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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Gesichtspunkt ist, zu fragen, ob den Gründern der zu erwerbenden Bahn nicht
im höchsten Grade Recht geschieht, wenn sie dem Bankerott überlassen werden.
Offenbar waren viele Abgeordnete dieser Meinung gegenüber einer Bahn,
deren Gründungsgeschäfte, nach dem Ausspruch des Abgeordneten Windthorst-
Bielefeld, mehr dunkle Punkte bietet als irgend eine andere. Aber dieser
Standpunkt ist ganz falsch; darum, weil bekanntlich der Bankerott bei den
sogenannten Gründungen fast nie die Schuldigen trifft, die längst ihr Theil
geborgen haben, weil also der Staat durch Nichtbenutzung der sicheren Er¬
werbsgelegenheit sich beschädigt, ohne der öffentlichen Moral eine Genugthuung
zu verschaffen. Unter den Erwerbsbedingungen befanden sich allerdings so ma߬
lose Ansprüche der bisherigen Direktoren der betreffenden Bahn, daß die Genehmi¬
gung besonders schwer gemacht war, immerhin aber nur dem Gefühl, nicht
der Berechnung, denn der Erwerb im Ganzen blieb vortheilhaft. -- Ohne auf
die Gründungsgeschichte der in Frage stehenden Bahn eingehen zu wollen, was
durchaus nicht unseres Amtes ist, verdient doch ein einzelner Punkt daraus her¬
vorgehoben zu werden. Die preußische Staatsregierung hatte die Bahn con-
cessionirt, weil die öffentliche Stimme mit Heftigkeit eine Concurrenz zur
Brechung des Monopols der AnHalter Bahn verlangte. Kann es ein sprechen¬
deres Beispiel für die Absurdität und Schädlichkeit des Privatbahnwesens geben?
Um dem Mißbrauch, den eine Privatbahn treibt, entgegenzuwirken, wird
ein Stück Nationalvermögen zum Fenster hinausgeworfen für ein Unternehmen,
das alsbald dem Bankerott verfällt. Der Humor der Sache ist nun, daß
die Anhaltische Bahn sich zum Ankauf der Concurrenzbahn erbietet. Dazu
verweigert die Regierung die Genehmigung, um nicht selbst lächerlich zu
werden. Das sind Dinge, wie sie beim Privatbahnwesen alle Tage vor¬
kommen müssen. Gleichwohl ließ selbst der in Eisenbahnsachen so rationell
denkende Laster sich verleiten, den Staatserwerb dieser Bahn zu bekämpfen.
Laster unterlag der doktrinären Reflexion, daß die Staatsregierung erst ihr
System angeben müsse, ob sie systematischen Reichserwerb oder preußischen
Staatserwerb oder systemlos gelegentlichen Erwerb der Eisenbahnen wolle.
Du lieber Himmel, als ob das Wesen aller Praxis nicht darin bestände zu
sehen, wie weit man kommt. Der Abgeordnete Laster weiß ja, daß die
Staatsregierung das Retchsbahnsystem im Auge hat. Bis aber die Be¬
dingungen erlangt sind, an die Schaffung desselben die erste Hand zu legen,
muß der preußische Staat so viel Bahnen erwerben als möglich, denn je
weniger Contrahenten eines Tages das Reich vorfindet, desto besser für das
Reichsbahnsystem. Zweitens aber muß, wenn das Reichsbahnsystem im
Bundesrath oder im Reichstag auf unüberwindliche Schwierigkeiten stoßen
sollte, auf alle Fälle das preußische Staatsbahnsystem eonsolidirt werden.
Was kann also ein Mann, der so durchdrungen ist wie Laster von den


Gesichtspunkt ist, zu fragen, ob den Gründern der zu erwerbenden Bahn nicht
im höchsten Grade Recht geschieht, wenn sie dem Bankerott überlassen werden.
Offenbar waren viele Abgeordnete dieser Meinung gegenüber einer Bahn,
deren Gründungsgeschäfte, nach dem Ausspruch des Abgeordneten Windthorst-
Bielefeld, mehr dunkle Punkte bietet als irgend eine andere. Aber dieser
Standpunkt ist ganz falsch; darum, weil bekanntlich der Bankerott bei den
sogenannten Gründungen fast nie die Schuldigen trifft, die längst ihr Theil
geborgen haben, weil also der Staat durch Nichtbenutzung der sicheren Er¬
werbsgelegenheit sich beschädigt, ohne der öffentlichen Moral eine Genugthuung
zu verschaffen. Unter den Erwerbsbedingungen befanden sich allerdings so ma߬
lose Ansprüche der bisherigen Direktoren der betreffenden Bahn, daß die Genehmi¬
gung besonders schwer gemacht war, immerhin aber nur dem Gefühl, nicht
der Berechnung, denn der Erwerb im Ganzen blieb vortheilhaft. — Ohne auf
die Gründungsgeschichte der in Frage stehenden Bahn eingehen zu wollen, was
durchaus nicht unseres Amtes ist, verdient doch ein einzelner Punkt daraus her¬
vorgehoben zu werden. Die preußische Staatsregierung hatte die Bahn con-
cessionirt, weil die öffentliche Stimme mit Heftigkeit eine Concurrenz zur
Brechung des Monopols der AnHalter Bahn verlangte. Kann es ein sprechen¬
deres Beispiel für die Absurdität und Schädlichkeit des Privatbahnwesens geben?
Um dem Mißbrauch, den eine Privatbahn treibt, entgegenzuwirken, wird
ein Stück Nationalvermögen zum Fenster hinausgeworfen für ein Unternehmen,
das alsbald dem Bankerott verfällt. Der Humor der Sache ist nun, daß
die Anhaltische Bahn sich zum Ankauf der Concurrenzbahn erbietet. Dazu
verweigert die Regierung die Genehmigung, um nicht selbst lächerlich zu
werden. Das sind Dinge, wie sie beim Privatbahnwesen alle Tage vor¬
kommen müssen. Gleichwohl ließ selbst der in Eisenbahnsachen so rationell
denkende Laster sich verleiten, den Staatserwerb dieser Bahn zu bekämpfen.
Laster unterlag der doktrinären Reflexion, daß die Staatsregierung erst ihr
System angeben müsse, ob sie systematischen Reichserwerb oder preußischen
Staatserwerb oder systemlos gelegentlichen Erwerb der Eisenbahnen wolle.
Du lieber Himmel, als ob das Wesen aller Praxis nicht darin bestände zu
sehen, wie weit man kommt. Der Abgeordnete Laster weiß ja, daß die
Staatsregierung das Retchsbahnsystem im Auge hat. Bis aber die Be¬
dingungen erlangt sind, an die Schaffung desselben die erste Hand zu legen,
muß der preußische Staat so viel Bahnen erwerben als möglich, denn je
weniger Contrahenten eines Tages das Reich vorfindet, desto besser für das
Reichsbahnsystem. Zweitens aber muß, wenn das Reichsbahnsystem im
Bundesrath oder im Reichstag auf unüberwindliche Schwierigkeiten stoßen
sollte, auf alle Fälle das preußische Staatsbahnsystem eonsolidirt werden.
Was kann also ein Mann, der so durchdrungen ist wie Laster von den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/42>, abgerufen am 27.09.2024.