Ka-
wassen, die Leibwache und die Wasserträger, welche zwar Lebensmittel, Sold
und Uniform erhalten, aber für sich selbst kochen, nicht mitgerechnet sind.
Jeder männliche Diener, der nicht Sklave ist, bezieht monatlich einen kleinen
Gehalt, jährlich einen Anzug und zu bestimmten Zeiten Geschenke. Da aber
der Gehalt unbedeutend und die Kleidung dürftig ist, so suchen sie sich durch
allerlei Plündereien und unverschämtes Fordern von Bakschisch zu helfen.
Die Bestechlichkeit und die Unterschleife, die mit wenigen Ausnahmen in
allen Zweigen der Verwaltung herrschen, werden im großherrlichen Haushalt
auf die Spitze getrieben. Wer nur immer Gelegenheit hat, zu stehlen oder
zu unterschlagen, der macht sich dieselbe gewiß eifrigst zu Nutze. Der Palast¬
marschall und seine Unterbeamten sollen zwar auf das Gesinde ein wachsames
Auge haben; aber in den meisten Fällen treiben sie die Betrügereien, die sie
verhindern sollen, selbst, und zwar im Großen." Man hat bestimmte Summen
angenommen, welche von den Ausgaben des Sultans mit Einschluß der


darauf ausgehen, sich selbst und ihre Freunde in Gunst zu erhalten, bekennen
sich zu keinem politischen System und sind ohne den geringsten Patriotismus.
All' ihr Sinnen, Thun und Trachten dreht sich um ihr eigenes Interesse.
Jedes der Departements des großherrlichen Hofhalts hat sein eigenes Budget,
und allenthalben werden Scheine verlangt. Aber nie fehlt es an Entschul¬
digungen, wenn die vorgeschriebenen Ausgaben überschritten werden. Unter¬
nehmer, Lieferanten, Architekten, Aufseher, Diener und Handwerker, mit einem
Worte, Jedermann, Hoch und Niedrig ist gegen die Geldkasten des Schatz¬
meisters verschworen und sucht sich kleinere oder größere Summen zu er¬
schwindeln. Der einzige Ehrgeiz der Nichtangestellten geht dahin, die Ange¬
stellten zu verdrängen, wie groß auch deren Fähigkeiten sein mögen.

Schwer ist es, wie White klagt, sich über die Zahl der Personen beiderlei
Geschlechts, welche den großherrlichen Hofhalt bilden, sowie über die Kosten
desselben genaue Angaben zu verschaffen. Es gab unter Abdul Meschid und es gab
auch unter dessen Nachfolger streng genommen keine Civilliste, doch wurde jähr¬
lich eine Summe von 30 Millionen Piaster ^ circa 52/j Millionen Mark,
wenigstens nominell aus den öffentlichen Einkünften für den Sultan abgezogen.
Außerdem ist er aber noch Besitzer von ungeheuren Domänen und hat über
den Ertrag mehrerer Wakufs zu verfügen. „Aber alle diese Summen zu¬
sammengenommen (White spricht von der Regierung Abdul Medschid's, aber
von seinem Nachfolger gilt dies allen Berichten zufolge in demselben, wo
nicht in höherem Maße) sollen kaum hinreichen, um die unzähligen Ansprüche,
die an seine Börse gemacht werden, zu befriedigen. Nach den Versicherungen
von Personen, die mit dem Schatzamt Seiner Hoheit in Verbindung stehen,
beläuft sich die Gesammtheit der Personen, welche auf großherrliche Kosten
genährt, besoldet und gekleidet werden, auf mehr als 1400, wobei die Ka-
wassen, die Leibwache und die Wasserträger, welche zwar Lebensmittel, Sold
und Uniform erhalten, aber für sich selbst kochen, nicht mitgerechnet sind.
Jeder männliche Diener, der nicht Sklave ist, bezieht monatlich einen kleinen
Gehalt, jährlich einen Anzug und zu bestimmten Zeiten Geschenke. Da aber
der Gehalt unbedeutend und die Kleidung dürftig ist, so suchen sie sich durch
allerlei Plündereien und unverschämtes Fordern von Bakschisch zu helfen.
Die Bestechlichkeit und die Unterschleife, die mit wenigen Ausnahmen in
allen Zweigen der Verwaltung herrschen, werden im großherrlichen Haushalt
auf die Spitze getrieben. Wer nur immer Gelegenheit hat, zu stehlen oder
zu unterschlagen, der macht sich dieselbe gewiß eifrigst zu Nutze. Der Palast¬
marschall und seine Unterbeamten sollen zwar auf das Gesinde ein wachsames
Auge haben; aber in den meisten Fällen treiben sie die Betrügereien, die sie
verhindern sollen, selbst, und zwar im Großen." Man hat bestimmte Summen
angenommen, welche von den Ausgaben des Sultans mit Einschluß der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/436>, abgerufen am 27.09.2024.